Popsänger Khalid Oke im Gespräch: „Meine Musik ist größer als ich“

Der luxemburgisch-nigerianische Singer-Songwriter Khalid Oke – kurz Oke – hat Anfang August seine erste Solo-EP mit dem Titel „Home“ veröffentlicht. Im Interview erzählt der junge Popsänger, inwiefern Musik für ihn eine spirituelle Dimension besitzt, was seinen persönlichen Sound ausmacht und welche Erfahrungen er im In- und Ausland als queerer Künstler bisher gesammelt hat.

(FOTO: Lee Dos Reis)

woxx: Ihre musikalische Reise begann in einem Kirchenchor in Nigeria. Inwiefern hat Sie diese Erfahrung geprägt und beeinflusst sie Sie noch immer?

Khalid Oke: Ja, sie ist noch immer ein Teil von mir. Früher haben wir als Familie immer den Gottesdienst besucht, gemeinsam mit meiner Großmutter. Und die Klänge, die wir damals in der Kirche hörten, haben mich nie verlassen, sie gehören zu meiner Identität. Es sind warme Klänge, Klänge der Freude. Sie haben auch etwas Spirituelles. Ich denke, sie bilden mein Fundament. Natürlich bin ich, je älter ich wurde, weiser geworden und habe mich weiterentwickelt. Aber die Basis ist dieselbe geblieben.

Hat Musik allgemein für Sie noch immer eine religiöse oder spirituelle Dimension, auch wenn Sie jetzt Popsänger sind?

Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, dass Musik definitiv noch etwas Spirituelles für mich hat. Denn auch wenn ich ein Popsänger bin, stecke ich mein ganzes Herzblut in meine Musik, lasse all meine Gefühle und Emotionen mit einfließen, sodass etwas Neues entstehen kann. Man befindet sich in einer anderen Dimension, wenn man Musik macht, man zeichnet ein Bild sozusagen, es ist eine ganz eigene Dynamik, die so entsteht. Musik kann also definitiv spirituell sein, wenn auch nicht unbedingt religiös.

In der Pressemitteilung zu Ihrer Solo-EP steht, Sie würden den „klassischen Oke-Sound“ mit Funk- und Disco-Elementen mischen. Können Sie beschreiben, was Ihren klassischen Sound ausmacht?

Einerseits hat man ein sehr gefühlvolles Sujet und andererseits den „Gospel-Effekt“, im Sinne eines Chors, der singt. Dann noch diese schönen warmen Melodien, die sehr eingängig sind. Die spirituelle Dimension der Musik gehört auch dazu: von Herzen singen, versuchen zu fühlen, was man tut, und ein Bild zu zeichnen. Daraus besteht der klassische Oke-Sound.

Welche Künstler*innen waren für Sie und Ihre musikalische Entwicklung von Bedeutung?

Die Künstler, die mich inspiriert haben, sind die ganz Großen: Michael Jackson, Fela Kuti, Brandy, Burna Boy, Ariana Grande und Beyoncé. Darüber hinaus Usher, Aretha Franklin und Donna Summer. Ich habe das Gefühl, dass ich viele Künstler in meinem Herzen trage – auch Prince. Jedes Mal, wenn ich sie höre, kann ich mich inspirieren lassen. Inwieweit das der Fall ist, hängt aber auch vom Grundthema meines Albums oder meiner EP ab, von der Richtung, in die ich gehe, zu welchem Klang ich tendiere. Bei meiner EP habe ich mich an Disco und Weltmusik orientiert, speziell an Afro. Ich habe mich von Fela Kuti, Donna Summer, Michael Jackson und Prince beeinflussen lassen. Ich denke auch an „I’m coming out“ von Diana Ross. All diese Menschen sind definitiv eine Inspirationsquelle für mich.

Und was hören Sie zurzeit gerne?

Im Moment? Da bin ich ein offenes Buch: Ich höre gerade gerne Ariana Grandes Album „Eternal Sunshine“, Aretha Franklin und auch Donna Summer. Aber ich bin auch ein Klavier-Enthusiast und höre Musik aus Südafrika. Ich glaube, ich bin gerade dabei zu entscheiden, in welche Richtung mein Musikprojekt mit diesen Einflüssen gehen soll. Wissen Sie, es ist irgendwie interessant, sich diese Mischung aus Klängen anzuhören.

Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass es Ihr Ziel ist, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Wie kann Ihre Musik dabei helfen?

Meine Musik hat schon vielen meiner Fans geholfen. Manchmal werde ich von jemandem kontaktiert, eine Person hat mir zum Beispiel erzählt, dass sie sich wegen mir getraut habe, sich gegenüber ihren Eltern zu outen. Ich hätte sie an diesen Punkt gebracht und sie hätte durch meine Musik viel Mut gewonnen. Jemand anderes schrieb mir, dass er gerade eine schwere Zeit durchmache, aber meine Musik ihm helfe, sie zu überstehen. Ich möchte die Welt zu einem besseren Ort machen, weil wir alle Menschen sind und dasselbe durchleben. Nur weil ich Oke bin, heißt das nicht, dass ich keinen Liebeskummer und keinen Verlust erleide, keine Trauer spüre. Wir sind, wer wir sind, und wir sind alle miteinander verbunden. Das ist das, was uns zu uns macht, zu Menschen. Ich habe den Eindruck, dass mein Projekt größer ist, als ich es bin. Es ist nicht nur Musik, es ist ein Statement, ein Augenblick, der es wert ist, dass man sich an ihn erinnert.

In dem Song „One Big Family“ heißt es: „So love your brother, take just what you need, let’s help each other […] yeah, let’s come together for people in need“. Glauben Sie, dass solche Botschaften in Popsongs eine Chance haben, wirklich gehört zu werden?

Ja, das denke ich. Meiner Ansicht nach ist das Wichtigste bei Popsongs, dass sie einen guten Beat haben. So kann man alles trendy, alles passend machen, egal was man sagt, ob es sich um etwas Konkretes oder etwas Allgemeines handelt. Und das ist es, worum es im Pop geht: Das Allgemeine sagen, das wir gerade hören müssen. Ich finde, dass diese Art von Aussagen wirklich mehr Platz in Popsongs brauchen. Ja, es ist ein wenig kitschig, aber wenn ich dieses Lied vortrage, sagen die Leute: „Oh, verdammt, das ist so ein guter Song, weil der Beat ihn so gut trägt.“ So wird die Botschaft verbreitet. Ich bin der Meinung, dass wir mehr solcher Aussagen brauchen.

In dem Lied „Home“ singen Sie über Themen wie Heimat und Zugehörigkeit, Teile vom Text sind in einer Sprache, die in Nigeria gesprochen wird. Um welche handelt es sich?

Es ist meine Muttersprache Yoruba. Englisch und Yoruba sind sozusagen meine Erstsprachen. Im Lied singe ich „Jẹ ki a lọ si iles“, was so viel heißt wie „Gehen wir nach Hause“. Das meine ich, wenn ich sage, dass ich mich von Fela Kuti inspirieren lasse. Ich integriere all diese Aussagen, bei denen sich Menschen Fragen stellen wie „Mein Gott, was heißt das?“ oder „Woher hat er das?“. Und es ist auch ein Rückgriff auf einen sehr alten Klang, weil Yoruba eine sehr alte Sprache ist, die von vielen Menschen gesprochen wird. Wie gesagt, meine Musik ist größer als ich. Solche Sätze sind so bedeutungsvoll, besonders vor dem Hintergrund der Geschichte Nigerias als britische Kolonie. Es geht auch um meine Geschichte als Luxemburger mit nigerianischen Wurzeln.

Würden Sie sagen, dass Sie an zwei Orten zuhause sind?

Das ist eine sehr gute Frage. Luxemburg ist eindeutig mein Zuhause. Meine ganzen Erinnerungen, meine Freunde und meine nahe Familie – alle sind hier. Fast mein ganzes Leben habe ich hier verbracht, also ist Luxemburg definitiv meine Heimat. Ich kann die Sprache sprechen, ich bin an alles gewöhnt, es ist sozusagen in meinem Blut, in der Luft, die ich atme, ich fühle mich hier sehr wohl. Andererseits bin ich auch nigerianisch, es ist eindeutig, meine Hautfarbe sagt mir, dass ich in erster Linie schwarz bin. Ich trage auch diese Kultur in mir, ein Teil von mir ist noch immer in diesem Teil der Erde verwurzelt. Wissen Sie, wir alle haben viele Facetten, ich kann für mich sagen, dass ich mehrdimensional als Person bin. Und das ist schön. Es ist schön, mehrdimensional zu sein, weil dadurch eine tiefere Verbindung zu anderen Menschen entsteht. Ich denke, das ist eine sehr gute Eigenschaft, die man als Mensch auf jeden Fall haben sollte.

