Serien-Empfehlungen: „Tuca & Bertie“ und „The Barber Shop – Termin beim Friseur“

Jede Woche stellt die woxx eine neue und eine alte Serie vor. Dieses Mal geht es frisch frisiert ins Vogelnest.

Tuca & Bertie (2019- )

Zwei Vogel-Frauen, Mitte dreißig: Tuca (links) und Bertie (rechts) stellen sich gemeinsam großen und kleinen Alltagsproblemen. (Bild: Netflix)

(ja) – Die Tukanin Tuca (Tiffany Haddish) und die Amsel Bertie (Ali Wong) sind beide Anfang dreißig und beste Freundinnen. Bisher haben sie gemeinsam in einer Wohngemeinschaft gelebt, doch das soll sich nun ändern, denn Bertie will mit ihrem Freund Speckle (ein Rotkehlchen) zusammenziehen. Immerhin ist Berties neue Wohnung nur ein Stockwerk über Tuca, sodass der Trennungsschmerz nicht allzu groß sein sollte. Doch die impulsive und chaotische Tuca findet sich nur schwer mit der neuen Situation ab. Das ist die Ausgangssituation von „Tuca & Bertie“, einer Animationsserie, die auf einem Webcomic von Lisa Hanawalt basiert, die auch als Regisseurin der Serie fungiert. Hanawalt hat bereits an der erfolgreichen Netflixproduktion „BoJack Horseman“ (siehe woxx 1585) mitgewirkt, die ebenfalls von anthropomorphen Tieren bevölkert wurde.

Obwohl der Zeichenstil beider Serien sich auf den ersten Blick ähnelt, ist „Tuca & Bertie“ dennoch ganz anders: In dieser Welt leben keine Menschen, außerdem ist alles viel psychedelischer, viele Gebäude oder Fahrzeuge wirken organisch. Tuca und Bertie stellen sich den kleinen und großen Alltagsproblemen, die sich Anfang dreißig auftun. Bertie ist unglücklich in ihrem langweiligen und dennoch stressigen Bürojob und überlegt, doch noch eine Lehre zur Konditorin zu machen, da Backen ihre große Leidenschaft ist. Während Tuca sich damit zurechtfinden muss, dass sie jetzt alleine lebt und damit auch die alleinige Verantwortung für ihre Wohnung trägt, müssen Bertie und Speckle Wege finden, wie sie ihr Zusammenleben als Paar gestalten. Andere Episoden behandeln Tucas Angst, ewig ohne romantische Partner*in leben zu müssen oder die sexuelle Ermüdung eines Paares, das bereits eine lange Beziehung hat. Allerdings schreckt „Tuca & Bertie“ auch nicht davor zurück, schwierige Themen wie sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu thematisieren und dabei auch die verwirrenden Gefühle, die manche Opfer durchleben, zu zeigen.

Hanawalt nimmt ihre Charaktere ernst und gibt ihnen die Chance, sich weiterzuentwickeln. Was anfangs oft wie eine bekannte Parabel wirkt, stellt sich dann als komplexeres Problem heraus. Der Fokus auf eine Freundinnenschaft ist zwar kein Novum, aber dennoch selten genug, um positiv hervorgehoben zu werden. Trotz guter Kritiken wollte Netflix keine zweite Staffel produzieren – zum Glück ist der US-Sender Adult Swim eingesprungen: Weitere Folgen von „Tuca & Bertie“ sind 2021 zu erwarten.

Netflix.

The Barber Shop – Termin beim Friseur (2016)

Wo Gesichtsbehandlungen und Haare frisieren mehr ist als Pflege: Soniya Chaudhary eröffnete nach einem Säureangriff einen Schönheitssalon in Neu Delhi und setzt sich für Frauenrechte ein. (Foto: Screenshot/arte.tv)

(is) – Ein senfgrünes Auto fährt mit Lautsprecher auf dem Dach durch die Straßen von Rio de Janeiro. Aus den Boxen dröhnt Werbung für einen Friseursalon: „Nutzen Sie unsere Werbeaktion – Salon Faria – Haarschnitt für nur zehn Real und die Aussicht auf einen Gewinn von 1.000 Real in bar.“ So beginnt die erste von fünf Folgen der Doku-Serie „The Barber Shop – Termin beim Friseur“ in der Mediathek des Kultursenders Arte.

Im Salon Faria, der mitten in der Favela Jacarezinho liegt, hilft Pedro Jugendlichen mit krimineller Vergangenheit, von der Straße wegzukommen, und lehrt sie das Friseurhandwerk. In Detroit dokumentiert der Regisseur Luc Vrydaghs den Zerfall der einstigen Metropole der Automobilindustrie, indem er die afroamerikanischen Friseure Larry Webster und Robert Davis in ihrem Kultsalon besucht. Die beiden betreiben den Salon zum Zeitpunkt der Dreharbeiten seit 32 Jahren und haben den Wandel der Stadt miterlebt. Zwischen dem Surren von Rasiergeräten, dem Schnippen von Scheren und Rauschen von Trockenhauben plaudert die vielseitige Kundschaft des jeweiligen Salons ungezwungen über Politik, Privates und ihr Leid.

Haare schneiden wird politisch – zum Beispiel in einem Flüchtlingscamp in Algerien oder im britischen Küstenort Clacton-on-Sea, wo Susan Jacobson mit ihrer Kundschaft fremdenfeindliche Kommentare ablässt und beim Haareschneiden hitzig über den Brexit diskutiert. Doch auch mitten in Neu Delhi ist das Frisieren mehr als ein Teil eines Schönheitsprogramms: Dort hat Soniya Chaudhary nach einem Säureangriff zuhause einen Schönheitssalon für Frauen eröffnet und setzt sich gegen häusliche sowie geschlechtsspezifische Gewalt in Indien ein. Die Folge zeigt unter anderem auf, was es für eine Frau bedeutet, gesellschaftlich wegen ihres Aussehens geächtet zu werden.

Friseursalons als Mikrokosmos in krisengeschüttelten Ländern und Regionen – Vrydaghs bietet einen äußerst bereichernden Einblick in diese kleinen Friseursalons in Brasilien, Algerien, Großbritannien, Indien und in den USA. Ein Friseurtermin war selten so lehrreich. Die Doku-Serie hält vielleicht nicht das Versprechen aus dem Titel – es geht schließlich um weit mehr als um einen Besuch in einem gewöhnlichen Barber Shop –, dafür überrascht sie ihre Zuschauer*innen aber mit Tiefe, ungewöhnlichen Blickwinkeln und interessanten Gesprächspartner*innen.

Arte.tv, bis zum 24. Juli abrufbar.

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