Rechte von trans Personen in Großbritannien: Zurück in der Diskriminierung

Nach Jahrzehnten kontinuierlichen Fortschritts in Sachen LGBTQIA+-Rechte in Großbritannien untergräbt ein Mitte April gefälltes Urteil des Obersten Gerichtshofs nun die Rechte von trans Personen. Deren Alltag hat sich bereits jetzt drastisch verändert.

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs bleibt nicht unwidersprochen: Demonstration für die Rechte von LGBTIQA+ -Personen am 19. April auf dem Parliament Square in London. (Foto: Claire Barthelemy)

Als die „International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association Europe“ (ILGA Europe) vergangene Woche ihre „Rainbow-Map“ veröffentlichte, die 49 Länder nach ihrer Queerfreundlichkeit bewertet, wurde Großbritannien in einem Atemzug mit Georgien und Ungarn genannt. Denn alle drei Länder sind in diesem Ranking zurückgefallen. Das Königreich büßte gleich sechs Plätze ein – von Platz 16 auf 22. Dabei war es vor einigen Jahren noch Vorreiter eines positiven Umfelds für queere Lebensentwürfe in Europa gewesen.

Die neue Einstufung erfolgte, nachdem der Oberste Gerichtshof Mitte April entschieden hatte, dass das Wort „Frau“ sich laut dem britischen Gleichstellungsgesetz von 2010 lediglich auf biologische Frauen beziehe. Damit gaben die Richter*innen einer transfeindlichen Gruppe recht, die gegen das schottische Parlament geklagt hatte. Bei der Klage ging es um ein Gesetz, das den Vorständen des öffentlichen Sektors vorschreibt, bei der Postenvergabe eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent einzuhalten. Trans Frauen wurden hier bislang miteinbezogen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird das nun ändern.

In dem Urteil heißt es: „Das Konzept des Geschlechts ist binär, eine Person ist entweder eine Frau oder ein Mann.“ Lord Hodge, der Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs, betonte zwar, das Urteil solle nicht als Triumph einer Gruppe der Gesellschaft über eine andere verstanden werden. Doch transfeindliche Aktivist*innen ließen vor dem Gericht die Korken knallen. „Frauen können sich jetzt sicher sein, dass die für Frauen vorgesehenen Dienste und Räume auch Frauen vorbehalten bleiben. Wir sind dem Obersten Gerichtshof für dieses Urteil enorm dankbar”, so Susan Smith, die Gründerin der Gruppe „For Women Scotland“ (FWS), die den Fall vor Gericht gebracht hatte.

Was dies nun jedoch konkret für trans und nicht-binäre Menschen bedeutet, konnte niemand so genau sagen. Die britische „Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission“ (EHRC) kündigte an, noch in diesem Sommer neue Richtlinien zu veröffentlichen. Schon jetzt dürften trans Frauen in Orten wie Krankenhäusern, Geschäften und Restaurants keine Frauentoiletten mehr benutzen, so die Kommission. Wie und ob dies durchgesetzt werden kann, ist unklar. Trans-Aktivisten befürchten, dass es zu weiteren Diskriminierungen kommen wird, und zwar nicht nur gegen trans Personen.

„Mir wurden die schlimmsten Dinge entgegengeschrien; die Leute sind so beleidigend.“

„Unsere Existenz steht nicht zur Debatte“: Der Protest zur Verteidigung queerer Lebensweisen in Großbritannien formiert sich – Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen und sonstige Aktivist*innen sind mit dabei. (Foto: Claire Barthelemy)

„Es ist mit einem Anstieg der Gewalt gegen Trans- und Cis-Frauen zu rechnen“, so die sich für Rechte von trans Personen einsetzende Organisation „TransActual“: „Wir erhalten bereits Berichte über Angriffe auf Trans-Personen, die ihren rechtmäßigen Aktivitäten nachgehen. Wir wissen auch, dass Anti-Trans-Gruppen häufig nicht zwischen Trans-Frauen und geschlechtsunkonformen Cis-Frauen unterscheiden können.“ Daher seien auch Angriffe auf Cis-Frauen zu befürchten.

„Mir wurden die schlimmsten Dinge entgegengeschrien; die Leute sind so beleidigend”, sagt Jessica Brown, eine trans Frau, gegenüber dem britischen Rundfunksender „BBC“. „Ich denke: ‚Oh Gott, was wird heute passieren? Wird es schon wieder einen körperlichen Angriff geben? Werden es nur verbale Angriffe sein?’”, schildert sie ihren Alltag. Seit der Entscheidung des Obersten Gerichts habe es vermehrt solche Vorfälle gegeben, sagt sie. „Ich gehe nach Hause und weine.”

