Pakistans Ex-Premier Imran Khan: Nur ein Gast der Polizei

Die Verhaftung des ehemaligen Premierministers Imran Khan in Pakistan löste gewalttätige Proteste seiner Anhänger aus. Der Oberste Gerichtshof hält die Verhaftung für unrechtmäßig. Der Haftbefehl wurde auf Kaution vorläufig ausgesetzt.

Tumult gehört derzeit zum politischen Alltag in Pakistan: Der Wagen von Imran Khan, ehemaliger Premierminister des Landes, und seiner Frau Bushra Bibi bei der Ankunft vor dem Obersten Gericht in Lahore am 15. Mai 2023. (Foto: EPA-EFE/Rahat Dar)

Seit Monaten attackiert Imran Khan Pakistans Regierung und Armee, um vorgezogene Neuwahlen durchzusetzen. Der Vorsitzende der islamisch-populistischen Partei Pakistan „Tehreek-­e-Insaf“ (PTI) war Premier-
minister, bis er im April vorigen Jahres mit einem parlamentarischen Misstrauensvotum abgesetzt wurde (siehe den Artikel „Bündnispflege in Islamabad“ in woxx 1725). Seit einem Attentat auf Khan im November befindet dieser sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität. In den vergangenen Monaten ignorierte er immer wieder Vorladungen zu Gerichtsterminen, weil er die Regierung beschuldigt, ihn entführen und ermorden zu wollen. Rund 100 Verfahren laufen derzeit gegen ihn, wegen Korruption, Hassrede und Unruhestiftung.

Mehrere Haftbefehle wurden jüngst nicht vollzogen, weil Khan der derzeit mit Abstand beliebteste Politiker des Landes ist und seine Partei klargemacht hat, dass sie seine Inhaftierung nicht akzeptieren würde. Khan selbst drohte mehrfach mit Bürgerkrieg. In einer dramatischen Wendung der Ereignisse wurde Imran Khan am 9. Mai von rund 100 paramilitärischen Einsatzkräften auf dem Gelände des Obergerichts des Hauptstadtterritoriums Islamabad (Islamabad High Court, IHC) festgenommen, wo er zu Anhörungen in zwei Fällen erschienen war. Er sollte für acht Tage zur Befragung an die Antikorruptionsbehörde „National Accountability Bureau“ übergeben werden.

Seine Festnahme erfolgte im Zusammenhang mit dem al-Qadir-Trust-Verfahren. In diesem geht es auch um eine Grundstückstransaktion des Immobilienmagnaten Malik Riaz Hussain in England zum mutmaßlichen Zweck der Geldwäsche, konkret um das Grundstück One Hyde Park in London mit einem Wert von rund 57 Millionen Euro; weitere Einzelheiten unterliegen einer Vertraulichkeitsvereinbarung mit der britischen Regierung. In einem im Juni vorigen Jahres durchgestochenen Telefonat soll Khans Ehefrau Bushra Bibi einen dreikarätigen Diamantring von Riaz abgelehnt und einen Fünfkaräter gefordert haben. Im Gegenzug sei Riaz’ Landbesitz bei Karachi aus Armeebesitz für eine Stiftung übertragen worden, deren Schirmherrschaft die ehemalige First Lady und Imran Khan übernahmen.

Im zweiten Verfahren, das am 9. Mai verhandelt wurde, geht es um die Aneignung diplomatischer Geschenke. Das 1974 gegründete Geschenkehaus (Urdu: Toshakhana) der Regierung verwaltet offizielle Geschenke an politische Repräsentanten, die während Auslandsreisen ausgetauscht werden. Im März wurde öffentlich, dass sich zahlreiche Politiker seit 2002 oft beträchtlich persönlich bereicherten, indem sie diese Geschenke für einen symbolischen Betrag „erwarben“. Khan soll ab 2018 in seiner Amtszeit als Premierminister die meisten seiner mindestens 111 Geschenke in persönlichen Besitz genommen haben, darunter allein sieben Luxusarmbanduhren im Wert von über 300.000 Euro.

Die Eskalation der Feindseligkeiten zwischen der bedeutendsten Oppositionspartei und der Regierung macht alle Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung zunichte.

Seine Partei PTI behauptete, Khan sei während seiner Festnahme geschlagen worden. Daraufhin protestierten seine Anhänger im ganzen Land, in zahlreichen Städten kam es zu Straßenschlachten. Von mindestens neun Toten, zahlreichen Brandanschlägen auf Gebäude der Regierung und des Militärs sowie fast 4.000 Festnahmen war zuletzt die Rede. Rechtsanwälte kritisieren die Festnahme durch paramilitärische Kräfte als unverhältnismäßig und beunruhigend. Einige Journalisten äußern Verständnis für das harte Vorgehen des Staats, da Khan mit seinen Anschuldigungen seit geraumer Zeit zu weit gegangen sei.

