Die kamerunische Autorin Léonora Miano schreibt in „Sisterhood“ gegen eine eurozentristische Sicht auf Feminismus an, wobei ihr Umgang mit Queerness fragwürdig ist.
Léonora Miano fordert im Untertitel ihres Buches „Sisterhood“, 2022 in deutscher Übersetzung von Claudia Steinitz und Uta Rüenauver im Aufbau Verlag erschienen, einen „anderen Dialog zwischen den Frauen der Welt“. Éditions Grasset & Fasquelle publizierte die französische Originalausgabe 2021 unter dem Titel „Lʼautre langue des femmes“. Doch wie soll diese alternative Sprache klingen? Wer darauf eine einfache Antwort erwartet, sollte das Buch gar nicht erst in die Hand nehmen, denn Miano übt scharfe Kritik an westlichen Feminist*innen, aber auch an Frauenfiguren, die in subsaharischen Kulturkreisen glorifiziert werden.
Mit letzteren beschäftigt sich die Autorin in ihrem Buch vornehmlich: Sie sind Königinnen vergangener Jahrtausende, mythische Schöpfungsfiguren, Kämpferinnen und Rebellinnen. Miano schreibt in kurzen Kapiteln über Herrscherinnen, die sich gegen die Kolonialmächte auflehnten, genauso wie über ihre brutalen Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung. Miano bemüht sich zu differenzieren und das Vermächtnis der Heldinnen zu kontextualisieren. Neben der Begegnung mit kaltblütigen Königinnen und Prinzessinnen lernen die Leser*innen darüber hinaus viel über Bräuche von subsaharischen Frauen. Wissen Sie, was es mit der Protestform „sitting on a man“ auf sich hat? Miano gibt Antworten: „Diese Praxis, die bei den Igbo sitting on a man (…) oder making war on a man (…) hieß, bestand darin, in den Wohnsitz eines Mannes einzufallen, der einer Frau oder der Gemeinschaft der Frauen Unrecht angetan hatte.“ Wenn die politische Autorität der Frauen in der Gemeinschaft ignoriert wurde, kam es so zum Boykott oder Streik „um die Männer zur Ordnung zu rufen“. Die Frauen versammelten sich auf dem Grundstück des Mannes, tanzten, sangen beleidigende Lieder, verspotteten ihn, manchmal kam es zu Sachbeschädigung und Gewalt.
1929 stand die Praktik am Anfang der Aba-Frauenaufstände im Südosten Nigerias; zwischen 1958 und 1961 spielte eine vergleichbare Protestform eine Rolle bei der Anlu-Rebellion im Kamerun. Beide Aufstände richteten sich gegen die Kolonialmächte und ihre Verordnungen, die von ihren designierten Verwaltern, auch „warrant chiefs“ genannt, ausgeführt wurden. Einige der subsaharischen Gemeinschaften seien damals führungslos gewesen und dort, wo es lokale Führungspersonen gab, „bedienten sich die Kolonisatoren entweder derjenigen Führer, die mit ihnen zusammenarbeiten wollten, oder sie ersetzten die rechtmäßigen Führer durch andere.“ Durch die Aba-Frauenaufstände wurden die „warrant chiefs“ von der britischen Kolonialmacht abgesetzt und lokale Bräuche wurden in das Verwaltungssystem einbezogen – aber erst nachdem die Kolonialmacht als Reaktion auf die Aufstände mehrere Dörfer in Brand gesetzt, Entschädigungen eingefordert und an zwei Tagen 58 Protestlerinnen getötet hatte. Die Anlu-Rebellion legte das öffentliche Leben für drei Tage still. Die Frauen schufen eine alternative Verwaltung, geleitet von zwei Anführerinnen.
Zu subsaharischen Frauenbewegungen und queeren Königinnen
Dies sind nur zwei von zahlreichen Frauenbewegungen, die Miano in ihrem Buch aufführt und die ein beeindruckendes, jahrhundertelanges Engagement afrikanischer Frauen bezeugen. Interessant ist, dass Miano diese ungern als feministisch bezeichnet. Die Bestrebungen der subsaharischen Frauen brauchten kein Etikett. Für Miano ist das „Attribut Feministin“ eine „Zwangsjacke“, in das jedes Engagement von Frauen gesteckt werde. Sie tritt ein für eine nicht näher erläuterte Selbstbezeichnung. Das rührt daher, dass Miano die Anliegen subsaharischer Frauen klar von denen anderer, insbesondere westlicher Frauen trennt. Ihre Ausgangspositionen, ihre Anliegen seien andere. Die subsaharischen Frauen „Feministinnen“ zu nennen, sei ein Zeichen von Dominanz und Hegemonie, weil es ihnen eine Definition aufzwinge, die die Betroffenen zum Teil gar nicht kennen würden.
