Im Kino: Licorice Pizza

In seinem neusten Film gibt Paul Thomas Anderson einen Einblick ins Leben zweier junger, in den 1970er-Jahren in Los Angeles lebenden Figuren. Eine klassische Erzählung liefert „Licorice Pizza“ zwar nicht, dafür aber ein unterhaltsames, gut gespieltes und handwerklich einwandfreies Sehvergnügen.

Ob per Auto, Flugzeug oder zu Fuß – unentwegt befinden sich die Figuren in Bewegung. (Fotos: © Universal Pictures International Switzerland)

„The world’s my oyster“, sagte der von George Clooney gespielte Seth 1996 in „From Dusk till Dawn“. Der Satz könnte ebenso vom Protagonisten aus Paul Thomas Andersons neustem Film „Licorice Pizza“ stammen. Schon mit 15 strotzt der ehemalige Kinderschauspieler Gary (Cooper Hoffman) vor Selbstbewusstsein. In 
der ersten Szene baggert er hemmungslos die zehn Jahre ältere Alana (Alana Haim) an. Und nicht etwa mit hohlen Sprüchen: Mit seiner unbeirrbaren und charismatischen Art kann er die Fotografen-Assistentin im Handumdrehen für sich einnehmen.

Auch ihr mangelt es weder an Charisma noch an Schlagfertigkeit – doch scheint sie nicht so recht zu wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Gary seinerseits hat den Bogen raus: Obwohl er noch Schüler ist, hat er als Jungunternehmer große Ambitionen. Dass Alana sich ihm trotz des großen Altersunterschieds nicht entziehen kann, wundert kaum. Die beiden werden Geschäftspartner*innen.

Dem Jungunternehmer Gary gehen die Ideen nie aus.

Eine Liebesgeschichte ist „Licorice Pizza“ jedoch nicht. Als solche will Anderson uns den Film auch nicht verkaufen. Von Anfang an ist klar, dass Gary Gefühle für Alana hat, sie diese jedoch nicht erwidert. Gefallen findet sie an Garys Verknalltheit dennoch irgendwie. Immer wieder versuchen die beiden die Eifersucht des*der jeweils anderen zu wecken, woraus sich eine zutiefst toxische Dynamik ergibt.

Doch so viel sich sämtliche Figuren in diesem Film auch gegenseitig anschreien: Das Zusehen macht riesengroßen Spaß. Neben den hervorragenden Schauspielleistungen ist dies wohl vor allem dem Selbstbewusstsein, mit dem Anderson seine Vision zum Leben erweckt, zu verdanken. Musik, Dekors, Inszenierung, Schnitt – alles ergänzt sich perfekt. Ein Highlight: In einer Szene, die Spannung, Witz und Skurrilität meisterhaft vereint, steuert Alana einen Lastwagen, dem das Benzin ausgegangen ist, rückwärts und in hohem Tempo eine kurvenreiche Straße hinunter.

Ständig sind sowohl die Kamera als auch die Figuren in Bewegung. Wo die Reise hingeht, ist zu keinem Moment vorauszusehen. Zugegeben: „Licorice Pizza“ ist eher eine Momentaufnahme aus dem Leben eines in den 1970er-Jahren in Los Angeles Aufwachsenden als eine Geschichte mit Anfang, Ende und klarem Spannungsbogen. Und dennoch verliert man nie das Interesse an den beiden Protagonist*innen. Auch wenn „Licorice Pizza“ kein Liebesfilm ist, so ist die Chemie zwischen den beiden Hauptdarsteller*innen nicht zu leugnen.

„Licorice Pizza“ ist sehr viel leichter als vorangegangene Anderson-Filme – etwa „Magnolia“, „There Will Be Blood“ und „The Master“. Am meisten Ähnlichkeiten hat der Film noch mit „Boogie Nights“ – nur mit sehr viel weniger Sex und erheblich mehr weiblicher Leinwandpräsenz. Die Erfahrungen von Gary und Alana unterscheiden sich stark: Was ihm vor allem im Wege steht, ist er selbst. Im Gegensatz dazu trifft sie immer wieder auf Männer, die sie in irgendeiner Weise auszunutzen versuchen. Allen voran der von Sean Penn gespielte, besoffene Regisseur Jack Holden, der für einen angeberischen Motorradstunt ihr Leben aufs Spiel setzt. Trotz aller 1970er-Jahre Nostalgie ist Andersons Film also nicht völlig eskapistisch: Neben Sexismus und Homofeindlichkeit werden etwa auch die Ölkrise und Polizeigewalt thematisiert. Damit hebt er sich positiv von Quentin Tarantinos „Once upon a Time in … Hollywood“ (woxx 1542) ab.

Das Innenleben der Figuren bleibt jedoch ein Mysterium. Und eigentlich ist der Film auch nicht viel mehr als ein ästhetisches Spektakel. Aber was für eins!

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Bewertung der woxx : XXX


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