Inwiefern spielt Queerness für Sie als Künstler eine Rolle?

Ich bin in erster Linie ein Künstler, der zufällig queer ist. Es ist nicht so, dass meine Sexualität mein Markenzeichen ist. Sie ist einfach ein Teil von mir. Und manchmal gibt es Momente, die ich mit meinen Fans durch meine Musik teile, in denen ich verletzlich bin oder in denen ich einfach nur über eine Erfahrung singe, die ich aus der Sicht einer queeren Person gemacht habe. Aber das ist nicht alles, was mich ausmacht. Dennoch bin ich wirklich stolz darauf, wer ich bin und wie ich mich fühle. Ich finde auch, dass es etwas sehr Schönes ist, queer zu sein. Viele Menschen denken, es ist ein Trend, aber das ist falsch. Menschen sind so geboren und sie haben viel durchgemacht, um sich selbst zu akzeptieren. Das ist etwas, das ich in meiner Musik mehr zeigen möchte. Mit dem Song „Lonely“ und dem dazugehörigen Musikvideo habe ich zum ersten Mal diese Seite von mir gezeigt. Ich habe vor, das mehr zu tun. Es gibt diese unterschiedlichen Facetten von mir, die ich den Menschen zeigen kann: Ich bin dieser Junge aus Lagos, der Nigerianer, aber auch der Europäer. Ich bin diese schwarze Person aus Luxemburg. Und ich bin auch queer. Ich kann verschiedene Geschichten erzählen, und das ist schön.

Welche Erfahrungen haben Sie denn bisher als queerer Künstler in der Musikindustrie und in Luxemburg gemacht?

Dieses Jahr spielte ich auf dem CSD-Straßenfest in Köln, das war meine größte Show bisher. 1,2 Millionen Menschen nahmen an dem „ColognePride“ teil und ich spielte als Opener vor Tokio Hotel, die deutsche Legenden sind. Es war eine so wunderbare Erfahrung für mich, vor diesem riesigen Publikum auf einer großen Bühne zu spielen. Ich war ein wenig geschockt davon, wie gut es lief. Die Akzeptanz, die Herzlichkeit, die Unterstützung, die meine Fans mir zuteilwerden ließen, waren wunderschön. Ich spielte auch auf dem diesjährigen „Luxembourg Pride“-Straßenfest und ich fühlte mich dabei zuhause. Nächstes Jahr möchte ich mich, was meine Performance auf der Bühne angeht, definitiv noch übertreffen.

Und welche anderen Zukunftspläne haben Sie?

Ich werde auf jeden Fall an neuen Songs arbeiten. Außerdem wird es nächstes Jahr ein paar internationale Konzerte geben. Mein Ziel ist es, meine Musik aus Luxemburg heraus zu exportieren, und dieses Jahr habe ich mit dem „ColognePride“ schon den ersten Schritt dafür gemacht. Ich habe das Gefühl, dass auch der Eurovision Song Contest in Sicht ist. Es gibt also eine Menge zu tun und vorzubereiten.

Khalid Oke wurde 1999 in Lagos, der größten Stadt Nigerias, geboren. 2008 siedelte seine Familie nach Luxemburg um, zu dem Zeitpunkt war Oke acht Jahre alt. Nach seinen ersten Gesangserfahrungen in einem nigerianischen Kirchenchor tauchte Oke in ein Pop-Universum ein, das von Stimmen wie die von Usher oder Tiwa Savage geprägt war. 2017 startete er sein aktuelles Musikprojekt „Oke“. Mit über vier Millionen Spotify-Streams im Jahr 2023 ist Khalid Oke einer der meistgestreamten Künstler*innen Luxemburgs. Er hat mit internationalen Labels wie „Chillout Tales“, „Sony Music“, „Soave“, „PARAISO“ und „Universal“ zusammengearbeitet. Anfang August erschien seine erste Solo-EP „Home“. Die Songs sind unter anderem bei Audio-Streaming-Diensten oder auf Videoplattformen wie Youtube verfügbar.

Mehr Informationen findet man auf: www.okeofficial.com.


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