Viele Kaffeeregionen in Mittel- und Südamerika haben unter den Folgen der Auswanderung in Richtung USA zu leiden. Es fehlen vor allem junge Arbeitskräfte, eine Überalterung der verbleibenden Gesellschaft ist die Folge. Doch selbstorganisierte Genossenschaften steuern dem Trend entgegen: Sie fördern den Nachwuchs und basteln so an einem Modell für die Zukunft – nicht nur für Zentralamerika.

Hat mit der Gründung der Kaffee-Genossenschaft ein erfolgreiches Modell geschaffen: Carlos Guevara, einer der Geschäftsführer von Asoprosan. (Foto: Knut Henkel)
Ricardo Cortez steht vor den blauen 350-Liter-Fässern, in denen er mit seinem Bruder Balbino Kaffeebohnen fermentieren lässt. Auf jedes der Fässer ist ein gläsernes Ventil gepfropft. Es sorgt dafür, dass Kohlendioxid entweichen kann, was die beiden jungen experimentierfreudigen Kaffeebauern auch mehrmals täglich überprüfen. „Wir versuchen unsere Kaffeequalität zu steigern, stecken viel Zeit hinein“, sagt der 25-jährige Ricardo. Bis zu 120 Stunden lasse man den Kaffee ohne Sauerstoffzufuhr fermentieren.
In diesem Jahr zählt das Brüderpaar zu den 18 Mitgliedern der honduranischen Kaffeeproduzentengenossenschaft „Asoprosan“, die bei dem regionalen Wettbewerb „Taza de Exelencia“ (zu Deutsch „Tasse der Spitzenklasse“; Anm. d. Red.) mitmachen. Die beiden hoffen sowohl auf einen Preis als auch auf zahlreiche Käufer ihrer Edelbohnen. Asoprosan ist in San Andrés angesiedelt, einer Kleinstadt mit rund 6.000 Einwohner*innen im Südwesten von Honduras, nahe der Grenze zu El Salvador. Dort wird in einer von Pinienwäldern geprägten, recht trockenen Region Kaffee angebaut. Seit Anfang 2017 existiert die Organisation mit derzeit 159 Genoss*innen, darunter 28 Frauen. Die Initiative für ihre Gründung ging Ende 2015 von Carlos Guevara und seinem Freund Deniz Orlando Cortez aus. Die beiden Nachwuchs-Kaffeebauern hatten es satt, ihren Kaffee unter Preis zu verkaufen.
„Hier fehlte eine Organisation, die im Interesse der lokalen Bauern und Bäuerinnen agiert, um endlich faire Preise für die Kaffeeproduzent*innen durchzusetzen“, so Guevara. Er ist heute bei der Familie Cortez zu Besuch und mustert die kleine Runde in der geräumigen Lagerhalle, wo ein paar Dutzend prall gefüllte Kaffeesäcke neben einigen der blauen Fermentationsfässer lagern. In der Kaffeeregion San Andrés, die der Kaffeeregion ihren Namen gab, diktierten bis Anfang 2016 die Zwischenhändler, die Coyotes, de facto die Preise.
„Wir haben vor allem auf Quantität, nicht auf Qualität gesetzt, sagt Balbino Cortéz Agueta. Er ist der Vater der Cortez-Brüder und froh, dass sich das inzwischen geändert hat. Gleich nach Gründung der Genossenschaft sei er dort Mitglied geworden, erinnert sich der 63-Jährige, danach habe er seinen beiden Söhnen nach und nach mehr Vertrauen geschenkt. Heute lässt er ihnen komplett freie Hand und ist stolz auf die Ergebnisse. „Wir haben alle dazugelernt, verdienen deutlich besser – dank Asoprosan“, bemerkt er mit einem Wink in Richtung Guevaras. Der ausgebildete Forstingenieur leitet die Genossenschaft gemeinsam mit Deniz Orlando Cortez und hat ihm dazu geraten, die Verantwortung an seine Söhne abzugeben. Guevara und sein Kompagnon engagieren sich nicht nur für eine nachhaltige, klimaschonende Kaffeeproduktion, sondern auch für bessere ökonomische Perspektiven für die nachwachsende Generation.
