Initiator der Transition-Bewegung: „Der Normalzustand war ein Desaster“

Zur Eröffnung der diesjährigen „Transition Days“, die sich über neun Monate erstrecken, ist der Vordenker der Transition-Bewegung, Rob Hopkins, in Luxemburg. Die woxx hat mit ihm über Vorstellungskraft, Hoffnungslosigkeit und das Regierungsprojekt „Luxembourg in Transition“ gesprochen.

Rob Hopkins, der Vordenker der Transition-Bewegung, ist überzeugt davon, dass unsere Vorstellungskraft die beste Waffe gegen die Klimakrise ist. (Foto: Rob Hopkins)

woxx: Kann die globale sanitäre und ökonomische Krise, die wir gerade erleben, eine Chance für die Transition-Bewegung sein?


Rob Hopkins: Ja, ich denke, es kann eine Chance für uns alle sein, nicht nur für die Transition-Bewegung. Es gibt viele Aspekte der Pandemie, die absolut schrecklich sind und für viel Leid gesorgt haben, und niemand wollte, dass sich die Dinge so ändern. Die letzten sechs Monate haben gezeigt, dass die Märchen, Änderungen könnten nur langsam und mit kleinen Schritten vorangehen, es sei kein Geld vorhanden, Regierungen könnten nur wenig tun, genau das sind – falsche Annahmen. Im April forderte die britische Regierung die Gemeinden auf, innerhalb einer Woche dafür zu sorgen, dass niemand mehr auf der Straße schlafen müsste. Jahrelang wäre eine solche Idee nur belächelt worden.

Was viele Menschen erlebt haben, waren Städte ohne Autos, Luft, die so sauber war wie noch nie, keine Flugzeuge und lauter Vogelgesang. Sie hatten Zeit, die sie mit ihrer Familie verbringen konnten und um kreativ zu sein, Tanzen zu lernen, zu gärtnern oder Bücher zu schreiben. Natürlich ist Corona nicht die Art und Weise, wie wir dahin kommen sollten. Aber nun, da viele Menschen den Geschmack einer solchen Welt kennen, haben wir ein Fundament, auf das wir aufbauen sollten. Wir können nicht einfach zurück zum Normalzustand. Der Normalzustand war ein Desaster, katastrophal und im Grunde ein Suizidpakt. Die Krise hat gezeigt, was alles möglich wäre, wären wir nicht von Idioten regiert.

Das erste „Transition Town“ wurde 2006 gegründet. Wie hat sich die Bewegung seitdem entwickelt – und hat sie genug erreicht?


Wäre die Transition-Bewegung die einzige Bewegung, die gegen die Klima-
krise kämpft, würde ich sagen, dass es nicht reicht. Global gesehen wurden die letzten 14 Jahre auf internationalem Niveau komplett verschwendet. Wir haben aber nie behauptet, dass es nur die Transition-Bewegung bräuchte, denn wir benötigen eine Fülle an Aktionen, Bewegungen und politischen Änderungen. Unser Argument war stets, dass die Ebene der lokalen Gemeinschaften ein wichtiges Puzzlestück ist, die eine entscheidende Rolle bei der Schaffung neuer Infrastrukturen spielen können, wenn sie von der Politik dabei unterstützt werden. Genügten Zahlen und Fakten, um Menschen von der Dringlichkeit, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen, zu überzeugen, würde längst mehr für‘s Klima getan. Überzeugend sind Erzählungen und da ist die Transition-Bewegung brillant. Es gibt jetzt in über 50 Ländern Transition-Bewegungen und eine endlose Fülle von Geschichten von normalen Menschen, die kleine Projekte wie Gemeinschaftsgärten realisieren – aber auch Geschichten von ganzen Städten, die ihre Nahrungsgrundlage komplett verändern. Wir haben noch weitaus nicht genug getan, aber unsere Erzählungen werden mehr und mehr übernommen.

Sie sind gerade in Luxemburg, was ist Ihr Eindruck von der hiesigen Transition-Bewegung?


Ich habe mir einige Projekte von Cell (Centre for ecological learning Luxembourg) und Transition Minett angesehen, unter anderem das Reconomy-Gebäude, das als Inkubator für Transition-Unternehmen fungieren soll und das faszinierende „Äerdschëff“. Luxemburg ist einzigartig, weil die nationale Transition-Organisation teilweise vom Staat finanziert wird und als Schlüsselelement nachhaltiger Entwicklung gesehen wird. Die luxemburgische Transition-Bewegung ist ein Beispiel dafür, wie es überall sein sollte. Die Regierungen sollten sagen: Wir haben eine Klimakrise, wir haben eine ökologische Krise, wir müssen solche Bewegungen unterstützen.

Sehen Sie das Projekt „Luxembourg in Transition“ des Landesplanungsministeriums als Vereinnahmen Ihrer Ideen?


Nachahmung ist die höchste Form der Anerkennung. Es mag naiv sein, aber ich hoffe, dass die Teilnehmer*innen der Konsultation durch dieses Framing dazu ermutigt werden, mutig und fantasievoll zu sein. Die ökologische und die Klimakrise sind so groß, dass nur noch radikale Lösungen möglich sind. Luxemburg muss seine CO2-Emissionen in den nächsten 15 Jahren nahe Null bringen. Wir brauchen also große Lösungen. Ich hoffe, dass das Ergebnis von „Luxembourg in Transition“ mutig, fantasievoll und praktikabel genug sein wird, um die Bürger*innen zu überzeugen, diesen Weg mitzugehen. Sie sollen denken „Das klingt fantastisch! Wie könnte ich ein Leben leben, ohne diese Zukunftsvision zu erleben?“

Foto: CELL/Norry Schneider

Die luxemburgische Transition-Bewegung ist ein Beispiel dafür, wie es überall sein sollte.

