Präsidentschaftswahl in Peru: Zerreißprobe für die Demokratie

Trotz Korruptionsvorwürfen könnte die Rechtspopulistin Keiko Fujimori bei den Stichwahlen am 6. Juni die Wahl ums höchste Staatsamt Perus gewinnen. Für die dortige Demokratie wäre das ein Rückschlag. Auch der linke Gegenkandidat Pedro Castillo polarisiert. Er vermag es indes, indigene Wählerschichten zu mobilisieren.

Verpflichten sich zur Wahrung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit: Pedro Castillo (links) und Keiko Fujimori, die bei der Stichwahl um die peruanische Präsidentschaft am 6. Juni gegeneinander antreten. Unser Foto zeigt die beiden beim „Schwur auf die Demokratie“ am 17. Mai in Lima. (Foto: EPA-EFE/Paolo Aguilar)

Es ist bereits ihr dritter Versuch, in den Präsidentenpalast zurück zu gelangen: Nach der Scheidung ihres Vaters stand Keiko Fujimori dort einst als „first lady“ an seiner Seite. Alberto Kenya Fujimori, der Peru von 1990 bis 2000 diktatorisch regierte, hatte das Land in eine neoliberale Entwicklung geführt. Zugleich befahl er einen brutalen und überaus schmutzigen Krieg gegen die beiden linken Guerillaorganisationen, MRTA (Movimiento Revolucionario Túpac Amaru) und Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad). Inzwischen ist der ehemalige peruanische Präsident wegen Korruption und verschiedener Menschenrechtsverbrechen in Haft.

Auch gegen Keiko Fujimori ermittelt die Staatsanwaltschaft seit langem wegen illegaler Wahlkampf-Finanzierung. Als Gründerin und Vorsitzende der Partei „Fuerza Popular“ soll sie 2011 erstmals Gelder von Großunternehmen wie dem brasilianischen Bauunternehmen Odebrecht für ihren Wahlkampf angenommen haben. 2018 wurde sie in Untersuchungshaft gesetzt, zunächst für acht Tage, dann ordnete ein Gericht bis zu 36 Monate Untersuchungshaft wegen Geldwäsche an. Die Entscheidung wurde später vom Verfassungsgericht revidiert (siehe woxx 1563: Neues Personal fürs Parlament), doch der Ruf, korrupt zu sein, haftet der 46-jährigen weiter an.

Dazu hat sicher auch die Ankündigung Keiko Fujimoris beigetragen, sie wolle ihren Vater begnadigen, sollte sie am 6. Juni tatsächlich die Stichwahl um das höchste Amt des Staates gewinnen. Negative Vorzeichen, so Salomón Lerner, der ehemalige Leiter der Wahrheitskommission. Er hatte schon vor dem ersten Wahlgang am 11. April kein gutes Gefühl, weil das Parteienspektrum in Peru sich schlicht „atomisiert“ habe.

„Wir haben kaum mehr Parteien mit Tradition, sondern vor allem Wahlplattformen im Dienste einer Kandidatin oder eines Kandidaten“, sagt Lerner. Oft verfolgen die Gesichter dieser Wahlplattformen eigennützige Motive, wie Keiko Fujimori. Ihre Partei „Fuerza Popular“ zieht nach unzähligen Korruptionsskandalen zwar deutlich geschwächt, aber immer noch als eine der stärkeren Fraktionen ins neue Parlament ein. Zehn kleine Fraktionen tummeln sich dort. „Die Fragmentierung der politischen Landschaft ist weit fortgeschritten, die Glaubwürdigkeit von Parteien und Politikern beiderlei Geschlechts erschüttert“, meint auch Carlos Herz. Der 62-jährige Experte für nachhaltige Entwicklung leitet ein kirchliches Bildungszentrum in Cusco und lebt in Lima.

Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 2000 wurde bislang gegen alle Präsidenten wegen Korruption ermittelt. Der letzte demokratisch gewählte Präsident, Pedro Pablo Kuczynski, trat im März 2018 wegen entsprechender Vorwürfe zurück. Ihm folgte sein Stellvertreter Martín Vizcarra, der im September 2020 nach einem Misstrauensvotum ebenfalls wegen angeblicher Korruption gehen und dem Interimspräsidenten Francisco Sagasti Platz machen musste.

Auch gegen sechs der insgesamt achtzehn diesjährigen Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Staatsamt wurde bereits wegen Korruption ermittelt. „Das ist Teil der politischen Krise, die bei uns bereits zum Alltag gehört“, sagt Carlos Herz.

