Kolumbien
: Die FARC wird demobilisiert


Die Delegierten der dienstältesten Guerilla Lateinamerikas haben auf ihrer Konferenz das mit der kolumbianischen Regierung geschlossene Friedensabkommen angenommen. Nun müssen sich die Farc als politische Partei bewähren.

Von der Volksarmee zur Volkspartei? Ob die Farc ihr Image etwas verbessern konnten, wird sich zeigen, wenn am 2. Oktober die kolumbianische Bevölkerung ihrerseits über den Friedensschluss mit der Guerilla entscheiden wird. (Foto: Wikipedia)

Von der Volksarmee zur Volkspartei? Ob die Farc ihr Image etwas verbessern konnten, wird sich zeigen, wenn am 2. Oktober die kolumbianische Bevölkerung ihrerseits über den Friedensschluss mit der Guerilla entscheiden wird. (Foto: Wikipedia)

So sehr sie sich auch bemühen, der berühmte Funke will nicht überspringen. „Salsa-n-Groove“ heißt die Band, die auf einer Bühne mitten auf einem Acker in der Yarí-Ebene im kolumbianischen Departamento Caquetá steht. Immer wieder ruft der Sänger die Zuhörer zum Tanzen auf, doch die meisten bleiben auf ihren weißen Plastikstühlen sitzen. Erst als die Band aus der Hauptstadt Bogotá die Bühne verlässt und die „Rebeldes del Sur“, ein Folkloreorchester der Guerilla Farc, zu spielen beginnen, erheben sich die Guerilleros und Guerilleras, um sich im Paartanz und in Gummistiefeln elegant über den Acker zu bewegen. Auf der Leinwand über ihnen prangt der Schriftzug „10. Nationale Guerillakonferenz“ und die Silhouette des Konterfeis von Manuel Marulanda, genannt „Tirofijo“, jenes legendären Kommandeurs, unter dessen Führung die Farc zur schlagkräftigsten Guerilla des Kontinents wurden und der 2008 nach mehr als 40 Jahren in den Reihen der Rebellen starb.

Die Guerillakonferenz ist die höchste Entscheidungsinstanz der Farc, auf ihr haben die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ vergangene Woche die zuvor bei den Friedensverhandlungen in Havanna mit der kolumbianischen Regierung getroffenen Vereinbarungen angenommen und damit zugleich ihre Auflösung als militärische Organisation beschlossen. Rund 1.000 Menschen hatten teilgenommen. Am Montag folgte dann die feierliche Unterzeichnung des Friedensabkommens, bevor am 2. Oktober die kolumbianische Bevölkerung in einem Volksentscheid über den Friedensschluss mit den Farc abstimmen muss. Danach beginnt der Demobilisierungsprozess der rund 8.000 Kämpferinnen und Kämpfer der Farc. Damit endet die Geschichte der ältesten noch aktiven Guerilla Lateinamerikas, die nun als rein politische Organisation weiterbesteht.

Die Farc sind nach leninistischen Prinzipien organisiert und hatten nach ihrer Lossagung von der Kommunistischen Partei Kolumbiens (PCC) ihre eigene, klandestine Kaderpartei gegründet. „Das bedeutet, dass jede Farc-Einheit, vom Sekretariat, dem obersten Führungsgremium, bis zur kleinsten Kampfeinheit, militärische und zugleich politische Zelle ist“, erklärt der Kommandeur Adalberto auf der Guerillakonferenz. „Wir sind ein Kollektiv mit demselben Ziel. Jedes Mitglied unserer Organisation wird dir unabhängig von seinem Rang dasselbe über unsere politischen Positionen sagen.“

Politischer Schwerpunkt der Farc war stets ein grundlegender Wandel der Agrarpolitik.

Adalberto ist einer von Hunderten Guerilleros und Guerilleras, die auf der Konferenz dafür sorgen, dass die zu Hunderten angereisten Medienvertreter und Wissenschaftler dem letzten Akt in der mehr als 50-jährigen Geschichte der Farc als bewaffneter Organisation beiwohnen können. Mit dem erfolgreichen Abschluss der Friedensverhandlungen im August, bei denen unter anderem eine Agrarreform beschlossen wurde, kehren die Farc als ziviler Akteur auf die politische Bühne zurück. Zehn Sitze im Kongress stehen ihnen in der kommenden Legislaturperiode zu, die die Jahre 2018 bis 2022 umfasst. Damit werden sie aus dem Stand neben der linken Sammelpartei „Polo Democrático“ zur wichtigsten linken Oppositionspartei.

