Im Stream: The Chair

Kritiker*innen loben sie vor allem für ihren Humor: Mit scheinbarer Leichtigkeit knöpft sich die neue Netflix-Serie „The Chair“ Themen wie Cancel Culture und Sexismus vor. Aus feministischer Sicht bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

In „The Chair“ gibt es für die Institutsleiterin Ji-Yoon Kim (links) und die Professorin Joan wenig zu lachen und das liegt nicht zuletzt an den Männern in ihrem Leben. (Bildquelle: Netflix)

„Woke Aktivisten verstehen nun mal keine Ironie und haben wenig bis keinen Sinn für Humor“*, schreibt Michel Delage vom Radiosender 100,7 über die Mini-Serie „The Chair“, die Ende August auf Netflix angelaufen ist. Es scheint fast, als hätten die Produzentinnen Amanda Peet und Annie Julia Wyman alles richtig gemacht: Delages Interpretation der Woke Aktivist*innen entspricht nämlich dem Bild, das ihre Komödie vermutlich vermitteln will.

Schauplatz der Serie ist die fiktive Pembroke University. Dort leitet seit Kurzem Ji-Yoon Kim (Sarah Oh) als erste Asiatin der Universitätsgeschichte das Institut für Englische Literatur. Bis auf ihre afro-amerikanische Kollegin Yaz (Nana Mensah) ist Kim von alten, weißen Akademiker*innen umgeben. Trotz schlecht besuchter Vorlesungen kleben sie auf ihren Lehrstühlen und käuen veraltete Darstellungen literarischer Klassiker wieder, während etwa Yaz versucht, Hermann Melvilles „Moby Dick“ feministisch zu interpretieren. Genüsslich nehmen Peet und Wyman die Literaturwissenschaften aufs Korn, und es macht durchaus Spaß, ihnen dabei zuzusehen.

Weniger lustig wird es, wenn einer der beliebteren Professoren, Bill (Jay Duplass), in einer Vorlesung über Faschismus nebenbei den Hitlergruß zeigt und damit die von Delage erwähnten „woke Aktivisten“ auf den Plan ruft. Schon bald macht ein Video seiner Geste die Runde und Bill wird von den Student*innen zur Kündigung gedrängt. Das ist ungerecht, wie die Serie uns glauben machen will.

Bill ist nur ein chaotischer Witwer, der Kim mit allen Mitteln für sich gewinnen will – und genauso setzen Peet und Wymann alles daran, uns diesen Charakter als liebenswürdig und harmlos zu präsentieren. Damit das funktioniert, muss man die „Aktivist*innen“ natürlich im Gegenzug als humorlos und verbissen porträtieren, wohingegen Bill sich redlich um einen Dialog bemüht. Sind die Kontrahent*innen erst einmal so dichotomisch arrangiert, fällt auch kaum mehr auf, dass sich Bill lediglich mit Plattitüden herauszureden versucht.

Ähnlich „lustig“ soll es wohl sein, wenn die ältere Professorin Joan (Holland Taylor) im Netz sexistisch von einem Studierenden beleidigt wird. Der schreibt auf einem Bewertungsportal für Lehrende sinngemäß, dass die Gedanken an Joan ihn beim Sex mit seiner Partnerin um den Orgasmus bringen. Obgleich Joans Gegenschlag als komödiantische Szene dargestellt wird, ist ihre Figur auf mehreren Ebenen unfassbar traurig. Gegen Ende der Serie wendet sich das Blatt zwar in ihrem Sinn, doch davon hat dann wiederum Kim den Schaden. All das hat nichts von Leichtigkeit oder Humor. Stattdessen werden Frauenfiguren gegeneinander ausgespielt, die im Kampf um berufliche Anerkennung aus strukturellen Gründen meist das Nachsehen haben.

Vielleicht ist es noch zu früh, um unbedacht und herzlich über Cancel Culture zu lachen, vor allem wenn hinter vielen Späßen Schenkelklopfer stecken, die strukturelle und sexualisierte Gewalt gegen Frauen verharmlosen. Oder aber Delage hat Recht und „Woke Aktivisten“ sind einfach nur Spaßbremsen.

*Als „woke“ bezeichnet man Menschen, die ein starkes Bewusstsein für Ungerechtigkeiten haben und der Unterdrückung von Minderheiten Ausdruck verleihen.
Auf Netflix.

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