Kubas Kulturszene: Kein Tod fürs Vaterland

Seit Monaten schwellt ein Konflikt zwischen Kubas unabhängiger Kulturszene und der Regierung. Dutzende von Künstler*innen wehren sich gegen Repression, Regulierung und Zensur, fordern Meinungsfreiheit und freie Kunst. Nun sorgt ein Video für weitere Spannungen und internationale Aufmerksamkeit.

Solidarität mit den Aktivist*innen der „Bewegung San Isidro“ (MSI): Protestaktion vor dem kubanischen Kulturministerium in Havanna am 27. November 2020. (Foto: EPA-EFE/Ernesto Mastrascusa)

„Patria o muerto“, Vaterland oder Tod, lautet die omnipräsente Parole der kubanischen Revolution. Diesen markigen Worten, die auf Fidel Castro zurückgehen, steht Mitte Februar der Slogan „Patria y Vida“ gegenüber: Vaterland und Leben. So haben sechs kubanische Musiker ihre „Hymne der Hoffnung“ benannt und am 17. Februar ins Netz gestellt. Das auf allen Plattformen gepostete Video ist ein gesungener und gerappter Appell für den Wandel auf Kuba. „Es reicht“, heißt es da. „Cuba verlangt Freiheit, nicht weitere Doktrin. Jetzt rufen wir nicht mehr Vaterland oder Tod, sondern Vaterland und Leben“.

Die Musik ist mit Bildern von der Räumung einer Wohnung in der Altstadt von Havanna unterlegt, die von der „Bewegung San Isidro“ (MSI) genutzt wurde, einer Organisierung der unabhängigen Kunstszene. Auch die anschließende Demonstration vor dem Kulturministerium am 27. November 2020 ist zu sehen, dazu Szenen von Polizisten, die Menschen anhalten, ihnen Plakate entreißen und sie abführen.

Ereignisse wie das Video sind für kubanische Verhältnisse außergewöhnlich, daher ging es auch viral und sorgt wie der Song für immense Furore. 900.000 mal wurde der Clip allein auf YouTube geklickt, und etliche Künstler, Intellektuelle und Aktivisten haben es auf Facebook und anderen Plattformen geteilt. Auch an der Regierung ging dies nicht vorbei. Anders als sonst hat sie auf allen Kanälen reagiert. Am Freitag vergangener Woche startete sie, angeführt von Ex-Kulturminister Abel Prieto, eine Kampagne. Prieto bezeichnete das Lied als „musikalisches Pamphlet“ und die Musiker als „traurigen Chor von Annexionisten, der das eigene Land angreift“. In der „Antena Cubana“, einem staatlichen Fernsehkanal, verwahrte sich ein jugendlicher Moderator gegen die Diskreditierung der Revolutionsparole „Vaterland oder Tod“, während Kollegen von ihm darauf verwiesen, dass Song und Video in Miami produziert worden seien. Die Künstler hätten sich vor den Karren der exilkubanischen Rechten spannen lassen. „Mercenarios“, Söldner, seien sie, so die Schlussfolgerung. Das Wort vom Söldner hat in Kuba derzeit wieder Konjunktur in den staatlichen kubanischen Medien.

Anfang Februar beispielsweise hatte die „Granma“, das Zentralorgan der kommunistischen Partei, der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera einen Aufmacher gewidmet, in dem kein gutes Haar an ihr gelassen wurde. Bruguera war bereits auf der Documenta in Kassel, am Museum of Modern Art in New York und in der Tate Gallery in London zu sehen; sie ist also keine Unbekannte. Aber unbequem.

Kubas ehemaliger Kulturminister Abel Prieto bezeichnete das Lied als „musikalisches Pamphlet“ und die Musiker als „traurigen Chor von Annexionisten, der das eigene Land angreift“.

Bruguera gehört zu den Künstlern, die im Sommer 2018 gegen eine Gesetzesvorlage mobil machten, mit welcher der kubanische Kunstbetrieb reguliert werden sollte. Der Raum für unabhängige, kritische Kulturprojekte war in Gefahr. Mit Performances, Konzerten und Lesungen gingen Kunstschaffende daraufhin in die Offensive und lancierten parallel dazu eine Kampagne im Internet. Die war durchaus erfolgreich, wenn auch nicht durchschlagend.

Das sogenannte „Gesetz 349“ ist mittlerweile gültig. Jedoch hatte die Regierung im Dezember 2018 Umsetzungsbestimmungen versprochen, die den Ängsten der unabhängigen Kunstschaffenden Rechnung tragen sollten. „Doch die sind nie gekommen,“ kritisiert Michel Matos, der vom ersten Tag an dabei war und zum MSI gehört. Im Sommer 2018 aus dem Widerstand gegen das Gesetz gegründet, ist die Bewegung seither immer wieder aktiv geworden. Gegen die Verabschiedung eines Gesetzes zur Regulierung des Kinos hat die dreißigköpfige Gruppe ebenso mobil gemacht wie gegen jenes Gesetz, das Sanktionen für freie Journalisten und unabhängige Medien vorsieht.