Obwohl die Richtlinien der Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission noch nicht veröffentlicht sind, haben einige Organisationen bereits Konsequenzen gezogen. Ab dem 1. Juni dürfen Transgender-Frauen in England nicht mehr im Frauenfußball spielen, verkündete der englische Fußballverband (FA). Der „England and Wales Cricket Board“ (ECB) hat gleichermaßen bekannt gegeben, dass trans Frauen und -Mädchen ab sofort von Cricket-Wettbewerben für Frauen ausgeschlossen sind. Trans und nicht-binäre Mitarbeitende der britischen Bank „Barclays“ müssen nun auch die Toiletten benutzen, die ihrem biologischen Geschlecht entsprechen. In Online-Communities wie dem Subreddit „r/transgenderUK“ erzählen mehrere Menschen von unangenehmen Erlebnissen mit den Personalabteilungen ihrer Arbeitgeber.

Langsam formiert sich nun der Widerstand. „Translucent“, eine Menschenrechtsorganisation, die sich für Trans-Rechte einsetzt, hat eine Klage gegen die Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission eingereicht. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass „die Kommission in ihrer Reaktion auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs vom letzten Monat zum Status von trans Personen im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes rechtswidrig handelt“. Auch die gemeinnützige Organisation „The Good Law Project“ klagt in diesem Sinn. Die Haltung der Regierung und der EHRC erniedrige Transmenschen, „indem sie diese zwingt, die falschen Toiletten zu benutzen und völlig Fremden zutiefst persönliche Informationen über ihr Geschlecht preiszugeben, nur um pinkeln zu können”, so der Gründer Jolyon Maugham KC.

Es wird erwartet, dass die Pride-Paraden in Großbritannien diesen Sommer wieder stärker an die Ursprünge der Protestbewegung erinnern.

Schon kurz nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes war es in mehreren Städten zu Protesten gekommen. In London versammelten sich Tausende Menschen zu einer „Notfall-Demo“ vor dem Sitz des britischen Parlaments und riefen Parolen wie „trans Frauen sind Frauen“ und „Wir wollen Trans-Rechte!“ Unterstützung erhielten sie an diesem Tag auch von vielen Cis-Personen. „Die Rechte der trans Menschen sind bedrohter denn je und deswegen ist es wichtig, dass die LGBTIQA+ Gemeinschaft und die Gesellschaft im Allgemeinen aufsteht und sagt, dass wir dies nicht unterstützen“, meinte etwa eine junge Frau, die gemeinsam mit einigen Freunden an den Protesten teilnahm.

Es wird erwartet, dass die Pride-Paraden in Großbritannien diesen Sommer wieder stärker an die Ursprünge der Protestbewegung erinnern. Bereits jetzt haben die Organisator*Innen der Prides in London, Brighton, Manchester und Birmingham alle politischen Parteien von den Paraden ausgeladen. Diese seien nicht willkommen, solange sie nicht ein „deutliches Engagement für Trans-Rechte“ an den Tag legten. „In einer Zeit, in der die Rechte von Trans-Menschen in Großbritannien zunehmend angegriffen werden, ist unsere Entschlossenheit stärker denn je: Wir werden nicht zulassen, dass Fortschritte zunichte gemacht werden“, so die Veranstalter*innen.

Viele zeigen sich enttäuscht von Premierminister Keir Starmer von der sozialdemokratischen „Labour Party“, der noch vor drei Jahren mit Regenbogenfahne und glitzernder Gesichtsfarbe mit seiner Frau an der London Pride teilgenommen hatte. Starmers Zurückhaltung mag wahltaktische Gründe haben: Die Rechtspopulist*innen von „Reform UK“ haben in jüngsten Lokalwahlen gut abschnitten und stellen eine ernstzunehmende Konkurrenz für Labour dar. Noch im Jahr 2022 hatte Keir Starmer nachdrücklich betont, dass trans Frauen Frauen seien. Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs machte er nun einen Rückzieher. „Eine Frau ist eine erwachsene Frau, und das hat das Gericht absolut klargestellt“, sagte er gegenüber dem britischen Rundfunksender „ITV“. Eine Aussage, die ihm zurzeit wohl politisch günstiger erscheint.

Claire Barthelemy arbeitet als freie Journalistin und lebt in London.

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