Niger und Westafrika: Spaltung nach dem Putsch

Das Militär hat den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum gestürzt. Die westlichen Staaten fordern seine Wiedereinsetzung, doch einige Länder der Region unterstützen das neue Regime im Niger. Es droht ein internationaler Konflikt.

Demo in Niamey: für den Putsch und gegen Frankreich. (Foto: EPA-EFE/Issifou Djibo)

Die Situation war tagelang verworren und unklar. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag voriger Woche begann der Militärputsch in Niamey, der Hauptstadt Nigers. Doch der im Februar 2021 gewählte Präsident Mohamed Bazoum residierte Mitte der Woche nach wie vor im Präsidentenpalast und trat nicht zurück. Die Residenz des Staatsoberhaupts wird von der Garde présidentielle, einer Elitetruppe, bewacht und liegt inmitten von deren Kasernen. Ihr Kommandant, General Abdourahamane Tchiani, war am Freitag voriger Woche als Anführer eines von Offizieren gebildeten Conseil national pour la sauvegarde de la patrie (CNSP) zum Staatschef proklamiert worden.

Bazoum befindet sich offenbar im Gewahrsam der Garde, konnte aber kommunizieren. Am Montag wurde bekannt, dass er in den Tagen zuvor mit dem Präsidenten der in Niger politisch und ökonomisch einflussreichen früheren Kolonialmacht Frankreich, Emmanuel Macron, gesprochen hatte. Frankreich fordert ebenso wie die USA, die EU und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) die Wiedereinsetzung Bazoums.

Bangen um den Brennstoff

Das 25 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zählende Land gehört zu den ärmsten der Welt, verfügt aber über einen wichtigen Rohstoff. Im vorigen Jahr kamen gut 25 Prozent des Natururans, das in den insgesamt 103 Atomreaktoren der Europäischen Union genutzt wurde, aus dem Niger. 56 dieser Reaktoren betreibt Frankreich. Die wichtigste Brennstoffzulieferfirma der französischen Atom-
industrie mit Sitz in Paris, Orano (bis 2017 Areva), versuchte, zu Wochenanfang zu beruhigen: Das Risiko für die französische Nuklearstromproduktion im Zusammenhang mit den Vorgängen in Niger sei „moderat“, wie die französische Tageszeitung La Croix zusammenfasste; 15 Prozent des in Frankreich genutzten Urans kämen derzeit aus dem Niger. Der Website des öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehens zufolge importierte Frankreich 2020 34,7 Prozent seines Urans aus dem Niger.

Die unterschiedlichen Angaben sind wohl auch darauf zurückzuführen, dass in den französischen Atomkraftwerken nicht nur angereichertes Natururan, sondern in 22 von 56 Reaktoren auch Mox verwendet wird, also Uran-Plutonium-Mischoxid, das aus verbrauchten Brennstäben gewonnen wird. Zudem variiert der jeweilige Anteil der Uranlieferanten am französischen Import. In den Jahren von 2005 bis 2010 war der zuvor sehr hohe Anteil Nigers erheblich gesenkt worden. Damals stieg der Uranpreis auf den Weltmärkten und Niger drängte auf eine Neuaushandlung der langfristig geschlossenen Verträge. Frankreich hatte jedoch neue Schürf- und Kaufmöglichkeiten, in Russland, vor allem aber in Kasachstan, das zum mit Abstand größten Lieferanten avancierte.

Neo- und Antikolonialismus

Doch mit den ersten Sanktionen gegen Russland ab 2014, dem Jahr der Krim-Annexion, wurde dies politisch inopportun; auch das Uranerz aus Kasachstan hat den Makel, über russisches Territorium geliefert zu werden. Zwar hat die nukleare Kooperation Frankreichs mit Russland bis heute nicht geendet, doch versuchte man nach 2014, die Lieferquellen zu diversifizieren, was den Anteil Nigers wieder erhöhte. Dort wurde aber auch eine der größeren Uranminen nahe der nigrischen Stadt Arlit wegen Erschöpfung der Vorkommen 2021 geschlossen. Areva respektive Orano hinterließ dort mindestens 20 Millionen Tonnen strahlenden Abfalls unter freiem Himmel.

Anfang dieser Woche erklärten die neuen Machthaber in Niger, die Exporte von Uran und Gold in die Europäische Union auszusetzen. Hintergrund dafür sind die anhaltenden Gerüchte über die Vorbereitung einer französischen Militärintervention. Der CNSP behauptet, die abgesetzte Regierung habe französischen Truppen explizit eine entsprechende Genehmigung erteilt. In Niger sind derzeit 1.500 französische Soldaten stationiert. Seit dem 2022 politisch erzwungenen Abzug der französischen Truppen aus Mali sind dort die Streitkräfte für die Bekämpfung der Jihadisten in der Sahelzone konzentriert. Oftmals intervenierte Frankreich in der Region in den vergangenen Jahrzehnten militärisch, nicht nur zur Bekämpfung von Jihadisten, sondern auch zur Erreichung politischer Ziele. Doch hält sich die französische Regierung bei Konflikten in Afrika in jüngeren Zeit eher zurück, um weniger politisch angreifbar zu sein. Frankreichs post- und neokoloniale Rolle in Teilen Afrikas wird in den betroffenen Staaten seit etwa fünf Jahren von einheimischen Aktivisten heftiger bekämpft, aber auch von einer russischen Propagandaoffensive thematisiert.

