Literaturlegende
: Hunde, wollt ihr 
ewig sterben

Der US-Amerikaner Harry Crews wurde in Europa lange Zeit verkannt. Zu Unrecht, wie sein Spätwerk „Florida Forever“ zeigt.

Knurriger Außenseiter mit Blick aufs Abseitige: Der Schriftsteller Harry Crows wird in Film, Literatur und Musik zur Ikone der Popkultur stilisiert. (Foto: Internet)

„Als Johnson Meechum die drei Stufen zu seinem fuchsiafarbenen Double-Wide-Trailer hinaufstieg und die Tür aufstieß, wartete Mabel, seine Frau, drinnen bereits mit in die Hüften gestemmten Händen.“ Johnson und Mabel Meechum haben sich nach 60 Ehejahren nichts mehr zu sagen. Sie nehmen nur noch den Gestank des anderen wahr. „Sogar wenn ihn eine heftige Erkältung plagte, konnte er sie aus fünf Metern Entfernung riechen.“ Johnsons einzig ihm gebliebene Befriedigung ist es, mit seiner 22er Sportpistole in den nahen Sumpf zu ballern.

Mit dem Ehepaar Meechum beginnt Harry Crews’ in den 1970er-Jahren angesiedelter Roman „Florida Forever“. Die beiden gehören zu den Bewohnern des Trailerparks „Forever and Forever“ im Süden Floridas; allesamt Rentner, für die sich kein Mensch mehr interessiert und die ein kümmerliches Dasein in heruntergekommenen Wohnwagen fristen. Der Besitzer dieses Altenheims der besonderen Art ist „Stump“, ein abgehalfterter Veteran des Koreakrieges. Seinen Spitznamen hat ihm allerdings nicht der Militärdienst, sondern die Arbeit an der Häckselmaschine eingebracht, wobei er einen Unterarm verlor. Unverhofft zu Geld gekommen, hatte er sich das Grundstück gekauft, um den Trailerpark einzurichten und sich die Zeit mit Whisky und Bier zu vertreiben.

In „Forever and Forever“ herrscht Ruhe, Friedhofsruhe – bis „Too Much“ auftaucht. Von der jungen Frau heißt es, „sie sei achtzehn und mochte es durchaus sein, so viel gestanden sie ihr zu, aber eigentlich hätte sie eher wie vierzehn ausgesehen, wenn sie nicht, nun ja, zu viel gehabt hätte.“ Mit viel Sex und Selbstbewusstsein sorgt Too Much für neues Leben im Trailerpark. Sie verdreht nicht nur Stump, sondern auch den anderen Bewohnern der Wohnwagensiedlung den Kopf: „Ihr alten versteinerten Säcke, macht euch über den Tod keine Gedanken. Ich trage das Feuer des Lebens in mir, und ich werde jeden von euch damit beglücken. Macht euch keine Sorgen.“ Too Much reißt die gebrechlichen Bewohner aus ihrer Lethargie. Stump stellt fest, dass er nicht mehr der Boss in seinem eigenen Laden ist.

Sein Plan war es gewesen, die Alten ohne Aufsehen dahinsiechen zu lassen, und sie dabei ordentlich auszunehmen. Doch Too Much reanimiert die Senioren und gibt ihnen ihre Selbstachtung zurück. „Wenn ich damit fertig bin, dann funktioniert Forever and Forever womöglich so geschmiert wie die verfickte preußische Armee“, sagt sie und reißt die Herrschaft an sich, bis es zu einigen mysteriösen Todesfällen kommt.

Zeit seines Lebens blieb Crews ein Außenseiter des Literaturbetriebs, so wie viele seiner Figuren Außenseiter der Gesellschaft sind.

Mit schwarzem, gar morbidem Humor, einer derben Sprache und einem völlig unsentimentalen Blick auf das Älterwerden erzählt Crews seine Geschichte des körperlichen und seelischen Verfalls. Seine Dialoge sind lakonisch und in ihrer Doppelbödigkeit philosophisch. Sie sind voller Obszönitäten und zugleich voller Ironie. Crews zeigt ein Panoptikum von Versehrten und Verstümmelten. Er beschreibt dabei seine Figuren schonungslos realistisch, vermengt mit surrealen Elementen, lässt ihnen aber bei aller Kaputtheit trotzdem ihre Würde.

Die Geschichten des 1935 in einer Kleinstadt in Georgia geborenen Harry Crews sind radikal. Meistens handeln sie von Randfiguren der amerikanischen Gesellschaft und von den Schattenseiten des American Dream. Der Schriftsteller stammte selbst aus armen Verhältnissen. Mit 17 Jahren ging er zu den US-Marines, nahm am Koreakrieg teil und studierte danach an der Universität von Florida.