Dazu zählen auch die Cortez-Brüder. Balbino, ein kräftiger, athletischer Typ, hat 2020 wie viele andere versucht, mit einer der Karawanen in die USA zu gelangen. „Damals sah ich keine Perspektive hier in San Andrés, heute ist das anders“, sagt der 29-Jährige. „Zum einen weil wir auf die Qualität unseres Kaffees setzen, zum anderen weil unser Vater uns machen lässt; das war nicht immer so.“ Er steht in einem der Trockenzelte, wo die Kaffeebohnen in der Sonne liegen und dabei regelmäßig gewendet werden, damit sie schonend ihre Feuchtigkeit verlieren. Dadurch bleibt mehr Aroma in den Bohnen, weshalb Spezialitäten-Röstereien in aller Welt Wert auf dieses Verfahren legen.
„Die Abwanderung und der Klimawandel haben dafür gesorgt, dass Honduras auf dem Kaffeeweltmarkt an Bedeutung verliert.“
Dass wissen auch die Brüder Cortez. In den vergangenen Jahren haben sie sich im Internet schlau gemacht, aber auch auf die Expertise der beiden Geschäftsführer von Asoprosan zurückgegriffen. Diese haben den Anbau innerhalb der Genossenschaft revolutioniert: 137 der 159 Produzent*innen sind derzeit bio-zertifiziert, die restlichen 22 im Übergangsprozess dorthin. „Wir bauen hier im Schatten der Pinienwälder unseren Kaffee nach agroforstwirtschaftlichen Kriterien an und wollen uns ähnlich wie das weiter südlich liegende Marcala als Referenzregion für Qualitätskaffee etablieren“, umreißt der 38-jährige Guevara das übergeordnete Ziel.
Dafür braucht es engagierte und motivierte Genoss*innen; und dabei wiederum spielt die nachrückende Generation eine tragende Rolle. „Wir müssen den Nachwuchs früher und besser einbinden, um Migration zu bremsen und unsere Altersstruktur intakt zu halten“, erklärt Carlos Guevara die zentrale Herausforderung. Mit dieser sehen sich nicht nur die Genoss*innen von Asoprosan konfrontiert, sondern auch fast alle anderen Genossenschaften in der Region. Auswanderung ist in Honduras, aber auch im benachbarten El Salvador, in Guatemala oder Kolumbien ein Faktor, der viele dieser Zusammenschlüsse vor wachsende Probleme stellt (siehe Kasten).
Pflücker*innen, die die knallroten Kaffeekirschen ernten, sind rar und verlangen deshalb deutlich höhere Löhne als früher. Für sie, aber auch für die Kinder der Kaffeebauern, seien die hohen Löhne in den USA überaus verlockend, so Deniz Orlando Cortez. Der 34-jährige war vor rund zehn Jahren an dem gleichen Punkt wie der fünf Jahre jüngere Balbino es heute ist. Das gleiche gilt für acht weitere junge Kaffeebäuerinnen und -bauern aus der Region San Andrés, die 2021 über San Pedro Sula, Guatemala und Mexiko den risikoreichen Weg in die USA einschlagen wollten. Orlando Cortez und Guevara konnten sie davon abbringen, indem sie Hilfe anboten und ihren Worten auch gleich Taten folgen ließen.
