In einem zweiten Gutachten gibt der Staatsrat zu Recht seine Bedenken zum vorgeschlagenen verschärften Platzverweis zu Protokoll. Denn dieser bedroht gleich mehrere Rechte, darunter auch das Versammlungsrecht.

Friedliche Proteste sind unerlässlich, um Druck auf Regierungen auszuüben. Im Dezember erinnert Amnesty in der Ausstellung „Protect the Protest“ in der „Passerell“ des Luxemburger Hauptbahnhofs an vergangene Demonstrationen. (Bildquelle: MMFE, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Fast anderthalb Jahre nach der ersten Vorstellung und mehr als dutzenden Gutachten sowie einigen Änderungen später verbleibt der Gesetzesentwurf für einen sogenannten „verschärften Platzverweis“ immer noch in der zuständigen parlamentarischen Kommission für innere Angelegenheiten. An dem Hauptkritikpunkt hat sich nichts geändert: Der von Innenminister Léon Gloden (CSV) präsentierte Text ist zu vage definiert. Visiert der existierende Platzverweis das Blockieren von Ein- und Ausgängen, peilt die Verschärfung eine Reihe weiterer Situationen an: Eine Person, die „wissentlich Passanten auf öffentlichen Straßen und durch Worte, Handlungen oder Gesten im Freien an einem der Öffentlichkeit zugänglichen Ort beunruhigt oder belästigt“ oder „die Bewegungsfreiheit“ von Passant*innen stört soll nach dem neuen Entwurf für bis zu 48 Stunden von einem Ort entfernt werden können – auch mit Gewalt. Wiederholt sich die „strafrechtliche“ Tat mehrmals, kann die Polizei mit Genehmigung des*r Bürgermeister*in ein Ortsverbot von bis zu 30 Tagen erteilen (woxx 1840, „Sozialpolitik: Von einem Platz auf den anderen“).
Auf die vielen Kritikpunkte von Akteuren wie der Menschenrechtskommission ist die Chamberkommission in ihren Änderungen des Entwurfs kaum eingegangen. Es überrascht daher wenig, dass der Staatsrat in seinem am vergangenen Dienstag veröffentlichten zweiten Gutachten erneut Bedenken äußert: Zwar schlägt der Entwurf eine de facto Ermächtigung der Polizeibeamt*innen und, in geringerem Maße, der Bürgermeister*innen vor, doch bleiben die Kriterien, in welchen Fällen diese Macht ausgeübt werden soll, unklar. Damit ist eine arbiträre, subjektive Anwendung vonseiten der Polizei systemisch vorprogrammiert; der Interpretationsspielraum der Maßnahme enorm.
Eine arbiträre, subjektive Anwendung vonseiten der Polizei ist systemisch vorprogrammiert; der Interpretationsspielraum der Maßnahme enorm.
Ob, warum oder inwiefern eine Verschärfung überhaupt notwendig ist, ist nicht gerechtfertigt. Laut der Organisation „Solidaritéit mat den Heescherten“ sind gerade einmal acht Personen aus einem Ein- oder Ausgang verwiesen worden – und das in den rund drei Jahren seit Inkrafttreten des bestehenden Verweises. Hat er wenigstens zu einem stärkeren Sicherheitsgefühl beigetragen? Auch hier gibt es keine Klarheit, denn der Verweis wurde nie evaluiert. Aggressives Handeln steht schon heute unter Strafe. Das Verhalten einer Person als unangenehm, „beunruhigend“ oder „belästigend“ zu empfinden, darf nicht ausreichen, um diese strafrechtlich verfolgen zu können.
In allererster Linie würde das Gesetz Personen betreffen, die in Obdachlosigkeit leben und betteln müssen. Doch NGOs und die Chambre des Salariés (CSL) warnen auch vor den Auswirkungen auf Demonstrant*innen und Gewerkschaften. Denn der Entwurf schließt das Versammlungsrecht nicht von der vorgesehenen repressiven Maßnahme aus – etwas, worauf auch der Staatsrat hinweist. Zwar ist in Luxemburg das Recht auf Versammlungsfreiheit in der Verfassung verankert, doch ein neues Gesetz soll nun einen rechtlichen Rahmen schaffen. Ein in den parlamentarischen Ausschüssen ausgearbeiteter Vorentwurf deutete bereits auf einen ähnlichen Sicherheitsansatz wie beim Platzverweis hin (woxx 1810, „Inquiétude pour le droit de manifester).
Dass die vorgesehene Verschärfung auch eines der wirksamsten Mittel bedroht, um gegen Regierungen zu protestieren, ist mehr als besorgniserregend. Wird der verschärfte Platzverweis in dieser Form verabschiedet, kann es zu einem Widerspruch kommen: Wenn eine Demonstration etwa genehmigt wurde, Teilnehmende aber Passant*innen in ihrer Bewegungsfreiheit stören, könnte die Polizei nach dem aktuellen Gesetzesentwurf eingreifen und für 48 Stunden lang eine Entfernung anordnen. Dabei muss eine friedliche Demo stören dürfen – insbesondere dann, wenn soziale Rechte so flagrant in Frage gestellt werden wie derzeit von der CSV-DP-Regierung. Denn der „Platzverweis renforcé“ soll von weiteren Maßnahmen begleitet werden: der Kriminalisierung einer „aggressiven“ Bettelei – auch hier ohne klare Definition –, der Einführung „lokaler“ Polizeieinheiten, einer verstärkten Kameraüberwachung …
Die Ursachen der steigenden Armut bekämpft die Regierung damit nicht. Stattdessen wird das gesellschaftliche Problem buchstäblich verdrängt, und die Angst und Prekarität der Betroffenen werden verschärft. Personen in sozial prekären Lebenslagen dürfen nicht als potenzielle Verbrecher*innen angesehen werden, sondern als Menschen mit Rechten, die es zu schützen gilt. Der Text müsste in seiner Gänze schlicht abgelehnt werden – so, wie es unter anderem der NGO-Dachverband „Voĉo“ fordert. Die nächste Gelegenheit, sich der zunehmenden Sicherheitsarchitektur zu widersetzen, bietet sich am 10 Dezember. Amnesty organisiert dann seinen jährlichen „Marsch für die Menschenrechte“. Treffpunkt: 18 Uhr auf der Rue Genistre beim Cerclé Cité.

