Sudan: Krieg statt Demokratisierung

In Khartoum und an anderen Orten im Sudan sind schwere Gefechte zwischen einer Miliz und der Armee ausgebrochen. Der Konflikt wird von vielschichtigen Interessen anderer Nationen beeinflusst.

Vom Krieg überrascht: 
Die Staatsbürger *innen anderer Nationen werden derzeit hektisch aus dem Sudan evakuiert – für die 45 Millionen Sudanes*innen ist es schwierig zu fliehen. (Foto: EPA-EFE/Stringer)

So plötzlich brechen Kriege selten aus: Am Morgen des 15. April, einem Samstag, brachte Katharina von Schroeder, eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation „Save the Children“, ihren Sohn zum Tenniskurs in seine Schule in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. Kurz darauf brachen Gefechte in der ganzen Stadt aus, berichtete sie in der „Tagesschau“ des Fernsehsenders ARD. Tagelang habe sie mit anderen Familien in der Schule ausharren müssen, wie alle Einwohner der Stadt gefangen dort, wo sie sich gerade aufhielten, mit zur Neige gehenden Vorräten bei 45 Grad Celsius. Warnungen vor einer angespannten Sicherheitslage, wie sie ausländische Staatsbürger gewöhnlich vor solchen Ereignissen von ihrer Botschaft erhalten, gab es keine. Offenbar erwischte es auch die Diplomaten unvorbereitet, ein Mitarbeiter der EU-Kommission wurde angeschossen.

Die reguläre sudanesische Armee und die auf eine Stärke von an die 100.000 Kämpfern geschätzte paramilitärische Miliz der „Rapid Support Forces“ (RSF) geben sich gegenseitig die Schuld daran, mit dem Schießen begonnen zu haben. Die Armee beschuldigte die RSF der illegalen Mobilisierung in den vorangegangenen Tagen. Die RSF behaupteten, die Armee habe in einem Komplott mit Anhängern des langjährigen autokratischen Präsidenten Omar al-Bashir (1989–2019) versucht, die volle Macht an sich zu reißen, als sie auf strategisch wichtige Orte in Khartoum vorrückte. Der oberste Befehlshaber der Armee ist General Abdel Fattah al-Burhan, der seit 2019 dem regierenden sudanesischen Militärrat vorsitzt. Sein Stellvertreter im Rat, General Mohammed Hamdan Dagalo, allgemein bekannt als Hemedti, kommandiert die RSF. Diese sind hervorgegangen aus den Janjaweed-Milizen, die al-Bashir Anfang der 2000er-Jahre ausgerüstet hatte, um den Aufstand in Darfur brutal niederzuschlagen (siehe den Artikel „Zaungast beim Massenmord“ in woxx 911). Al-Burhan und Dagalo befinden sich seit langem in einem Machtkampf.

Warum der Konflikt gerade jetzt eskalierte, ist unklar – erstaunlich ist die Intensität der Kämpfe.

Warum der Konflikt gerade jetzt eskalierte, ist unklar. Erstaunlich ist die Intensität der Kämpfe: Schwere Artillerie, Kampfjets und Flugabwehrraketen kommen zum Einsatz, scheinbar wahllos werden Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen beschossen, auch im Norden und Süden des Sudan gibt es Kämpfe. Manche Beobachter warnen vor einem langen Bürgerkrieg, die Bevölkerung versteckt sich in ihren Wohnungen und Kellern. Inzwischen haben sich einige Menschen organisiert, verteilen Wasser und Lebensmittel und sprühen Parolen gegen den Krieg.