„Wir haben den acht einen Kaffeeröster geschenkt, 20 Bienenvölker und unsere Unterstützung bei den Banken, mit den Eltern und bei der Schulung angeboten“, sagt Orlando Cortez. Er hat sich dabei an seine eigenen Erfahrungen im Jahr 2021 erinnert. Damals wollte er ebenfalls gehen, doch sein Vater habe ihn gebremst. „Sieben Hektar Brachland hat er mir damals überlassen, wo ich meinen ersten eigenen Kaffee anbauen konnte“, erinnert er sich. Heute bewirtschaftet er rund 20 Hektar in Eigenregie, hat somit einen der größeren Betriebe und berät die Asoprosan-Genoss*innen bei der Auswahl und Pflege der Kaffeepflanzen.
Außerdem kann er zuhören. Orlando Cortez weiß um die Sorgen der Jugendlichen aus der Region, die genau wie ihre Altersgenoss*innen in anderen Anbauregionen händeringend nach Zukunftsperspektiven suchen. „Die Abwanderung und der Klimawandel haben dafür gesorgt, dass Honduras auf dem Kaffeeweltmarkt an Bedeutung verliert“, beschreibt der Genossenschaftsgeschäftsführer die Situation. „Wir sind vom 5. auf den 6. Platz unter den Anbauländern zurückgefallen.“
Diese Sorge teilt er mit seinem Kollegen Rodolfo Peñalba, dem Geschäftsführer der weiter südlich in Marcala liegenden Genossenschaft „Comsa“. Rund 1.600 Mitglieder beiderlei Geschlechts hat dieser Zusammenschluss. „Wir müssen mehr tun für die Jugend, Perspektiven im eigenen Land bieten und appellieren seit Jahren an die Regierung, mehr in Bildung, ländliche Infrastruktur und Beratung zu investieren“, so Peñalba. Sein Wort hat durchaus Gewicht, denn Comsa ist zumindest in Honduras ein großer Anbieter und sehr erfolgreich beim Verkauf des Kaffees der Genoss*innen. Das Gros der Ware geht nach Deutschland, aber auch nach Luxemburg, Belgien, Frankreich und vermehrt nach Asien.
Das Gros der Ware geht nach Deutschland, aber auch nach Luxemburg, Belgien, Frankreich und vermehrt nach Asien.
Verantwortlich für den Erfolg sind nicht nur die guten Kontakte von Comsa, sondern vor allem die nachhaltige, ökologische Produktion, für die Biodünger produziert wird und für die Abertausende von schattenspendenden Bäumen gepflanzt wurden. In der Qualität hat sich das positiv bemerkbar gemacht; ein Grund, weshalb Carlos Guevara und Deniz Cortez immer wieder Genoss*innen aus San Andrés nach Machala schicken, um sich die angewendeten Methoden anzusehen. „Wir brauchen Expertise, müssen gemeinsam neue Perspektiven für unsere Jugend aufbauen und die Regierung auffordern, mehr zu tun“, sagt Carlos Guevara. Bei Comsa und anderen innovativen Kaffeekooperativen stimmt man ihm uneingeschränkt zu.
Auf behördlicher Ebene ist allerdings bislang wenig passiert. Den vollmundigen Erklärungen der Regierung von Präsidentin Xiomara Castro, die Anfang 2022 ankündigte, mehr gegen die Auswanderung tun zu wollen, sind bisher kaum Taten gefolgt. Derzeit verlassen laut verschiedener Menschenrechtsorganisationen zwischen 700 und 1.000 Menschen täglich das mittelamerikanische Land. Das ist in Guatemala und El Salvador nicht viel anders, obwohl der Tripp per Schleuser in die USA rund 12.000 US-Dollar kostet. Für viele ist es das wert, wie Rodolfo Peñalba nahelegt: „Ich bekomme immer wieder zu hören, dass die Honduraner, Frauen wie Männer, schon am Tag nach ihrer Ankunft in den USA Jobs bekommen.“
Das mag sicherlich nicht für alle gelten, zeigt aber, dass die US-Wirtschaft nach wie vor Jobs generiert, die von US-amerikanischen Lohnerwerbstätigen nicht übernommen werden. Für die kaffeeproduzierenden Regionen in Honduras und den Nachbarländern ist das eine schlechte Nachricht. „Wir können bei den Löhnen nicht mithalten, dürfen aber nicht tatenlos zusehen“, sagt Peñalba über die Abwanderung.