Fujimoris Mitbewerber Pedro Castillo, der für die marxistisch-leninistisch orientierte Partei „Freies Peru“ antritt, ist für Herz ein Produkt dieser Krise. Eine Einschätzung, die Carlos Monge teilt: „Deutlich über vierzig Prozent der Wähler haben radikal gewählt und damit auch für diese Konstellation im zweiten Wahlgang gesorgt“, meint Monge, der Lateinamerika-Koordinator des „Natural Resource Governance Institute“ in Lima ist. Castillo sei der Kandidat des Protests gegen das korrupte politische Establishment, aber auch ein Symbol für eine gewisse Demokratiemüdigkeit. Salomón Lerner befürchtet künftig Verhältnisse wie in Honduras oder Guatemala – mit wechselnden, zusammengekauften Mehrheiten – oder, wie in Venezuela, eine dauerhaft latente politische Krise. Für das letztgenannte Szenario spricht, dass Castillo im Wahlkampf auch die Verstaatlichung des Erdöl- und Erdgassektors ins Spiel brachte.

„Wir haben kaum mehr Parteien mit Tradition, sondern vor allem Wahlplattformen im Dienste einer Kandidatin oder eines Kandidaten.“

Der 51-jährige Grundschullehrer Castillo, der in der rund 700 Kilometer nördlich von Lima gelegenen Stadt Cajamarca geboren wurde, ist vor allem in den Dörfern auf dem Land populär. Dort ist auch die Lehrergewerkschaft Sutep gut verankert. Im ersten Wahlgang holte Castillo mit 19,1 Prozent der Stimmen ein Ergebnis, das ihm niemand zugetraut hatte. In den Umfragen hatte der bekennende Marxist lange auf den hinteren Plätzen rangiert. In seinem Wahlprogramm taucht die Förderung der Landwirtschaft genauso auf wie der Umweltschutz und Förderung der Bildung. Das hat dafür gesorgt, dass Castillo gleich in 16 der 24 Regionen Perus gewonnen hat – davon in drei gleich mit absoluter Mehrheit. Beim ersten Wahlgang habe Castillo jene mobilisieren können, die sich schon lange nicht mehr repräsentiert fühlen, meint Salomón Lerner: „Die mies bezahlten Lehrer in den ländlichen Regionen, aber auch viele einfache Bauern.“

Das überraschende Ergebnis trug dazu bei, dass Keiko Fujimori sich Anfang Mai zum Fernsehduell mit Castillo in dessen Heimatstadt Chota aufmachte. Dort traten die ideologischen Gegensätze offen zu Tage. Fujimori ließ keine Chance aus, um den linken Dorflehrer in die Nähe des „Sendero Luminoso“ zu rücken und stellte die ökonomische Kompetenz des Castillo-Teams in Frage. Der hielt dagegen, dass er Peru industrialisieren wolle und wehrte sich gegen seine Stigmatisierung. „Wir sind keine Terroristen und keine Kommunisten!“ Doch genau solche Attribute sind es, die in den peruanischen Medien über Castillo in aller Regel nicht fehlen. Er sei ein Kommunist, der die Wirtschaft des Landes in die Krise treiben werde, mahnen die konservativen Kreise, die mittlerweile recht geschlossen hinter der ehemaligen Präsidententochter Keiko Fujimori stehen.

Gleichwohl hat es Castillo in den vergangenen Wochen geschafft, mit der indigenen Minderheit Wählerschichten zu erschließen, die in Perus Geschichte bislang deutlich zu kurz gekommen sind. In einer von Castillo abgegebenen 13 Punkte umfassenden Erklärung ist ein neuer verfassungsgebender Prozess vorgesehen, der Peru wie die Nachbarländer Ecuador und Bolivien in einen „plurinationalen“ und „plurikulturellen“ Staat transformieren soll. Das ist ein deutliches Signal gegen die Ungleichheit und omnipräsente Diskriminierung der indigenen Minderheit. Es könnte Castillo, der je nach Meinungsforschungsinstitut mit zwei bis sieben Prozent vor Keiko Fujimori liegt, weitere Wählerstimmen bringen.

An der Polarisierung im Wahlkampf wird sich dadurch allerdings wenig ändern. Immerhin haben sich die sowohl Castillo als auch Fujimori knapp drei Wochen vor der Präsidentenwahl auf die Achtung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten verpflichtet. Beide unterzeichneten die „Bürgerliche Erklärung – Schwur auf die Demokratie“. Das Dokument, welches auf eine Initiative der peruanischen Bischofskonferenz zurückgeht, soll schützen, was in den letzten zwei Jahrzehnten stark an Glaubwürdigkeit verloren hat: das demokratische System.

Dieses jedoch steht nach Meinung vieler Analysten trotz aller Beteuerungen zur Disposition. Der zweite Wahlgang sei eine Wahl zwischen Pest und Colera, meint beispielsweise die Berliner Peru-Expertin Bettina Schorr. Egal wie die Wahl ausgehe, sei sie skeptisch, dass nun bessere Zeiten für Peru anbrechen, so Schorr gegenüber der „Deutschen Welle“. Auch Salomón Lerner sieht das so: „Unser politisches System steht vor einer Zerreißprobe und die Polarisierung innerhalb der Gesellschaft ist geradezu greifbar“.

Knut Henkel berichtet für die woxx aus Lateinamerika.

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