Schon gestreamt? Dickinson

Die auf Apple TV veröffentlichte Serie „Dickinson“ verbindet historische Fakten mit Surrealismus und Anachronismen. Das Resultat ist so schräg wie berührend.

© Apple TV

Da denkt man zunächst, man habe es mit einem trockenen, historischen Drama zu tun, um dann festzustellen, dass „Dickinson“ davon nicht weiter  entfernt sein könnte. Die im November von Apple TV veröffentlichte, zehnteilige Serie erzählt äußerst humorvoll und stilisiert vom Leben der US-amerikanischen Dichterin Emily Dickinson. Diese wurde 1830 geboren, erst posthum wurden sämtliche ihrer 1.800 Gedichte publiziert.

Die Serie setzt in Dickinsons Jugend an. Während sich ihre Mutter (Jane Krakowski) nach Kräften bemüht, einen geeigneten Ehemann für sie zu finden, setzt sie selbst ganz andere Prioritäten: Sie will eine etablierte Schriftstellerin werden und nichts liegt ihr ferner als Ehe- und Hausfrau zu werden. Die einzige Person, für die sie romantische Gefühle hegt, ist ihre beste Freundin Sue (Ella Hunt).

Auch wenn manche Zuschauer*innen und Kritiker*innen die Charakterisierung Emily Dickinsons als bisexuell für frei erfunden halten: Es spricht einiges dafür, dass diese in der Tat romantische Gefühle für ihre Schwägerin Susan hatte. Zu Lebzeiten drückten beide in unzähligen Briefen ihr Begehren und ihre Liebe füreinander aus (“Susie, will you indeed come home next Saturday, and be my own again, and kiss me as you used to?”). Es wird sogar gemutmaßt, dass Susan Emilys Bruder Austin (Adrian Enscoe) vor allem deshalb heiratete, um ihrer Geliebten näher sein zu können.

Das Bild, das die Serie von der Schriftstellerin zeichnet, hat insgesamt wenig mit dem zurückgezogenen, griesgrämigen Menschen zu tun, als der Dickinson seit ihrem Tod meist gesehen wird. Die von Hailee Steinfeld gespielte junge Frau ist aufmüpfig, humorvoll und äußerst sozial – und damit, wie Expert*innen schätzen, näher an der Realitität dran.

In einigen Aspekten weicht die Serie jedoch entschieden von historischen Fakten ab. Manche solcher Ausflüge werden nur denjenigen auffallen, die über das nötige historische Hintergrundwissen verfügen. Andere Elemente sind jedoch mühelos als reine Fiktion zu erkennen. Dazu gehören einerseits Visualisierungen von Dickinsons Innenleben: In ihren Gedichten schrieb die Künstlerin viel über den Tod – in „Dickinson“ wird sie jede Nacht vom Tod (in Gestalt des Rappers Wiz Khalifa) in einer von Geisterpferden gezogenen Kutsche besucht. Andererseits enthält die Serie zahlreiche musikalische und linguistische Anachronismen: So besteht der Soundtrack etwa aus Hip-Hop, Pop, Rock und Punk, und die Dialoge sind gespickt mit modernen Formulierungen wie „pretty psyched” oder „nailed it”.

Dass bei historischen Erzählungen auf solche Anachronismen zurückgegriffen wird, ist sicherlich nichts Neues. „Marie Antoinette“ (2006) von Sofia Coppola ist wahrscheinlich das bekannteste Beispiel dafür. „Dickinson“ reizt die Formel bis zum Maximum aus. Was auf den ersten Blick wie eine effekthascherische Spielerei anmutet, funktioniert auch als Metapher dafür, wie sehr Dickinson ihrer Zeit voraus war. Die Verweise auf die Moderne machen es möglich, Dickinsons unangepasste Ansichten für ein heutiges Publikum zu „übersetzen“ und generell das Identifikationspotenzial zu erhöhen. Davon abgesehen machen die Anachronismen sowie die surrealistischen Elemente auch einfach Spaß.

„Dickinson“ wird sicherlich nicht allen gefallen. Diejenige aber, die sich auf ihre Schrägheit einlassen, erwartet ein außergewöhnliches Sehvergnügen über Kreativität, Emanzipation und Erwachsenwerden.

 


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