Crews erster Roman „The Gospel Singer“ erschien 1968, ein Jahr später gelang es ihm, sich mit „Naked in Garden Hills“ (1969) zu etablieren. Weitere Romane sind unter anderem „Car“, in dem beschrieben wird, wie ein Mann sein Auto verzehrt und „A Feast of Snakes“ (1976) über ein Klapperschlangen-Rodeo. Crews sprach in Interviews offen er über seine Alkohol- und Drogenexzesse, schrieb regelmäßig für Magazine wie „Esquire“ oder „Playboy“.

Seine Memoiren legte er 1978 unter dem Titel „A Childhood: The Biography of a Place“ vor. Das Buch handelt von der Armut und Gewalt in seiner Kindheit und Jugend. Weitere Romane erschienen ab Mitte der 1980er-Jahre. „Florida Forever“, 1998 unter dem Titel „Celebration“ im Original publiziert, kann bereits seinem Spätwerk zugerechnet werden.

Mit seinen Büchern hatte Crews durchaus Erfolg bei Lesern und Kritikern. Dennoch blieb er zeit seines Lebens ein Außenseiter des Literaturbetriebs, so wie viele seiner Figuren Außenseiter der Gesellschaft sind. Crews erkläre das „Abnorme zur Norm“, schreibt sein Übersetzer Gunter Blank im Nachwort der deutschen Ausgabe von „Florida Forever“. Nicht wenige von Crews Figuren haben eine Behinderung, so zum Beispiel der Ich-Erzähler von „The Gypsy’s Curse“ (1974): Er ist taubstumm, seine Beine sind von Geburt an verkümmert. Der Roman erschien 2006 unter dem Titel „Der Fluch“ auf Deutsch.

Crews, der als Professor für Literatur und kreatives Schreiben unterrichtete, wurde seit den 1980er-Jahren vom US-Underground umworben, die Sonic-Youth-Musikerin Kim Gordon sowie die Sängerin und Dichterin Lydia Lunch taten sich dabei besonders hervor. Ein gemeinsames, kurzlebiges Bandprojekt nannten sie konsequenterweise „Harry Crews“, das einzige Album der Combo trägt den Titel „Naked in Garden Hills“. Sean Penn drehte einen Film, in dem Crews auftrat – „The Indian Runner“.

In Europa jedoch wurde der Schriftsteller mit dem Image eines Redneck lange Zeit verkannt. Er blieb ein Geheimtipp, selbst noch nachdem der Bremer Verleger Stefan Ehlert, bei dem in der Vergangenheit beispielsweise Prosatexte der Punk-Legenden Lydia Lunch und Henry Rollins erschienen sind, in seinem Verlag Mox & Maritz drei Romane von Crews auf Deutsch vorgelegt hatte.

Im Jahr 2012 verstorben, wird Harry Crews wird häufig als Vertreter des „Southern Gothic“ bezeichnet, jener Subgattung der amerikanischen Literatur, deren Handlung hauptsächlich in den Südstaaten spielt und deren Merkmale makabre, groteske und ironische Momente ebenso wie exzentrische Figuren sind. In den Texten geht es häufig um Gewalt, Missbrauch oder Armut. Dieser Schublade werden auch Autoren wie Cormac McCarthy, Harper Lee und James Lee Burke zugeordnet. Aber Crews entzieht sich solcher Etikettierung. Seine insgesamt 15 Romane – vier davon sind bislang ins Deutsche übersetzt – sowie zahllose Short Storys, Essays und Reportagen, lassen sich nur schwer einordnen.

Gunter Blank schreibt, dass Crews „nie in ein Schema oder Genre passte“ und weist darauf hin, dass der Schriftsteller sich konsequent einer moralischen Position verweigert hat. Das hat wohl dazu beigetragen, dass ihm bisweilen Machismo und Sexismus vorgeworfen wurde.

Doch nicht Crews ist sexistisch und nicht seine Personen sind Freaks, sondern die Welt, die er beschreibt, ist eine bornierte, sexistische, rassistische und bigotte. Das ist nicht nur ein Klischee, das über die Südstaaten der USA kursiert, sondern eine Art „condition humaine“ in einer Gesellschaft, der Crews den Spiegel vorhält. Blank bringt dies auf einen Nenner, wenn er darauf hinweist, dass Crews „das Schlechte, das Niederträchtige im Menschen herauszufiltern“ vermag und „damit alle trifft: Männer, Frauen, Krüppel, Gesunde. Vor allem Gesunde.“ Crews zeichnet eine Groteske, die nichts anderes ist als Normalität, so wie der Süden oft als grotesk dargestellt wird. „Alles, was aus dem Süden kommt, wird vom Leser aus dem Norden als grotesk empfunden“, schreibt Flannery O’Connor, wie Crews aus Georgia, „es sei denn, es ist wirklich grotesk, dann nennt er es realistisch.“

Harry Crews – Florida Forever. 
Ins Deutsche übertragen von Gunter Blank. Metrolit Verlag, 280 Seiten.

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