Vor den Parlamentswahlen am 25. September hat sich in Italien ein linkes Wahlbündnis gebildet, das an die Erfolge europäischer Linkspopulisten anknüpfen will. Sozialpolitische Vorhaben stehen dabei ein erster Stelle. Gemeinsam mit anderen ein Bollwerk gegen die in den Umfragen führende extreme Rechte bilden will man bei der „Union popolare“ nicht.
Wer für Italiens Linke in den Wahlkampf zieht, muss improvisieren können. Das gilt auch für berühmte Gastredner: Als Jean-Luc Mélenchon, der ehemalige französische Präsidentschaftskandidat und Begründer des Linksbündnisses „Nouvelle union populaire écologique et sociale“, vergangene Woche zur Unterstützung des neuen italienischen Linksbündnisses „Unione popolare“ (Up) in der römischen Peripherie auftrat, musste er für seine Rede auf einen wackeligen Plastikstuhl steigen. Die Zeit der großen Bühne ist für Italiens Linke vorbei.
„Unione popolare“ ist ein Wahlbündnis, das im Juli anlässlich der Parlamentswahlen am 25. September zusammenfand. Es wird getragen von der zur Splitterpartei geschrumpften „Rifondazione Comunista“ (Rc) und der Sammelbewegung „Potere al Popolo“ (Pap – Macht fürs Volk), in der verschiedene „antikapitalistische, kommunistische, umweltpolitische, feministische, laizistische, pazifistische, libertäre“ Gruppen zusammenarbeiten. Dem Wahlbündnis angeschlossen hat sich außerdem „ManifestA“, eine Gruppe von ehemaligen Abgeordneten des „Movimento 5 Stelle“ (M5S), die während der auslaufenden Legislaturperiode ihre Fraktion verlassen haben. Sprecher und Spitzenkandidat des Wahlbündnisses ist Luigi De Magistris, von 2011 bis 2021 Bürgermeister in Neapel.
Unione popolare möchte an die Erfolge europäischer Linkspopulisten anknüpfen. Nicht zufällig übernimmt das Bündnis den Namen von Mélenchons französischer Volksunion und nicht zufällig erinnert das kreisrunde, lilafarbene Logo von Up an das Parteiemblem der spanischen linkspopulistischen Partei „Podemos“. Zunächst wird es für die italienische Volksunion jedoch eher darum gehen, nicht an der Drei-Prozent-Sperrklausel zu scheitern und den Einzug ins Parlament zu schaffen.
Eine erste Hürde hatte „Unione popolare“ gleich zu Beginn des Wahlkampfs zu überwinden. Als Neugründung musste das Bündnis im August 60.000 Unterschriften von Wahlberechtigten sammeln, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden. In Rom konzentrierte sich Up auf die Außenbezirke der Stadt, positionierte sich mit Klapptischen an den Ausgängen der Metrostationen. „Wenn wir popolo sagen, meinen wir die Leute, die hier in den Wohnblocks leben“, erklärte Mauro, ein römischer Aktivist von Pap, gegenüber der woxx, „es sind Leute, die keine oder nur eine prekäre, unterbezahlte Arbeit haben, die unter den schlechten oder fehlenden öffentlichen Verkehrsverbindungen zu leiden haben.“
Im Wahlprogramm der „Unione popolare“ stehen die sozialpolitischen Vorhaben an erster Stelle: die Einführung eines Mindestlohns von zehn Euro, die Ausweitung von Sozialleistungen und die Bekämpfung irregulärer und prekärer Arbeitsverhältnisse. Zur Verbesserung der Verhältnisse im Schul-, Gesundheits- und Verkehrswesen soll der öffentliche Dienst ausgebaut werden. Für die Finanzierung der Vorhaben möchte Up Privatvermögen und Spekulationsgewinne höher besteuern sowie die Veruntreuung staatlicher Fördermittel effektiver bekämpfen. Da De Magistris in seiner Zeit als Staatsanwalt zahlreiche Anti-Mafia- und Anti-Korruptionsverfahren geleitet hat, präsentiert sich der Up-Sprecher als persönlicher Garant für die Realisierbarkeit des Programms.
Im Gegensatz zum französischen Vorbild ist es nicht gelungen, die italienische Volksunion als eine vereinte linksökologische Allianz aufzustellen.