Innerafrikanische Widersprüche

So dementierte die französische Außenministerin Catherine Colonna am Montag energisch, Frankreich plane ein militärisches Eingreifen im Niger. Sie schrieb diese Behauptung dem „russo-afrikanischen“ Einfluss zu, eine Wortschöpfung, die offenbar das viel kritisierte Konzept der Françafrique – eine auf den Schriftsteller und NGO-Aktivisten François-Xavier Verschave zurückgehende Bezeichnung für das neokoloniale Netzwerk aus französischer Politik, Wirtschaft und Militär – aufgreifen und tunlichst ersetzen soll.

Wahrscheinlicher als eine Intervention Frankreichs ist ein Eingreifen der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (Ecowas). Viele ihrer Regierungen sind politisch und ökonomisch eng mit Frankreich liiert, so die des Senegal und der Côte d’Ivoire. Mit Abstand den größten Einfluss und die stärkste Armee in der Ecowas hat allerdings das englischsprachige Nigeria, das in Westafrika bereits militärisch interveniert hat, so zu Anfang des Jahrtausends in Liberia. Die Ecowas, die am Sonntag in der nigerianischen Hauptstadt Abuja zu einer Sondersitzung zusammentraf, droht Niger offen mit einem militärischen Eingreifen. Die Regionalorganisation setzte den neuen Machthabern in Niamey eine Frist bis zum kommenden Sonntag, um Mohamed Bazoum wieder ins Amt einzusetzen. Zudem hat die Organisation sofort wirksame Wirtschafts- und Handelssanktionen verhängt, unter anderem wurden die Grenzen zu Niger geschlossen und Finanztransaktionen eingestellt.

Die Ecowas sandte den tschadischen Interimspräsidenten Mahamat Idriss Déby zu Verhandlungen nach Niamey. Um zivile Herrschaft und Demokratie zu repräsentieren, ist Déby allerdings denkbar ungeeignet. Der Sohn des 2021 getöteten langjährigen Autokraten Idriss Déby Itno steht selbst an der Spitze einer demokratisch nicht legitimierten Militärregierung – einer profranzösischen. Am Montag verkündeten die ebenfalls von Militärregimes regierten Nachbarstaaten Nigers, Mali und Burkina Faso, in einem gemeinsamen Kommuniqué, ein solches Eingreifen in Niger würde von ihnen als „Kriegserklärung“ gewertet. Guinea, seit September 2021 ebenfalls vom Militär regiert, distanzierte sich am Montag von den »illegitimen« Sanktionen der Ecowas gegen Niger.

Dies spiegelt die gegensätzlichen außenpolitischen Orientierungen in der Region wider. Die harte Haltung der Ecowas geht offenbar vor allem auf die Initiative des im Februar gewählten nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu zurück. Die Militärregierungen in Mali und Burkina Faso hingegen bemühen sich um engere Beziehungen zu Russland. Ihre jeweiligen Anführer, Assimi Goïta und Ibrahim Traoré, nahmen am 27. und 28. Juli am Russland-Afrika-Gipfel in Sankt Petersburg teil und besuchten auch eine russische Marineparade in der Stadt.

Eine prorussische Haltung wird auch bei den putschenden Militärs in Niger vermutet. Bereits bei den ersten Demonstrationen ihrer Unterstützer am Donnerstag in Niamey, als auch das Hauptquartier der PNDS-Tarayya, der Partei Bazoums, in Brand gesetzt wurde, waren russische Fahnen zu sehen. Das war auch bei der Demonstration von mehreren Tausend Anhängern der Putschisten am Sonntag vor der französischen Botschaft der Fall, die von Steinwürfen getroffen wurde. Nach Angaben des renommierten französischen Korrespondenten Amaury Hauchard richtete sich der Unmut ausschließlich gegen politische Symbole, während französische Staatsbürger nichts zu befürchten hätten.

Russo- und Françafrique

Ein offizielles Kommuniqué der französischen Regierung drohte damit, im Falle von Übergriffen auf Franzosen werde die Reaktion „unnachgiebig“ ausfallen. Frankreich kündigte zudem an, eine Operation zur Evakuierung seiner Staatsangehörigen einzuleiten sowie die staatliche Entwicklungshilfe einzufrieren – deren Beitrag zur Armutsbekämpfung allerdings ohnehin dürftig ist. Das stärkt die Tendenz zur Abwendung von Frankreich, während vielen Russland als Bündnispartner attraktiv erscheint. Ähnliche Sympathien von Teilen der Bevölkerung für Russland wie derzeit in Niger zeigten sich bereits bei Konflikten in Mali und Burkina Faso von 2020 bis 2022. Für die Militärherrscher ist allerdings nicht zuletzt die Unterstützung der russischen Söldnergruppe Wagner von Bedeutung, die in Mali die westlichen Truppen abgelöst hat. Deren zukünftiger Status ist jedoch nach dem bewaffneten Aufstand ihres Anführers Jewgenij Prigoschin in Russland unklar.

Die russische Propagandamaschine schlägt unterdessen eifrig antikolonial klingende Töne an. Auch Prigoschin selbst meldete sich zu Wort und begrüßte in einem Video den Putsch als Akt der Befreiung vom Neokolonialismus. Er war auch am Rand des Russland-Afrika-Gipfels zu sehen. Entgegen Spekulationen in französischen Medien ist es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass seine Söldner am Putsch beteiligt waren.

Bernhard Schmid berichtet aus Paris über Frankreich und das französischsprachige Afrika.

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