Das kritische Kunstkollektiv „Richtung22“ muss die Räumlichkeiten im kulturellen „Tiers-lieu“ in Esch nun doch verlassen. Verwaltet wird das Gebäude von der umstrittenen Asbl „frEsch“.

Die Räumlichkeiten von Richtung22 im Bâtiment 4: Zentrum kritischer Kunst in Esch, das es bald nicht mehr geben soll. (Foto: Richtung22)
Der Konflikt zwischen dem Kunstkollektiv Richtung22 und dem Escher Kulturverwaltungsverein frEsch ist Anfang des Monats in eine neue Phase eingetreten. Wie das politisch engagierte Kollektiv in einem Social-Media-Post öffentlich machte, muss es bis Ende April das als kultureller „Tiers-lieu“ fungierende Bâtiment 4 in Esch verlassen. Eigentlich habe die Situation nach monatelangem Warten endlich besser ausgesehen, schreibt Richtung22. Zwischen den Vertreter*innen des Kollektivs und der Kulturvereinigung habe es vor Kurzem sogar ein persönliches Treffen gegeben.
Dieses führte jedoch nicht zu einer Aufweichung der Fronten und so wird der Umzug des Kollektivs tatsächlich bald erforderlich. Schon im Frühling des vergangenen Jahres hatte sich der Disput zwischen Richtung22 und dem Verein zugespitzt, als der Künstler*innengruppe zum ersten Mal die Verbannung aus dem Bâtiment 4 bevorstand (siehe woxx 1784 und 1785). Damals betonte frEsch, dass es sich nicht um einen „Rauswurf“ handele, sondern die Nutzungsvereinbarung mit Richtung22 planmäßig ende und „lediglich“ der Vertrag nicht verlängert werde.
Wie frEsch im Mai 2024 in einer Pressemitteilung betonte, gründete die Entscheidung, den Vertrag nicht zu verlängern, auf einer vom Verein durchgeführten „Analyse“. Dabei sei man zum Schluss gekommen, dass das Kollektiv die Vorgaben – etwa zur Teilnahme am lokalen kulturellen Leben, der regelmäßigen Nutzung der Räume und des Putzens der Küche – nicht ausreichend erfülle. Richtung22 wies die Vorwürfe damals weitgehend zurück und betonte, dass kein internes Regelwerk existiere, auf das sich frEsch bei ihrer Kritik berufen könne. Außerdem habe die Gruppe nie eine Verwarnung erhalten, sondern sei mit einem Fait accompli konfrontiert worden.
Der medial viel beachtete Protest von Richtung22 zeigte Wirkung: Das Kollektiv durfte vorerst im kulturellen „Tiers-lieu“ bleiben – doch nun steht der Zwangsumzug an. Die Künstler*innen vermuten hinter dem Beschluss des Escher Kulturvereins, die Zusammenarbeit zu beenden, den Versuch, sie aufgrund ihres politischen Engagements gezielt zu marginalisieren. „Für uns ist klar: Dies ist der Versuch, uns möglichst viel zu schaden, uns loszuwerden“, schreibt das Kollektiv in ihrer Mitteilung. Immerhin gehörte die Künstler*innengruppe zu den schärfsten Kritiker*innen von Esch2022 (siehe woxx 1716) – der Kulturhauptstadt, mit deren Vorbereitung 2020 auch die Gründung der Asbl frEsch einherging.
Letztes Wort noch nicht gesprochen?

Auch das Büro im Bâtiment 4 gehört zum kreativen Zentrum des Kunstkollektivs. (Foto: Richtung22)
Richtung22 kritisierte in den vergangenen Jahren immer wieder lautstark die Kulturpolitik der Stadt Esch (siehe woxx 1714) und vor allem die Organisation frEsch, die nicht nur das Bâtiment 4, die Konschthal und das Bridderhaus verwaltet, sondern auch Großveranstaltungen wie die „Francofolies“, die „Nuit de la culture“ und die Architekturbiennale organisiert. So warf das Kollektiv frEsch unter anderem eine intransparente Budgetverteilung vor. Während Millionen für große Musikfestivals ausgegeben würden, bekämen lokale Künstler*innen nur eine minimale finanzielle Unterstützung, monierten die Künstler*innen. Sie bezogen auch Stellung im Finanzskandal um den wegen Steuerhinterziehung verurteilten Kulturschöffen Pim Knaff (siehe woxx 1790) und forderten seinen Rücktritt.
Außerdem machten sie auf den Interessenkonflikt des frEsch-Managements aufmerksam, da Pim Knaff nicht nur das Amt des Kulturschöffen bekleidet, sondern auch Präsident von frEsch ist. Diese Doppelfunktion, so lautet der Vorwurf, nutze er, um kulturpolitische Entscheidungen an der Opposition vorbei zu treffen. Überdies betreibe die Escher Kulturvereinigung unter seiner Führung Vetternwirtschaft und vergebe Aufträge an Bekannte – Anschuldigungen, welche die Verantwortlichen von frEsch wiederholt dementierten.
Der bald bevorstehende, auferlegte Umzug bringt Richtung22 in eine missliche Lage: „Wir sind mitten in der Saison, haben laufende Projekte und Arbeitsplätze, die an unsere Räume gebunden sind“, klagt das Kollektiv in seinem Posting. „frEsch ist bewusst, dass wir z. B. den 30. Mai einen nächsten Theaterauftritt haben, für den jetzt die Proben anfangen sollen – und wir jetzt unsere Proberäume verlieren.“ Die Künstler*innen wollen sich aber noch nicht geschlagen geben. Aktuell prüften sie, mit welchen Mitteln sie sich gegen die frEsch-Entscheidung wehren könnten, teilte eine Sprecherin von Richtung22 der woxx mit.
Die Konflikte rund um das Kulturprojekt „Bâtiment 4“ reichen übrigens über den Zwist mit Richtung22 hinaus: Erst vor Kurzem verließ die Escher Sektion von „déi Lénk“ den Verwaltungsrat von frEsch. Es herrsche eine allgemeine Intransparenz innerhalb der Organisation vor, klagte die Partei in einem Presseschreiben. Das Management des Bâtiment 4 habe das Fass aber letztlich zum Überlaufen gebracht. „Im Budget von frEsch bleiben nur noch Krümel für das Bâtiment 4 übrig und das Projekt bekommt weder finanziell noch personell die Mittel, die es braucht.“