Luxemburg hat viele Probleme, vor allem mit Mobilität und Wohnbau, und unser Sozialstaat braucht hohes Wirtschaftswachstum und ist vom Finanzsektor abhängig. Sehen Sie da Lösungen? Es fällt schwer, sich eine Transition-Bewegung im Bankensektor vorzustellen.


Ich habe als Außenstehender sicherlich nicht die Lösungen für alle Probleme Luxemburgs. Generell würde ich sagen, dass wir eine Alternative zum Wachstum finden müssen, denn das ewige Streben danach ist suizidal. Ich würde sagen, Luxemburg sollte sich alternative Wirtschaftsmodelle wie die „Donut Economy“ ansehen. Das ist ein sehr einfaches Modell, das die Grenzen des Wachstums aufzeigt und versucht, diese einzuhalten. Auch das Konzept der „Wellbeing Economy“ kann helfen – nicht alle Politikbereiche wie Gesundheit, Landwirtschaft, Wirtschaft, Klima getrennt zu sehen, sondern gemeinsam. Der Kampf gegen die Klimakrise, wenn er richtig geführt wird, ist auch Gesundheitspolitik, ist auch Wirtschaftspolitik. Es wäre möglich, den luxemburgischen Finanzsektor so umzubauen, dass er Gutes tut und nicht mehr in fossile Energien, sondern in die Transition investiert.

Im Trailer zu Ihrem neusten Buch präsentieren Sie Ihre Vision von 2030: Die UK ist CO2-neutral, es fahren kaum Autos, es gibt einen Fokus auf regionale Wirtschaftskreisläufe, lokale Demokratien boomen. Und dennoch basiert diese Utopie auf einer marktbasierten Ökonomie. Ist es unmöglich, sich eine Welt ohne Kapitalismus vorzustellen?


Ja, ich denke, das ist es. Wir verheddern uns manchmal in der Frage, ob etwas Kapitalismus ist oder nicht. Es gibt so viele Formen des Kapitalismus, gerade sind wir in einer unbarmherzigen und ausbeuterischen Version, die Ungleichheiten verstärkt. Ich habe in meinem Heimatort eine Brauerei gegründet, die nach den Transition-Prinzipien funktioniert. Sie gehört Bürger*innen, hat Arbeitsplätze geschaffen, verarbeitet lokales Getreide – und braut fantastisches Bier. Wir machen Profit, wachsen so lange bis wir groß genug sind und unterstützen dann andere Projekte. Ist das Kapitalismus? Vermutlich schon, aber es ist eine Version des Kapitalismus, die das Überleben der Menschheit viel besser sichern kann.

Letztes Jahr wurde viel über die Klima- und die Biodiversitätskrise gesprochen, unter anderem durch die vielen jungen Aktivist*innen. Die sind eher hoffnungslos, weil sich die Dinge nicht schnell genug ändern. Wie erreichen wir, dass sich endlich was ändert?


Meine Frau ist sehr aktiv bei Extinction Rebellion und wurde schon viermal festgenommen, wir haben gemeinsam an den großen Schul-
streik-Demonstrationen teilgenommen und es war fantastisch. Die Regierungen tun nichts und sind auf eine Art und Weise fahrlässig, die beinahe kriminell ist. Jetzt stellt sich jeder die Frage, was wir tun sollen. Nehmen wir an Demos teil und lassen uns festnehmen? Bauen wir innerhalb der Transition-Bewegung alternative Strukturen auf? Werden wir in politischen Parteien aktiv? Bauen wir Druck auf Banken auf, damit sie nicht mehr in fossile Energien investieren? All das ist ein Teil, und niemand weiß, welcher Teil der wichtigste ist. Was wir wissen, ist, dass die Veränderungen nicht schrittweise umgesetzt werden können, sondern groß und radikal sein müssen. Deswegen habe ich letztes Jahr ein Buch darüber geschrieben, dass wir wieder die Bedingungen dafür schaffen müssen, dass Menschen ihre Vorstellungskraft benutzen. Wir müssen so viele Aspekte unseres Lebens neu erfinden, sodass wir unsere Vorstellungskraft mehr denn je brauchen. Wenn ich Workshops gebe, bitte ich die Teilnehmenden oft, ihre Augen zu schließen und die Welt, in der sie in 20 Jahren leben wollen, genau vorzustellen. Wir haben den Luxus der Hoffnungslosigkeit nicht, wir müssen das winzige Zeitfenster, um noch global unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, unbedingt nutzen. Wir müssen eine Vision entwickeln und die so gut wie möglich umsetzen.

Rob Hopkins wurde 1968 im Vereinigten Königreich geboren. Durch seine Beschäftigung mit Permakultur entwickelte er gemeinsam mit seinen Schüler*innen das Konzept der Transition-Bewegung. Heute lebt der Aktivist und Autor im englischen Totnes.


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