Im Kino: Boiling Point

Kleine Schwächen tun der Qualität von „Boiling Point“ keinen Abbruch. Vereinzelte klischeehafte Wendungen und unrealistische Momente werden nämlich durch die hervorragende Kameraarbeit und Schauspielleistung wettgemacht.

„Boiling Point“ fängt ruhig an und wir dann immer chaotischer. (Fotos: © Ascot Elite Entertainment Group)

Es dauert eine Weile bis „Boiling Point“ Fahrt aufnimmt. Anders als bei Christopher Storers Serie „The Bear“, einer anderen rezenten, im gastronomischen Milieu spielenden Produktion, wird der titelgebende Siedepunkt hier nicht bereits in den ersten Minuten erreicht. In Philip Barantinis Film brodelt es stattdessen zunächst eine ganze Weile unter der Oberfläche: Um die Weihnachtszeit herum ist ein Ost-Londoner Restaurant bis auf den letzten Platz ausgebucht. Noch bevor die ersten Gäste erscheinen, laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Es läuft nicht alles perfekt – Chefkoch Andy (Stephen Graham) hat mal wieder Verspätung, bei einer Kücheninspektion schneidet das Restaurant nur mittelmäßig ab –, aber es könnte schlimmer sein. Nachdem die ersten Gäste eingetroffen sind, schlägt sich das Personal zunächst wacker. Weder „off menu“-Bestellungen noch die unangekündigte Präsenz einer Restaurantkritikerin bringen Andy, Souschefin Carly (Vinette Robinson), Managerin Beth (Alice Feetham) oder den Rest des Teams aus dem Konzept. Vorerst.

Es fällt schwer bei „Boiling Point“ nicht an „The Bear“ zu denken. Beide Produktionen stellen in der Gastronomie arbeitende Menschen in den Fokus, die unter hohem Druck mit wachsenden persönlichen Problemen zu kämpfen haben. In beiden Fällen wird die Kamera benutzt, um diese Intensität zu vermitteln: Kommen in „The Bear“ jedoch nur 20 Minuten der siebten Folge völlig ohne Schnitt aus, so ist es in „Boiling Point“ der ganze Film.

Obwohl sich die Handlung auf diesen einen Schauplatz beschränkt, ist die Kamera doch ständig in Bewegung: Laufend wechselt sie zwischen verschiedenen Teilen des Essbereichs und jenen der Küche. Manche Szenen spielen sich auch unmittelbar um das Gebäude herum ab. Wie in einem One-Take nicht anders zu erwarten, muss jede Kamerabewegung durch eine sich durch den Raum bewegende Figur motiviert sein. Das gelingt Barantini auf beeindruckend organische Weise. Das Werk behält stets etwas Filmisches, auch wenn es sich beim Dreh wohl eher wie ein Theaterstück angefühlt haben muss.

Während die Figuren in und aus dem Bildrahmen rotieren, ist man als Zuschauer*in bestens unterhalten. Auf jedes gelöste Problem folgt auch schon das nächste. Die Glanzleistungen von Schauspieler*innen und Filmcrew lassen schon mal vergessen, dass das Drehbuch dann doch einige Schwächen aufweist. Inhaltlich hält „Boiling Point“ nämlich leider nur wenige Überraschungen bereit, auf das ein oder andere müde Klischee schien Barantini, der selbst schon in Restaurants gearbeitet hat, nicht verzichten zu wollen. Da Gäste und Personal räumlich stets nah beieinander sind, bricht manche Zankerei zwischen Andy und Co. mit dem ansonsten gelungenen Realismus des Films: Schwer vorstellbar, dass in einem solchen Restaurant Geschrei ausbrechen würde, ohne dass die Gäste erschrocken verstummen.

Eine solche Diskrepanz ist noch an anderer Stelle spürbar: So hat man das Gefühl die Köch*innen und das Bedienungspersonal arbeiteten in unterschiedlichen Restaurants. Erstere sind die meiste Zeit über konzentriert bei der Sache, letztere dagegen finden immer wieder Momente, um herumzualbern und sich über ihr Privatleben auszutauschen.

Was wir am Ende über die einzelnen Figuren wissen, unterscheidet sich demnach stark voneinander. Es reicht, um uns zu vermitteln, dass die meisten auch schon zu Beginn des Films näher am Siedepunkt waren als gedacht. Nach dem für „The Bear“ typischen Humor sucht man hier allerdings vergebens.

Alles in allem fühlt sich „Boiling Point“ aber nur wie eine – zweifelsohne köstliche – Vorspeise an. Ob die bereits für 2023 angekündigte Fortsetzung, eine Serie gleichen Titels mit teilweise denselben Schauspieler*innen, als Hauptgang dieses filmischen Menüs bezeichnet werden kann, bleibt abzuwarten.

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Bewertung der woxx : XX


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