Mieko Kawakami: All the Lovers in the Night

Mieko Kawakamis Roman „All the Lovers in the Night“ wurde 2022 vom Japanischen ins Englische übersetzt. Begeistert die Erfolgsautorin erneut mit sonderbaren Frauenfiguren?

„All the Lovers in the Night“ ist das dritte Buch von Mieko Kawakami, das seit 2020 von Sam Bett und David Boyd aus dem Japanischen ins Englische übersetzt wurde – doch kann es mit den anderen Werken mithalten? (Fotos: Isabel Spigarelli/woxx)

Fuyuko Irie ist freiberufliche Lektorin, Mitte dreißig und introvertiert. Die japanische Autorin Mieko Kawakami machte sie bereits 2011 zur Hauptfigur ihres Romans „Subete mayonaka no koibitotachi“, der letztes Jahr von Sam Bett und David Boyd unter dem Titel „All the Lovers in the Night“ ins Englische übersetzt wurde. Das Duo ist mit Kawakamis Werk vertraut: Es übertrug bereits ihre Romane „Breasts and Eggs“ (2020) und „Heaven“ (2021) ins Englische. Doch die Romane haben mehr gemeinsam als ihre Übersetzer.

Mieko Kawakami interessiert sich in den drei Werken für Außen-
seiter*innen und Frauen, die mit Normen brechen. In „Heaven“ geht es um zwei Jugendliche, die an der Schule Gewalt erfahren, in „Breasts and Eggs“ um einen differenzierten Blick auf Elternschaft und die Beziehung zum eigenen Nachwuchs. Die Hauptfiguren in „Breasts and Eggs“ und „All the Lovers in the Night“ sind in der Literaturbranche tätig, was für betroffene Leser*innen besonders in letzterem Roman interessant bis amüsant sein dürfte. Bei dem Satz „Nothing breaks a proofreader’s heart like a mistake you find after the book comes out“ fühlen vermutlich Lektor*innen, aber auch Autor*innen jeder Art mit. „All the Lovers in the Night“ passt aber nicht nur deswegen in den Kosmos der mehrfach ausgezeichneten Autorin Kawakami: Seine Hauptcharaktere stehen gleichermaßen im Kontrast zur Allgemeinbevölkerung und die Lebensrealität von Frauen ist wesentlich für die Erzählung. Darunter fallen auch sexualisierte Gewalterfahrungen und die Thematisierung der gesellschaftlichen Anforderungen an weiblich sozialisierte Personen.

Alkohol, Sex und Konflikte

Die Ich-Erzählerin Fuyuko hat Kommunikationsschwierigkeiten und ein Alkoholproblem, enge Freundschaften oder soziale Kontakte pflegt sie hingegen in der Regel nicht. Immer wieder hadert sie im Austausch mit anderen Figuren. „I lacked the confidence to speak well“, heißt es dazu an einer Stelle. Später im Roman beschreibt Fuyuko sich gar als „the dictionary definition of miserable“. Und trotzdem entwickelt sie im Laufe der Erzählung eine tiefe Verbundenheit zu Mitsutsuka, einem Mann, der ihr in einem Weiterbildungszentrum über den Weg gelaufen ist. Die Beziehung sorgt vor allem bei ihrer Auftraggeberin Hijiri Ishikawa für Fragen.

Anders als Fuyuko hat Hijiri wechselnde Sexualpartner und wird deswegen prompt von Noriko, einer anderen Frauenfigur im Buch, als rücksichtslose Männerfresserin, als Konkurrentin charakterisiert. Kawakami konfrontiert die Leser*innen in dem Zusammenhang mit drei Typen: mit einer unglücklich verheirateten Ehefrau, die ihren Mann betrügt; einer sexpositiven Karrierefrau und einer sexuell traumatisierten, unerfahrenen Single-Frau. Dabei interessiert sie nicht die Solidarität unter marginalisierten Menschen – sie ist auf Konfrontation aus. Neben den Spannungen zwischen Noriko und Hijiri, kommt es auch zwischen der wortkargen Fuyuko und Hijiri zum Streit. Hijiri reagiert verletzt auf Fuyukos Aussage, sie sei „not that kind of woman“, hätte trotz starker Gefühle keinen Sex mit Mitsutsuka. Für Hijri kommt das einer Kritik ihres eigenen Lebensstils gleich und sie vermutet hinter Fuyukos Zurückhaltung gesellschaftlichen Druck: „What are you scared of? What people think? You want men to think that you have something precious you’re protecting? (…) You’re full of the same base desires as the rest of us. (…) I don’t know why you think you’re so much better than I am.“