Politischer Schwerpunkt der Farc war stets ein grundlegender Wandel der Agrarpolitik. Das Agrarprogramm, das sie in ihrem Gründungsjahr 1964 beschlossen, hatte bis in die Neunzigerjahre unverändert Bestand. Nun haben die Farc in Havanna eine Agrarreform ausgehandelt, die im Falle ihrer Umsetzung die weitreichendste in der über 200-jährigen Geschichte Kolumbiens werden könnte. Allerdings spielen antikapitalistische Grundsätze mittlerweile eine geringere Rolle. „Wir widersetzen uns der Agrarindustrie nicht“, sagt Pablo Catatumbo, Mitglied des Farc-Sekretariats am Rande der Guerillakonferenz. „Im Gegenteil: Wir begrüßen technische Verbesserungen im Agrarsektor. Wir sind aber gegen ein Modell, in dem die Menschen keine Kleinbauern mehr sein können.“

Ideologisch haben sich die Farc in den vergangenen vier Jahren flexibler gezeigt als je zuvor. Sorgte die Kaderstruktur der Organisation einerseits für eine interne politische Kohäsion, ist in Havanna andererseits deutlich geworden, dass sie sich neuen Einflüssen geöffnet und von alten Forderungen verabschiedet hat. Der Kampf gegen das Patriarchat und die rechtliche Gleichbehandlung von LGBTI-Personen fanden Einzug in die politischen Forderungen. Eine Begrenzung des Landbesitzes kolumbianischer Großgrundbesitzer und ausländischer Investoren konnten die Guerilleros in Havanna aber nicht durchsetzen. „Der Marxismus in der leninistischen Interpretation der Farc ist politisch begraben“, stellt der Schriftsteller und Soziologe Alfredo Molano im Gespräch mit der woxx fest. Seiner Ansicht nach könnten die Kapitalismuskritik von José Mujica, des ehemaligen Präsidenten Uruguays und Mitglieds der Stadtguerilla Tupamaros, und eine Gesellschaftskritik verknüpft mit ökologischen und sozialen Themen, wie sie Papst Franziskus artikuliert, ideologische Wegweiser sein.

Auch verbal haben die Farc abgerüstet. Ihre mit Metaphern geschmückte Revolutionssprache – wer sie verwendet, wird in Kolumbien „mamerto“ genannt, eine Art links-intellektueller Nerd – ist einem nüchtern argumentierenden Duktus gewichen. Das kommt besonders bei der urbanen Mittelschicht besser an. Gerade jene Menschen, deren Alltag mehr demjenigen in modernen Großstädten ähnelt als dem in abgelegenen kleinbäuerlichen Regionen, in denen die Farc gesellschaftlichen Rückhalt haben, hatten in der Vergangenheit meist wenig Sympathien für die Guerilleras und Guerilleros aufbringen können.

Diese Sichtweise wurde zum einen durch die oft einseitige Berichterstattung der Medien gefördert, vor allem während der Präsidentschaft Alvaro Uribes in den Jahren 2002 bis 2010, als die „Narco-Terroristen“ der Farc als Grund allen Übels der kolumbianischen Nation dargestellt wurden. Zum anderen haben die Farc mit Entführungen und schweren Menschenrechtsverletzungen selbst zu diesem Bild beigetragen. Ob sie ihr Image etwas verbessern konnten, wird sich zeigen, wenn Anfang Oktober die kolumbianische Bevölkerung ihrerseits über den Friedensschluss mit der Farc entscheiden wird. Umfragen sehen derzeit eine deutliche Mehrheit von rund 70 Prozent für die Annahme des Abkommens.

Allerdings ist schwer absehbar, inwieweit es in Zukunft zu politischen Allianzen mit anderen linken Kräften kommen wird. Einerseits hat die gesellschaftliche und parlamentarische Linke fast enthusiastisch für die Annahme der Vereinbarungen beim Volksentscheid am 2. Oktober geworben. Die Linken hoffen, dass der Frieden nicht nur zum Schweigen der Waffen, sondern generell zu einer demokratischen Öffnung führt und grundlegende soziale und politische Veränderungen ermöglicht. Doch die innerlinken Gräben zwischen sozialdemokratischen Kräften, den einflussreichen Maoisten und den kommunistischen Gruppen sind zu groß, als dass etwas ähnliches wie Mujicas Bündnis „Frente Amplio“ (Breite Front) in Uruguay in naher Zukunft möglich erschiene.

Der Berater des bisherigen Farc-Oberkommandierenden Timoléon Jímenez, Gabriel Ángel, sagte im Gespräch mit der woxx, die Farc hofften, dass ihre Präsenz als Partei wie ein Katalysator für die Einheit der Linken und über sie hinaus wirken werde: „Wir kommen mit einer machtvollen Waffe in der Hand: Die Vereinbarungen von Havanna haben enormes Transformationspotenzial.“

David Graaff arbeitet als freier Journalist in Kolumbien und war während der Farc-Konferenz in El Diamante vor Ort.

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