Carlos Guevara und Deniz Orlando Cortez stimmen ihm zu. Die beiden haben sich entschieden, mehr gegen diesen Trend zu tun. Sie haben den Kontakt zu den Kindern von Kaffeebäuerinnen und -bauern intensiviert und die Gründung einer Jugendorganisation angestoßen. Da trifft sich nun der Nachwuchs im Alter von rund 25 Jahren, tauscht sich aus und koordiniert die Zusammenarbeit.
„Alle helfen sich gegenseitig“, so Dilcia Vasquez und Osman David Cortez. Die beiden gehörten zu den bereits erwähnten acht Asoprosan-Genoss*innen, die 2021 kurz davor waren, sich einer Karawane in Richtung USA anzuschließen. „Heute sind wir froh, dass wir geblieben sind“, sagt Vasquez: „Ich koordiniere die Arbeit unser Imker*innen, Osman die des Röstteams.“
Sowohl der Honig, im letzten Jahr immerhin rund 2.400 Liter, aber auch der Kaffee der Jugendgruppe erfreuen sich in der Region wachsender Nachfrage. Das gilt auch für San Pedro Sula und Tegucigalpa, die beiden größten Städte des Landes. Innerhalb der 20-köpfigen Jugendgruppe von Asoprosan sorgt das für Euphorie. So wird derzeit über eine Anlage für das Schleudern des Honigs und die Abfüllung diskutiert. Auch die Produktion der beiden eigenen Kaffeemarken wird kontinuierlich ausgebaut. „Heute sehen wir die Perspektiven, die uns 2020/21 fehlten“, meint Osman David Cortes, der gerade am Röster steht. Er ist genauso wie Dilcia zum Gesicht der Jugendorganisation der Genossenschaft geworden. Gemeinsam werben sie heute für den Aufbau eigener Projekte und den Verbleib in der Region.
Das hat die beiden Asoprosan-Geschäftsführer sogar dazu inspiriert, eine ganz besondere Bohne, nämlich den „Café Antimigrante“, den Anti-Auswanderungs-Kaffee, aufzulegen. Der wird unter anderem vom deutschen Fairtrade-Handelshaus „Gepa“ gekauft und ist ein feiner Gourmet-Kaffee, zu dem auch Ricardo und Balbino Cortez ihre Bohnen beisteuern. Bohnen, die für Perspektiven sorgen sollen.
Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.
Auswanderung: Alltag in Mittelamerika
(Knut Henkel) – Auswanderung ist eine Realität, die in Mittelamerika – und dort vor allem in El Salvador, Honduras und Guatemala – zum Alltag gehört. 300.000 Menschen pro Jahr waren es Schätzungen zufolge bereits in den 1990er-Jahren, die sich aus den drei Ländern des Tríangula Norte, des nördlichen Dreiecks, auf den Weg machten. Verlässliche Statistiken gibt es auch über die Zahl der heutigen Migrant*innen nicht, denn viele von ihnen ihr Land über die grüne Grenze statt über einen offiziellen Grenzübergang verlassen. Seit Herbst 2018 schließen sich die Menschen zu ihrer eigenen Sicherheit häufig zu großen Karawanen in Richtung USA zusammen (siehe „Die Bestie bremsen“ in woxx 1502). Im Jahr 2023 wurden von dort allein nach Honduras 75.875 Menschen abgeschoben – doch die Dunkelziffer ist hoch. Die Gründe für die Auswanderung der Menschen sind bekannt: fehlende Perspektiven, ein hohes Maß an Kriminalität und eine ineffektive, korrupte Justiz. Es handelt sich um strukturelle Probleme, die sich nur mit mehr Kooperation und Unterstützung für demokratische Prozesse lösen lassen.
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