Die Gesetze sind zwar dennoch rechtskräftig geworden, doch der Konflikt zwischen Regierung und der unabhängigen Kunstszene schwelt weiter. Im MSI sehen die einen daher eine Speerspitze der freien Kunst, die anderen eine Rotte von Konterrevolutionären. „Die Regierung versucht, die Kunst in einen strafrechtlichen Rahmen zu pressen und Zensur zu institutionalisieren – das ist nicht akzeptabel“, kritisiert Michel Matos, der als Dokumentarfilmer und Eventkoordinator arbeitet. Gemeinsam mit dem Dichter und Performance-Künstler Amaury Pacheco organisiert er viele Aktivitäten des MSI: Petitionen auf nationaler und internationaler Ebene gehören genauso dazu wie Anfragen bei den verantwortlichen Ministerien sowie kleine und größere Protestevents.

Das sorgt auch international für Aufsehen. Zuletzt Mitte November vergangenen Jahres, als die Gruppe gegen die Verurteilung des kritischen Rappers Denis Solís zu einer achtmonatigen Haftstrafe protestierte. Der wegen Beamtenbeleidigung angeklagte Solís hatte keine Ahnung, dass der betreffende Staatsdiener, der eines Tages einfach so seine Wohnung betrat, ein Polizist war. Er trug keine Uniform und wies sich nicht aus. Vor Gericht habe Solís noch nicht einmal einen Anwalt gestellt bekommen, so Matos und Pacheco vom MSI. Dagegen machte die Gruppe auf Facebook und anderen sozialen Netzen mobil, schrieb Petitionen. Mehrere MSI-Mitglieder traten in einen Hungerstreik. Um weiteres internationales Aufsehen zu verhindern, drang die Polizei in den frühen Morgenstunden des 27. November unter einem Vorwand in eine vom MSI als Treffpunkt genutzte Privatwohnung ein.

Das rabiate Vorgehen der Polizei, die die Aktivist*innen, darunter auch mehrere Journalist*innen, zum Verhör abführte, löste eine Welle der Solidarität aus. Zwischen 300 und 800 Menschen sollen noch am selben Tag vor dem Kulturministerium gegen die Festnahmen protestiert haben, wie verschiedene Quellen berichteten. In Kuba sei dergleichen ein Novum, meint die Schauspielerin Lynn Cruz, die vor Ort war. Genauso wie Michel Matos, der zu den rund 30 Aktivist*innen gehörte, denen schließlich gestattet wurde, mit Vizeminister Fernando Rojas über Repression und Zensur in Kuba zu sprechen: „Da ging es nicht mehr um die Rücknahme der verschiedenen Gesetze, sondern um die Einhaltung der in der Verfassung garantierten Grundrechte“, meinte Matos wenige Tage nach dem Treffen.

Die Hoffnung auf einen Dialog, der einen Wandel ermöglichen könnte, war da bereits wieder verpufft. In den darauffolgenden Wochen waren immer wieder Polizeiautos vor dem Haus, in dem er wohnte, aber auch vor den Wohnungen vieler anderer Aktivisten des MSI zu sehen. Ebenfalls betroffen: die Mitglieder der Gruppe „27N“; denn einige Teilnehmer*innen des besagten Treffens im Kulturministerium haben sich unter diesem Namen formiert. Zu ihnen zählt auch Tania Bruguera. Wie die Musiker des Songs „Patria y Vida“ ist sie als Söldnerin und Konterrevolutionärin verschrien, die mit den USA unter einer Decke stecke. Die Indizien hierfür sind dünn. Das Zentrum für Kunstaktivismus „Hannah Arendt“ beispielsweise, das Bruguera in der Altstadt aufgebaut hat, wurde nicht durch US-Gelder, sondern durch eine Crowdfunding-Aktion finanziert. Bruguera hat dies auf Facebook detailliert nachgewiesen. Sie plädiert für die Fortsetzung des am 27. November aufgenommenen Dialogs. Doch das wird immer unwahrscheinlicher.

Nicht zuletzt, weil Kulturminister Alpidio Alonso Grau Ende Januar mehrere Mitglieder der Gruppe 27N mutmaßlich handgreiflich attackierte. Anders sind die im Netz zirkulierenden Videos der Szenen, die sich unmittelbar vor Graus Amtssitz abspielten, kaum zu deuten. Das geplante Treffen im Kulturministerium war nach dem Tumult geplatzt und der Konflikt hat sich seitdem erneut vertieft. Anfang Februar wurde eine auch im Internet kursierende Petition zur Entlassung des Ministers mit 1.200 Unterschriften dem kubanischen Parlament übergeben. Auch etliche international bekannte Musiker haben unterzeichnet. Die Überbringerin, Carolina Barrero, Kunsthistorikerin und Mitglied der Gruppe „27N“, wurde anschließend verhört. Polizeibeamte hätten ihr nahegelegt, Kuba zu verlassen, wie Barrero nachher berichtete.

Nicht wenige Intellektuelle haben genau dies in der Vergangenheit gemacht. Das jedoch soll nicht mehr passieren. Dableiben, für den Wandel eintreten, das ist auch die Botschaft von „Patria y Vida“. Und von Musikern wie dem Rapper Maykel „El Osorbo“ Castillo, der an dem Clip beteiligt war. Auch er gehört dem MSI an und zu den zwanzig Mitgliedern der Gruppe, für die am 11. Februar die Interamerikanische Menschenrechtskommission bei der kubanischen Regierung Schutzmaßnahmen einforderte. Ob das etwas bewirken wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls zeigt es, wie tief der Graben zwischen der unabhängigen Kulturszene und dem offiziellen Kuba derzeit klafft.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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