Im Kino: The Menu

„The Menu“ übt Kritik an den reichsten ein Prozent und der Edelgastronomie. Ob die Kritik auch die Zuschauer*innen visiert, lässt die Horror-Satire offen.

Anfangs sind die Gäst*innen noch gespannt darauf, was Slowik sich für sich hat einfallen lassen. (Fotos: Searchlight Pictures
)

Eine Gruppe von zwölf Menschen begibt sich in ein renommiertes Sternerestaurant, um dort vom Starkoch Julian Slowik – von allen nur Slowik genannt – bekocht zu werden. Rein ums Essen geht es dabei aber nicht: Gäst*innen, die für 1.250 Dollar pro Person im Hawthorne reservieren, erwartet ein weit darüber hinausgehendes Erlebnis. Erst werden sie per Schiff zu dem sich auf einer kleinen Privatinsel befindenden Restaurant gebracht. Es folgt eine Tour des Anwesens. Erst danach kommt es zum zentralen Ereignis, dem theatralisch präsentierten, titelgebenden Menü.

Von der ersten Szene von „The Menu“ an fühlt man sich an ähnliche Produktionen erinnert, in denen die Gepflogenheiten reicher Menschen aufs Korn genommen werden. Und genau wie jene Produktionen ist auch diese pechschwarze Thriller-Komödie von Regisseur Mark Mylod nicht gerade subtil. Das will sie auch gar nicht sein.

Anders als etwa in „Triangle of Sadness“, „The White Lotus“ oder „Knives Out“ sind in „The Menu“ jedoch nicht die Angestellten die Guten und die Gäste die Bösen. In der Edelgastronomie sind alle ein Teil des Problems. Das sieht zumindest der von Ralph Fiennes gespielte Slowik so: die egozentrischen Gäste, die regelrecht alles essen würden, solange es nur teuer genug ist; die Art und Weise, wie Sternerestaurants Lebensmittel zum Teil so dekonstruieren, dass man kaum noch von einer Mahlzeit sprechen kann – all dem will er ein Ende setzen.

Zu Beginn läuft noch alles normal ab. Vor jedem Gang erklärt der Chefkoch in einer kurzen Rede die Idee hinter der jeweiligen Kreation, anschließend wird gegessen. Ein erstes Irritationsmoment entsteht, als Slowik eine Reihe von Brotplatten ohne Brot serviert. „Brot ist ein Lebensmittel für arme Menschen und Sie sind doch nun wirklich keine armen Menschen“, so seine lapidare Erklärung. In diesem Moment deutet sich an, dass dieser Abend wohl nicht ganz so gemütlich wird, wie es sich die Gäste erhofft hatten.

Doch wie viel sind die Gäste bereit zu erdulden, bevor sie anfangen, sich zu wehren? Ganz schön viel und es ist genau dieser Dynamik, welcher der Kern des Humors von „The Menu“ entspringt. Ohne zu verraten, womit Slowik und sein Team die Gäste abgesehen von fehlendem Brot sonst noch so piesacken: Nachdem es anfangs nur unangenehm ist, wird es irgendwann richtig blutig.

Der Grund, weshalb die Gäste sich das alles so lange gefallen lassen, ist bei jedem Gast ein anderer. Der von Nicholas Hoult gespielte Tyler etwa verehrt Slowik dermaßen, dass er diesem schier alles durchgehen lassen würde. Die von Judith Light gespielte Anne wiederum ist damit beschäftigt, herauszufinden, weshalb ihr Ehemann (Reed Birney) und Tylers Date Margot (Anya Taylor-Joy) sich unentwegt bedeutungsschwangere Blicke zuwerfen. Und die Restaurantkritikerin Lilian (Janet McTeer) ist überzeugt, dass nicht nur das Personal, sondern auch alle Gäste außer ihr und ihrer Begleitung ein Teil der Performance sind. Dass dieser Abend nur um ihretwillen stattfindet, erscheint ihr in ihrer Selbstverliebtheit völlig plausibel.