Den Einwand, dass es bei der Wahl in zwei Wochen vorrangig darum gehen sollte, den von allen Umfragen prognostizierten Sieg der extremen Rechten zu verhindern, also besser eine breitere „Volksfront“ aus linken und liberalen Kräften hätte gebildet werden sollen, weist Up zurück. Das Schreckbild des Faschismus, das vom „Partito Democratico“ (PD) auf die Wahlplakate gemalt werde, sei schon lange nicht mehr überzeugend, schließlich habe sich der PD selbst ein neoliberales Regierungsprogramm zu Eigen gemacht und regiere seit Jahren nicht gegen, sondern mit den Rechten. Den PD zu wählen, sei somit nicht das kleinere Übel, sondern das größte, schrieb der Historiker und Up-Kandidat Piero Bevilaqua in einem Blogbeitrag.
Im Gegensatz zum französischen Vorbild ist es nicht gelungen, die italienische Volksunion als eine vereinte linksökologische Allianz aufzustellen. Trotz zahlreicher programmatischer Übereinstimmungen in den sozial- und umweltpolitischen Programmpunkten bleibt Italiens Linke gespalten. Maßgeblich ist hierfür die Haltung gegenüber dem PD. „Unione popolare“ besteht auf eine strikte Abgrenzung. „Sinistra Italiana“ und „Europa Verde“ sind dagegen weiter von der Notwendigkeit eines linksliberalen Bündnisses als Bollwerk gegen die post- und neofaschistische Rechte überzeugt. Sie treten daher als rotgrünes Bündnis in einer Allianz mit dem PD zur Wahl an. Der „Movimento 5 Stelle“ versteht sich nach diversen Rechtsabspaltungen als unabhängige „progressive“ Kraft. M5S-Chef Giuseppe Conte kann als ehemaliger Ministerpräsident die Einführung des „Bürgerlohns“ 2019 als Errungenschaft seiner Regierungszeit vorweisen. Nach Angaben des staatlichen Statistikamtes hat die Sozialleistung eine Million Menschen vor einem Leben in absoluter Armut bewahrt.
Unter Verweis auf Artikel 11 der Verfassung, wonach Italien den Krieg „als Mittel zur Lösung internationaler Streitigkeiten“ ablehnt, ist das gesamte linke Parteienspektrum gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. „Unione popolare“ trägt die Regenbogenfarben der internationalen Friedensbewegung im Logo. Sie möchte nicht nur die Verteidigungsausgaben reduzieren, sondern tritt – anders als der M5S oder „Sinistra Italiana“ – da- rüber hinaus für eine Revision der Sanktionspolitik gegen Russland ein. Die argumentative Nähe zu rechtspopulistischen Positionen der Lega wird nicht problematisiert. Ebenso wenig die Banalisierung des historischen Faschismus durch radikale Linke. Eine Gruppe, die sich „Collettivo Militant“ nennt, klebte in Rom Fake-Plakate, auf denen der PD-Vorsitzende, Enrico Letta, zum Duce retuschiert wurde und seine Anhängerschaft mit dem faschistischen Bekenntnis „glauben, gehorchen, kämpfen“ auf unbedingte Treue zur Nato einzuschwören scheint.
Nur wenige Häuserblocks von den Plakaten entfernt, hat Mélenchon bei seinem Auftritt in Rom vor polemischen Zuspitzungen innerhalb des linken Spektrums gewarnt. Man dürfe sich nicht auf die Spaltungen im eigenen Lager fokussieren, sondern müsse sich auf die Abwehr der ex- tremen Rechten konzentrieren: „Resistenza!“ Sein antifaschistischer Aufruf zum Widerstand wurde von der Zuhörerschaft zwar mit erhobener Faust erwidert, doch waren die Sprechchöre kaum mehr als eine nostalgische Reminiszenz an die Tradition des Stadtviertels, in dem die Wahlkampfveranstaltung der „Unione popolare“ stattfand. Während der nazideutschen Besatzung Roms galt das Arbeiterviertel Quadraro im Südosten Roms als Hort des aktiven Widerstands.
Das Gedenken an die Vergangenheit motiviert heute jedoch nicht mehr zur Wahl. Es gibt keine parlamentarische Linke, die der kommenden Rechtsregierung wirksam entgegentreten kann. Eher entwickelt sich aus den Krisen der Gegenwart außerparlamentarischer Widerstand. In Reaktion auf die steigenden Energie- und Lebensmittelkosten werden die Aufrufe lauter, durch kollektive Zahlungsverweigerungen eine soziale Umverteilung zu erzwingen.