Im Kino: Corsage

„Corsage“ will mit dem herrschenden Bild der Kaiserin Sisi brechen. Das Ergebnis ist unterhaltsam, aber wenig 
originell.

Immer auf der Suche nach einer Regel, die sie brechen kann: Kaiserin Elisabeth in „Corsage“. (© Ascot Elite Entertainment Group)

„When she was home, she was a swan. When she was out, she was a tiger. And a tiger in the wild is not tied to anyone.“ Wenn diese Zeilen der Sängerin Camille in einer der ersten Szenen von „Corsage“ erklingen, deutet dies nur vage an, was danach noch kommt.

In der entsprechenden Szene schreitet die Hauptfigur, Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn (Vicky Krieps), mit ihren Kammerzofen in Zeitlupe eine Treppe hinauf. Von der Machart her ist die Szene weitaus moderner als der restliche Streifen. Die Liedzeilen und die melancholische Melodie indes lassen sich durchaus auf die „Sissi“, wie sie uns Filmemacherin Marie Kreutzer hier präsentiert, übertragen. Diese Protagonistin hat nämlich wenig mit der Romy-Schneider-Version gemein, die jährlich um Weihnachten herum im deutschen Fernsehen zu sehen ist.

„Corsage“ zeigt Elisabeth in ihrem 40. Lebensjahr. Sie ist unglücklich mit Kaiser Franz Joseph I. (Florian Teichtmeister) verheiratet und leidet darunter, lediglich die Monarchie repräsentieren zu müssen, ohne aber irgendein politisches Mitspracherecht zu besitzen. Handlungsspielraum hat sie in ihrem durchgetakteten Alltag wenig, für kleine Akte der Rebellion reicht es dennoch: Sie raucht, flirtet und gibt bei offiziellen Anlässen regelmäßig vor, ohnmächtig zu werden. Weitaus weniger wild als der in Camilles Lied besungene Tiger also, doch der Film will uns vermitteln, dass Elisabeth so skandalös handelt, wie eine Person in ihrer Position es am Ende des 19. Jahrhunderts nur konnte.

Wer gehört hat, „Corsage“ sei mit modernen Referenzen gespickt, und sich deshalb eine Produktion à la „Dickinson“ erwartet, wird enttäuscht. In Kreutzers Film wird weder getwerkt noch auf die aktuell gängige Jugendsprache zurückgegriffen. Die Anachronismen sind hier subtiler. Anders als in Werken wie Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ (2006) handelt es sich bei den Brüchen um „Blink and you’ll miss it“-Momente, nicht um ein den Gesamtfilm prägendes Stilmittel. Die künstlerische Freiheit, die sich Kreutzer herausnimmt, war ihren historischen Berater*innen dennoch ein Dorn im Auge. In Interviews macht die Wiener Filmemacherin kein Geheimnis daraus, dass manche von ihnen aus Protest kündigten.

Gefällige Unterhaltung

Darüber hinaus dürfte der Film aber nur bei den wenigsten anecken. So weit er inhaltlich und atmosphärisch auch von Ernst Marischkas „Sissi“-Trilogie entfernt ist: „Corsage“ ist ein gefälliger Film, der nur wenige Risiken eingeht. Trotz beeindruckender Kameraarbeit enthält der Film keine einzige Einstellung, die sich dauerhaft ins Gehirn einbrennt. Einzigartig macht den Film, dass alle Figuren, einschließlich der Protagonistin und ihrer Kinder, unsympatisch sind. Was in der Theorie aber wie ein origineller Kunstgriff wirken mag, hat auf der Leinwand einen entfremdenden Effekt: Der Film lässt die Zuschauer*innen bis zur letzten Sekunde völlig kalt. „Sie macht mir so eine Angst“, sagt in der ersten Szene eine Bedienstete zur anderen über Elisabeth. Es bleibt eine stumpfe Information, denn den Grund für diese Angst vermag der Film nicht zu vermitteln.

„Corsage“ ist ein erfrischender Kontrast zu jenen rezenten Produktionen, die um Empathie für Monarch*innen werben. Kreutzer gelingt es, das herrschende Bild von Kaiserin Elisabeth zu dekonstruieren, ohne sie dabei aber zu glorifizieren. Das Problem ist, dass die Filmemacherin nicht zu wissen schien, welches Bild sie stattdessen vermitteln wollte. Es ist ein Unterschied, ob ein Film Interpretationsspielraum zulässt oder ob er schwer einzuordnende Szenen um ihrer selbst willen enthält. Ein Beispiel: Die Szenen, in welchen Elisabeth eine Psychiatrie besucht, geben uns weder einen Einblick ins Innenleben der Kaiserin, noch bringen sie die Handlung in irgendeiner Weise voran.

Zur Unebenheit des Werks trägt auch Vicky Krieps bei, deren Schauspielleistung je nach Szene entweder hervorragend oder mittelmäßig ist. Unabhängig davon, ob diese Schwankungen der Regie oder der Tagesform von Krieps geschuldet sind: Ein gutes Licht werfen sie nicht auf die Produktion.

Alles in allem kann man also sagen: „Corsage“ ist ein guter, unterhaltsamer Film, leider aber auch nicht mehr. „Man kann nur hoffen, dass dieses neuerliche Interesse an den ausgelutschten Absurditäten und Ungerechtigkeiten des höfischen Lebens mit den konkreter werdenden Stimmungen kollabierender Systeme zusammenhängt“, schreibt Perlentaucher-Autor Patrick Holzapfel in seiner Filmkolumne über „Corsage“. Dieser Hoffnung kann man sich nur anschließen.

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