Der Umgang mit dem sexuellen Verlangen von Frauen und Sexualität im Allgemeinen beschäftigte Kawakami bereits in „Breasts and Eggs“. Dort brachte sie ähnlich konträre Meinungen zusammen: Natsuko, der Hauptfigur dieses Romans, fällt es wie Fuyuko schwer, eine romantische Beziehung einzugehen oder Sex mit jemandem zu haben. Gleichzeitig fühlt sie sich als Frau dazu verpflichtet, ihre Beziehungsperson sexuell zu befriedigen. In „All the Lovers in the Night“ geht es außerdem um Sex in der Ehe, der im Fall von Noriko seit Jahren nicht mehr stattfindet. In beiden Büchern spielen Männer eine eher untergeordnete Rolle, sind teilweise wichtige, aber durchaus verzichtbare Nebenfiguren, die den dominanten Frauencharakteren lediglich als Gegenspieler und der Autorin zur Veranschaulichung ihrer Ideen dienen. Kawakami schreckt demnach weiterhin nicht davor zurück, Themen aufs Papier zu bringen, die in der breiten Öffentlichkeit kaum besprochen werden, oder nur hinter vorgehaltener Hand.

Gleichzeitig wirft sie in ihren Romanen „Breasts and Eggs“ und „All the Lovers in the Night“ dringliche feministische Fragen auf: Was heißt es, Frau zu sein? Welche Rolle spielt das Gender in der Arbeitswelt? Wie begegnen Frauen einander, wenn sie potenziell in Konkurrenz zueinander stehen? Der sexualisierte Blick heterosexueller Männer auf Frauen, aber auch Kritik von Frauen an Frauen schwingen dabei immer mit. Genauso bröselt Kawakami in beiden Romanen das Konzept der Elternschaft auf: Die Protagonistinnen in „Breasts and Eggs“ haben alle auf ihre Art ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Nachwuchs oder zu ihren ungeborenen Wunschkindern; in „All the Lovers in the Night“ werden Kinder als Hürde zur Trennung, als Behinderung eines selbstbestimmten Lebens genannt. Besonders alleinerziehende, unverheiratete Mütter bieten in beiden Büchern Stoff zur Darstellung gesellschaftlicher Erwartungen an gebärfähige Personen. „An unmarried woman having a kid on her own is worse than murder“, heißt es in „All the Lovers in the Night“.

Trotz der Schwere der aufgeworfenen Themen ist „All the Lovers in the Night“, wie Kawakamis vorangehende Bücher auch, stellenweise unbeschwert, lustig, fast magisch. Das liegt zweifelsfrei an Kawakamis subtilem, manchmal schwarzem Humor; an den sonderbaren Charakteren, aber auch an melancholischen Zeilen wie diesen: „I was taken by this strange view of the evening, the city full of people – people waiting, the people they were waiting for (…), people heading home together. I allowed my thoughts to settle on the brightness filling their hearts and lungs, squinting as I walked along and counted all the players of this game that I would never play.“ Auch Fuyukos Faszination für Licht und ihre einsamen Spaziergänge verleihen dem Buch etwas Verträumtes, im Gegensatz zu ihren harten Lebenserfahrungen.

Gehört „All the Lovers in the Night“ in die Bücherregale aller, die sich für feministische Fiktion interessieren? Eindeutig. Hat sich die Autorin seit „Breasts and Eggs“ weiterentwickelt? Jein. An die Komplexität von „Breasts and Eggs“ kommt „All the Lovers in the Night“ subjektiv betrachtet nicht heran, denn dort holt die Autorin weiter aus, verleiht dem Buch durch die vielschichtige Besprechung medizinisch assistierter Reproduktion und formale Kniffe wie dem Wechsel der Erzählperspektive weitere Ebenen. „All the Lovers in the Night“ verharrt hingegen im Alltäglichen, ist mehr um die Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen bemüht und von der Form her schmucklose Prosa. Umso gespannter dürften Liebhaber*innen von Kawakamis Büchern auf ihren nächsten literarischen Streich sein.

„All the Lovers in the Night“, Mieko Kawakami, 
aus dem Japanischen von Sam Bett und David Boyd. 
Picador: 2022.

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