An Mianos Argumentation ist nichts auszusetzen, doch dürften queerfeministischen Leser*innen manche Passagen sauer aufstoßen. Miano reduziert westliche Frauenbewegungen konsequent auf den Kampf für Gleichheit zwischen Frau und Mann. Sie klammert queerfeministische und intersektionale Bewegungen aus, die für die Gleichberechtigung aller marginalisierten Personengruppen eintreten. Zitate wie „Ganz normale westliche Frauen, die nicht Politikerinnen sind oder Konzerne leiten, durchstreifen genau wie die Männer, denen sie gleich sein wollen, die Länder des globalen Südens, um sich den Freuden des Sextourismus hinzugeben“ wirken haltlos, weil Miano die Hintergründe nicht konkret ausführt oder direkte Verbindungen zu Feministinnen aufzeigt. Einige Seiten weiter heißt es: „Heterosexuelle Frauen, die nicht misshandelt oder auf die Hausarbeit beschränkt werden wollen, wünschen sich im Intimleben oft einen starken, dominanten Partner. (…) Die meisten Frauen, einschließlich Feministinnen, würden sich von einem Mann abwenden, der gern Kleider trägt. (…) Ein Kleid ist für einen Mann keinerlei Aufwertung (…), ein Kleid anzuziehen führt zu keiner Befreiung.“ Beides sind problematische Verallgemeinerungen, unabhängig davon, auf welche Ethnie sich die Aussagen beziehen. Es gibt mit Sicherheit Männer, die es als befreiend empfinden, ein Kleid zu tragen – das zeigen allein cis-Männer im öffentlichen Leben, die sich selbstbewusst im Kleid auf dem roten Teppich präsentieren. Und was ist mit trans, nicht binären und queeren Personen, für die Kleidung wichtig für die Darstellung ihres Gender sein kann?
Zwar drückt Miano trans Personen an anderer Stelle ihre Solidarität aus, doch ist ihr Umgang mit Queerness und Gender die Schwachstelle des Buches. So deutet sie bei ihrer Präsentation der Königinnen Nzinga und Anima trans Identität und bisexuelle Neigungen an, doch relativiert sie gleichzeitig die queere Lesart der Figuren. Nzinga zwang ihre Liebhaber beispielsweise, sich wie ihre Frauenleibgarde zu kleiden, und verlangte, als Mann angesehen zu werden. Dazu schreibt Miano: „Mit einer ruhigen, ausgelebten Bisexualität und der Suche nach Lust statt nach Dominanz wäre sie für uns interessanter.“ Sie interpretiert Nzingas Praktiken als „Verachtung für alles Weibliche“, was für die Leser*innen unverständlich bleibt. Dasselbe gilt für Mianos Darstellung der Königin Anima. Sie nennt sie eine „garçonne“, die wie Nzinga als Mann auftrat und ihre Liebhaber zum Beischlaf zwang, um sie am Folgetag zu enthaupten. Miano spricht hier kurz von Queerness, sorgt aber ein paar Seiten weiter für Verwirrung, wenn sie meint: „Dass wir es wagen, sie uns queer vorzustellen, wird Menschen, die sich selbst so bezeichnen, ebenso schockieren wie diejenigen, die es ablehnen, dass man sich solche Spekulationen über die Heldin erlaubt.“ Warum das queere Menschen stören sollte, erklärt sie nicht.
Diese verwirrenden und unpräzisen Textstellen sorgen dafür, dass „Sisterhood“ am Ende zur durchwachsenen Leseerfahrung wird, obwohl das Buch grundsätzlich bereichernd ist: Es steht außer Frage, dass Léonora Miano bedeutende Wissenslücken schließt und besonders westlichen Feminist*innen zu Recht den Spiegel vorhält, denn wie soll ein „anderer Dialog zwischen den Frauen der Welt“ möglich sein, wenn sich die besagten Frauen nicht hinterfragen?