Kunsthandwerk
: Der Chronist der giftigen Winde


Mit „zero panorama“ präsentiert der luxemburgische Künstler Serge Ecker im Ettelbrücker Cape seine Recherchearbeit zum sogenannten Anthropozän, also jenem Zeitalter, das durch den Eingriff des Menschen in die Natur gekennzeichnet ist.

(© Serge Ecker)

Passend zu manchen alkoholgetränkten Gesprächen, die nach der ein oder anderen Vorstellung im Kulturzentrum in Ettelbrück stattfinden, prangt über der Theke des dafür vorgesehenen Raumes der Schriftzug: ES´CAPE BAR´. Das damit einhergehende Versprechen, der Konfrontation mit der Realität entkommen zu dürfen, kann jedoch – zumindest in Zusammenhang mit dem von Ecker gewählten Thema – nicht eingehalten werden: Zwar ist der Saal außerordentlich groß und lässt eine gewisse physische Distanz zu den Exponaten zu, indes kann dies nicht für die mentale Auseinandersetzung gelten. Es gibt kein Entrinnen. Da hilft auch das feilgebotene Bier nicht.

Während zahlreiche Wissenschaft-
ler*innen den Übergang vom Holozän ins Anthropozän zeitlich bereits in der beginnenden industriellen Revolution verorten, hat Serge Ecker sich dafür entschieden, die Phase zwischen den ersten Atombombentests nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gegenwart zu behandeln. Aus seiner Recherche resultieren unter anderem ein nachgebauter hitzeabsondernder Reaktor sowie thermoaktive Kissen, die allesamt den Atomreaktoren in Fukushima nachempfunden sind. Außerdem werden drei „Teppiche“ ausgestellt, die anhand einer gehackten Trikotage-Maschine angefertigt wurden und durch die Palmöl-Industrie zerstörte Landschaften zeigen.

Zudem findet man mehrere fotografische Arbeiten von Ecker. Auf wissenschaftliche Lektüre gestützt, ermittelte er beispielsweise die Koordinaten von Orten, an den es zu harten Eingriffen in die Landschaft seitens des Menschen kam und betrachtete diese wiederum mithilfe von Google Earth. Der dabei entstandene Bilder-Datensatz erfuhr in einem weiteren Schritt eine Re-Materialisierung, da Ecker die erzeugten Screenshots abfotografierte und sie nun in Form von kleinformatigen, aber dafür nicht weniger vielschichtigen Polaroids präsentiert.

Durch die Auswahl der stark veränderten, teils unwiederbringlich zerstörten Landschaften lässt Ecker den luxuriösen Gedanken, sich in einem gewissen Sicherheitsabstand zu lebensgefährlichen Katastrophen zu wähnen, verpuffen. Denn hier werden nicht nur extrem verschmutzte Städte in Sibirien und chinesische Mülldeponien gezeigt, sondern unter den geologischen Opfern sind auch Gelände in Saarbrücken, Wiltz und Düdelingen. Obwohl in keinem einzigen Exponat ein Mensch zu sehen ist, sind die menschlichen Spuren unübersehbar. Sie wirken wie stumme Zeugen eines Raubüberfalls, den der Mensch beging, als er diesen Gegenden ihre Identität entriss, ihrer Geschichte einen anderen Verlauf gab und sie somit zu sogenannten „Nicht-Orten“ machte. Sie bleiben Tatorte, zu denen man nicht wiederkehren kann, da das Betreten lebensbedrohlich geworden ist.

Serge Eckers Stärke besteht darin, dass er sich keinem wie auch immer gearteten Alarmismus hingibt. Er hat sehr wohl verstanden, dass es keines Vorschlaghammers bedarf, um mit voller Härte zu treffen. Durch die intensive Beobachtung seiner Umwelt stößt er auf Details, bei denen keine Übermalung oder Überbetonung notwendig ist, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Deshalb wohnt seinen Werken eine sehr eigene Ästhetik der Zerstörung und Grausamkeit inne, die keiner Inszenierung bedarf.

Dass er sich vom Künstlerbegriff distanziert und ihn als Selbstbezeichnung ablehnt, hat nichts mit falscher Bescheidenheit zu tun, sondern mit der Tatsache, dass hier vor allem handwerkliche Kompetenz und Forschung zusammenfließen, um Gedanken eine Form zu geben, deren Benennung er den Betrachtenden überlässt. Für die Ausstellung „zero panorama“ musste Ecker keine neue Dystopie erschaffen. Er machte sich lediglich zum Chronisten der bereits existierenden.

Noch bis zum 22.03.2020 im 
Centre des arts pluriels Ettelbruck.

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