Die Köch*innen des Hawthorne werden wie gleichgeschaltete Soldat*innen dargestellt.

Gehen oder bleiben?

Die meiste Zeit über wird Gewalt in „The Menu“ zielgerichtet eingesetzt: Sei es, um die Abgehobenheit der Gäst*innen zu illustrieren, sei es, um zu vermitteln, weshalb es einige irgendwann doch mit der Angst zu tun bekommen. Vereinzelte Gewaltmomente lassen sich jedoch weniger leicht einordnen, sie scheinen einzig des Spektakels halber ihren Weg in den Film gefunden zu haben. Es ist in solchen Momenten, wo man als Zuschauer*in dazu neigt, das Interesse an dem Gezeigten zu verlieren. Gleichzeitig fragt man sich: Wieso bleibe ich eigentlich im Kinosessel sitzen, wo ich mir diese sinnlose Gewalt doch auch einfach ersparen könnte? Man fühlt sich an Michael Hanekes „Funny Games“ erinnert, in welchem eine der Hauptfiguren immer wieder in die Kamera blickt, um die Zuschauer*innen zu ebendiesen Überlegungen anzuregen. Ob Regisseur Mylod und die Drehbuchautoren Seth Reiss und Will Tracy ebenfalls ein solches Ziel verfolgten, bleibt jedoch der Interpretation des Publikums überlassen. So oder so stechen vor allem jene Szenen besonders hervor, in denen auf physische Gewalt verzichtet wird. Es fragt sich, ob letztere vor allem aus Marketinggründen ihren Weg in „The Menu“ gefunden hat: Mit einem Horrorfilm lässt sich wohl eher ein Massenpublikum erreichen als mit einer Satire.

Davon abgesehen, dass „The Menu“ nicht gerade zur Empathie mit den Gäst*innen anregt, kommt auch das Personal nicht besonders gut weg. Wenn es den Gäst*innen nicht gerade das Leben schwer macht, wird es als eine Art Armee präsentiert, die in völliger Selbstaufgabe über Leichen geht, um Slowiks Anweisungen auszuführen. Auch durch die Bildsprache wird eine Distanz zu ihnen hergestellt. Während die Kamera innerhalb des in Essbereich und offene Küche eingeteilten Raums stets zwischen Close-ups auf einzelne Gäste wechselt, bleiben die Köch*innen im Hintergrund, und bis auf wenige Ausnahmen eine uniforme Masse.

Aber mit wem kann man in diesem Film denn eigentlich mitfühlen? Mit einer Figur, die sich weder eindeutig dem einen noch dem anderen Lager zuordnen lässt: Von Anfang an ist Margot nämlich die einzige, die sich traut, auf die fehlenden Kleider des Kaisers aufmerksam zu machen.

Die detailreichen Seitenhiebe auf die Haute Cuisine und die reichsten ein Prozent werden in „The Menu“ mit einer oberflächlichen Figurenzeichnung sowie einer Bedeutungsebene kontrastiert, die man als nichts anderes als symbolhaft bezeichnen kann. Dass die Kritik des Films dem Gastronomiebereich gilt, erscheint dabei nebensächlich. Die Handlung hätte genauso gut in der Kunstwelt oder einem anderen durchkapitalisierten Kontext angesiedelt sein können. In diesem Sinne hat der Film weniger Ähnlichkeit mit Produktionen wie „The Bear“ oder „Boiling Point“, als etwa mit „The Square“ oder oben erwähntem „Funny Games“. Wie bei letzterem wird es auch bei „The Menu“ nicht weniger ungemütlich für die Zuschauer*innen als für die Figuren. Das mag nicht allen gefallen, ein diskussionswürdiges Werk ist „The Menu“ aber allemal.

Im Kinepolis Kirchberg. Alle Uhrzeiten finden Sie hier.

Bewertung der woxx : XX


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