Premierminister Shehbaz Sharif, der auch Vorsitzender der islamisch-konservativen Partei „Pakistanische Muslimliga – Nawaz“ (PML-N) ist, nannte die Demonstranten tags darauf in einer Fernsehansprache an die Nation „Terroristen“ und „Staatsfeinde“, er kündigte eine „exemplarische Bestrafung“ sämtlicher „antistaatlicher Aktivitäten“ in den nächsten drei Tagen „ohne jegliches Entgegenkommen“ an. Innenminister Rana Sanaullah (PML-N) spricht von „Schlägertruppen“, die von Imran Khan „ausgebildet“ und im Voraus „instruiert“ worden seien, wie sie auf seine Verhaftung reagieren sollten.

Die Vorgänge sind selbst für das krisengewohnte Pakistan beispiellos. Die Eskalation der Feindseligkeiten zwischen der bedeutendsten Oppositionspartei und der Regierung macht alle Hoffnungen auf eine Verhandlungslösung zunichte. Khan provozierte jüngst mit wilden Verschwörungstheorien über die Armee, sodass sich der öffentliche Zorn jetzt primär gegen Eigentum und Einrichtungen des Militärs richtet. Internet und Mobiltelefonie wurden drei Tage lang landesweit stark eingeschränkt; soziale Medien wie Facebook, Twitter und Youtube bleiben weiterhin blockiert. Pakistans Wirtschaft geht es aufgrund verheerender Überschwemmungen, hoher Inflation, hoher Staatsverschuldung und geringer Exportnachfrage schlecht – das Land steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Das schürt auch den Ärger in der Bevölkerung, das Misstrauen gegen Regierung und Militär dürfte groß bleiben. Die pakistanische Währung fiel auf ein weiteres Allzeittief, ein US-Dollar kostet mittlerweile fast 300 Rupien, vor einem Jahr waren es noch 190 Rupien.

Imran Khan inszeniert sich seit Monaten als Verkörperung „echter Demokratie“.

Pakistans Oberster Gerichtshof bezeichnete am 11. Mai die Verhaftung Khans als rechtswidrig und ordnete an, dass er bereits tags darauf vormittags vor dem IHC erscheinen solle. Das Oberste Gericht stellte ebenfalls fest, dass der ehemalige Premierminister im Gästehaus der Polizei untergebracht sei und nicht als Gefangener betrachtet werde. Zehn Personen seiner Wahl dürften die Nacht bei ihm verbringen. Aber dazu kam es nicht mehr, bereits am selben Abend verließ Khan das Gästehaus. Die Sorge um den inneren Frieden wog schwerer als das Urteil. Marriyum Aurangzeb (PML-N), die Ministerin für Information und Rundfunk, hatte zuvor in einer Pressekonferenz gedroht, dass die Wohnhäuser der Obersten Richter brennen werden, sollten sie zugunsten Khans entscheiden.

Am 12. Mai erschien Khan für elf Stunden vor dem IHC, sein Haftbefehl wurde für 14 Tage auf Kaution ausgesetzt. Die juristischen Verfahren laufen weiter. Imran Khan, der sich seit Monaten als Verkörperung „echter Demokratie“ inszeniert, nutzte die auf ihn fokussierte Aufmerksamkeit an diesem Tag, um den Generalstabschef Asim Munir als allein verantwortlich für seine Festnahme zu bezeichnen; Munir fürchte um seine Macht. Khan hielt am 13. Mai eine Rede an die Nation, in der er zu friedlichen Massenprotesten aufrief, die jedoch nicht im pakistanischen Fernsehen übertragen wurde. In der Rede widersprach er insbesondere dem Pressesprecher der Armee, General Ahmed Sharif Chaudhry: „Hör mir gut zu, Herr Pressesprecher. Ich habe Pakistan in der Welt repräsentiert, als du noch nicht mal geboren warst.“ Damit bezog der 70-jährige Khan sich auf seine Karriere als international äußerst erfolgreicher Cricketspieler, die er 1992 beendet hatte.

Anhänger beider Lager sind frustriert vom wiederholten Versagen des Staats und verlieren zusehends das Vertrauen in die Institutionen, was mit einem Anstieg der Gewalt einhergeht. Damit verfestigt sich ein Muster: Khan provoziert, der Staat sieht sich zum Handeln genötigt, eine andere staatliche Stelle schaltet sich dagegen ein und der Mob auf der Straße fühlt sich einmal mehr bestätigt: Gewalt funktioniert; die staatlichen Institutionen nicht. Die Gesellschaft ist tief gespalten, beide Seiten fordern Vergeltung für Verrat und Verschwörung.

Thomas K. Gugler arbeitet als Wissenschaftler 
und freier Publizist.

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