Im Kino: Good Luck to You, Leo Grande

Eine Sexkomödie, in der vor allem geredet wird: In „Good Luck to You, Leo Grande“ greift eine Frau zu ungewöhnlichen Mitteln, um verpasste Zeit nachzuholen.

Obwohl Nancy eine widersprüchliche, unsympathische Figur ist, fühlen wir mit ihr mit. (Fotos: © Ascot Elite Entertainment Group)

Eine Frau Anfang 60 bucht einen Escortboy, um wenigstens einmal in ihrem Leben einen Orgasmus zu erleben. Selten ließ sich die Handlung eines Films so leicht in einem Satz zusammenfassen. Die britische Tragikomödie „Good Luck to You, Leo Grande“ beschränkt sich mit einer Ausnahme auf diese zwei Figuren und ebenfalls mit einer Ausnahme auf einen einzigen Raum.

In den 90 Minuten Laufzeit dieses von Komikerin Katy Brand geschriebenen Films wird aber natürlich nicht nur kopuliert: Die meiste Zeit über wird geredet und wenn nicht, wird das peinliche Schweigen durch das Nachfüllen der Sektgläser überbrückt. Besagte Frau, die kürzlich verwitwete Nancy (Emma Thompson), fühlt sich in dieser Situation nämlich alles andere als wohl. Dabei hatte sie den Plan jahrelang abgewogen, bevor sie nun endlich zur Umsetzung überging. Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatte sie nur mit einem einzigen Mann Sex, noch dazu keinen guten. Das hofft sie nun zu ändern.

Jetzt, wo der deutlich jüngere Leo Grande (Daryl McCormack) aber in natura vor ihr steht, kriegt Nancy plötzlich Bammel. Was geht sie als zweifache Mutter und ehemalige Religionslehrerin an, mit einem Fremden ihrer Lust nachspüren zu wollen? Noch dazu mit einem Prostituierten? „Sex worker“, weist Leo sie immer wieder auf seine Selbstbezeichnung hin. „Es gibt nichts Krasses daran, für die Arbeit, die man leistet, bezahlt zu werden, Nancy. Das kann ich Ihnen versichern“, erklärt er ihr an einer Stelle, ohne den Blickkontakt abzubrechen. Nancy aber steckt die Scham für ihr sexuelles Begehren und ihren Körper derart tief in den Knochen, dass sie über Leos Pragmatismus nur staunen kann.

Und so geht es in „Good Luck to You, Leo Grande“ in erster Linie um das Ringen einer Frau mit sich selbst. Dieses Ringen sagt viel über Nancys Persönlichkeit aus. Dass ihr Sexualleben bisher derart unerfüllt war, ist nicht nur die Schuld des allen Anscheins nach wenig einfühlsamen Mannes, mit dem sie jahrzehntelang verheiratet war. Nancy mag Vorhersehbarkeit, während Lust und Begierde, ja selbst leicht bekleidete Frauen ihr suspekt sind. Allmählich ahnen wir, dass ihre Unzufriedenheit weit über ihr Sexualleben hinausgeht.

Am Ende des Films haben wir einen guten Eindruck davon, welcher Mensch Nancy außerhalb dieses Hotelzimmers war und ist. Denn so künstlich die von ihr initiierte Situation auch ist: Die Intimität, die zwischen den beiden entsteht, wirkt durchaus real. Beeindruckend ist, wie es gelingt, die Zuschauer*innen mit Nancy mitfühlen zu lassen, obwohl sie alles andere als sympathisch ist. Das ist nicht nur dem Drehbuch zu verdanken, sondern auch der nuancierten Darstellung Emma Thompsons. Ihre Hin-und-her-Gerissenheit, ihr abwechselndes Überlegenheits- und Minderwertigkeitsgefühl Leo gegenüber und ihre punktuelle mütterlich anmutende Sorge um ihn kauft man ihr jederzeit ab. Über eines kann Thompsons Talent allerdings nicht hinwegtäuschen: Um sich vorzustellen, dass eine derart gestandene, durchaus kritische Person – nicht nur über ihren Ehemann, sondern auch über ihre Kinder verliert sie kein positives Wort – ihrem Mann gegenüber in all den Jahren kein einziges Mal ihre Unzufriedenheit angedeutet haben soll, braucht es schon viel Fantasie.

Anders verhält es sich mit Leo. Er ist, wie er selbst immer wieder betont, eine Fantasie und versucht demgemäß stets das zu sein, was Nancy gerade braucht: Mal lässt er sie den Ton angeben, mal gibt er selbst Anregungen. Mit ihrem unangemessenen Interesse an seinem persönlichen Leben gelingt es Nancy dabei immer wieder, ihn aus der Reserve zu locken. „Are you real?“, fragt Nancy ihn an einer Stelle und als Zuschauer*in merkt man schnell: Nein, ist er nicht, er ist lediglich ein Vehikel für die Entwicklung der Figur Nancy. In dem Sinne spielt es keine Rolle, ob er ein Escort, ein Sexualassistent oder, wie Tom in Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“, ein Roboter ist.

Für einen Film, den man dem Genre der Sexkomödie zuordnen kann, wird in „Good Luck to You, Leo Grande“ herzlich wenig über Körperteile und Sexualpraktiken gesprochen. Abgesehen von ein paar zaghaften Berührungen und Küssen wird darüber hinaus auch nicht besonders viel gezeigt. Hätte Nancy das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt, das Resultat wäre wohl genau das Gleiche gewesen. Diese prüde Ausrichtung des Films ist bedauerlich: Einerseits will er mit gängigen Vorstellungen von Intimität und Begehrlichkeit brechen, andererseits wird Sex auf Oralsex, Doggy- und Reiterstellung reduziert. Dass Nancy anfangs nicht weiß, dass Sex sehr viel mehr sein kann, leuchtet ein. Dass sich ihre Fantasien im Laufe der Zeit aber nicht weiterentwickeln, ist schwer nachvollziehbar.

Immerhin bleibt es nicht bei dem einen Treffen. Nach dem ersten bucht Nancy den Escort noch weitere Male. Zu viel hat sie noch von ihrer Bucketlist abzuhaken. Am glaubwürdigsten ist die Handlung dabei, wenn nicht alles glatt läuft und wenn „Good Luck to You, Leo Grande“ zeigt, dass guter Sex nicht ohne Vertrauen, gute Kommunikation und das Aushalten von Irritationsmomenten möglich ist. Dann kann er unbeholfen, zärtlich, sexy, verspielt oder ernst sein, ohne dass das eine unbedingt besser ist als das andere.

Im Kinepolis Kirchberg, Kulturhuef, Kursaal, 
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Bewertung der woxx : XX


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