Andere Experten sehen in den Kämpfen eher einen Stellvertreterkonflikt. Dagalo und al-Burhan waren einst Verbündete. Gemeinsam brachen sie mit dem islamistischen Regime al-Bashirs und unterstützten im April 2019 die Revolution, als nach vier Monaten friedlicher Massenproteste der Diktator nicht mehr zu halten war. Gemeinsam putschten sie im Oktober 2021 gegen die zivile Übergangsregierung des Ministerpräsidenten Abdalla Hamdok, errichteten eine Militärdiktatur und setzten sich selbst als Präsident und Vizepräsident ein. Beide versprachen den Übergang zu einer demokratischen Regierung, verschoben aber den Zeitpunkt der Machtübergabe mehrmals. In den vergangenen Monaten gab es deshalb Demonstrationen. Im Dezember unterschrieben beide eine Vereinbarung, die Macht am 11. April an eine zivile Regierung zu übergeben. Doch sie konnten sich nicht einigen, wie schnell die paramilitärischen RSF in die Armee integriert werden sollten. Nach al-Burhans Ansicht sollte dies innerhalb der kommenden zwei Jahre passieren. Dagalo wollte die Unabhängigkeit seiner Truppen erst in zehn Jahren aufgeben.

Der Sudan-Experte Jean-Baptiste Gallopin beschreibt, dass es Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Emirate gewesen seien, die al-Burhan und Dagalo als Militärvertreter ausgesucht hätten, erst um die Revolution zu unterstützen und dann um sich selbst an die Macht zu putschen. Die Saudis hätten demnach gute Erfahrungen mit al-Burhan gemacht, der die sudanesischen Truppen im Jemen im Rahmen der von Saudi-Arabien angeführten Militärallianz kommandiert habe, ebenso mit Dagalo, dessen RSF dort kämpften.

Ägypten, Saudi-Arabien und den Emiraten war al-Bashir schon länger ein Dorn im Auge, da er gute Beziehungen zu Katar und dem Iran unterhielt. Die Revolutionsbewegung kam ihnen also gelegen, doch dann begannen die Emirate, Dagalo mit Waffen zu versorgen. Gallopin zitiert einen ungenannten Minister des letzten Bashir-Kabinetts, es sei offensichtlich gewesen, dass die Emirate einen Militärdiktator nach ägyptischem Vorbild aufbauen wollten. Die Ägypter unterstützten hingegen al-Burhan.

Den Emiraten scheint es um das Goldgeschäft zu gehen. Das organisiert Dagalo gemeinsam mit russischen Söldnern der Gruppe Wagner, die Goldminen in der Zentralafrikanischen Republik ausbeuten und das Gold über den Sudan in die Emirate bringen. Flugzeuge, die der russischen Söldnertruppe gehören, haben nun nach gleichlautenden Berichten internationaler Medien Flugabwehrraketen an Dagalo geliefert. Auch Russland hofiert Dagalo. Im März 2022 war er nach Moskau gereist, um mit Außenminister Sergej Lawrow über die Einrichtung eines russischen Militärhafens am Roten Meer zu verhandeln.

Auch die EU rüstete Dagalo offenbar indirekt aus. Unter Leitung der deutschen „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) wurden dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ zufolge unter anderem Sicherheitskräfte im Sudan ausgebildet und Ausrüstung für den Grenzschutz bereitgestellt. Seit 2015 flossen demnach 46 Millionen Euro in den Sudan zur besseren Kontrolle der Grenzen, wovon mutmaßlich auch Dagalo profitiert habe, da die sudanesische Regierung die RSF als Grenzschützer einsetzte.

Foto: EPA-EFE/LPhot Mark Johnson/MOD/Crown Copyright

Der Sudan liegt auf der Hauptfluchtroute für Eritreer und Somalier. Zu den Unterstützern Dagalos zählt auch der Milizenführer Khalifa Haftar, der in Libyen die Region um Bengasi kontrolliert. Einem Informanten der britischen Tageszeitung „Guardian“ zufolge hat Haftar kurz vor Ausbruch der Kämpfe Dagalo Informationen darüber zukommen lassen, dass al-Burhan gegen ihn vorgehen wolle.

Zuletzt hat auch Israel ein Interesse an Dagalo, denn hinter al-Burhan stehen der Zeitschrift „Africa Confidential“ zufolge die Islamisten. Dagalo trat deutlich überzeugender als al-Burhan für einen Friedensvertrag mit Israel ein; der Sudan hatte Israel 1948 den Krieg erklärt, dieser wurde nie offiziell beendet. Der Sudan wurde Unterzeichner des Abraham-Abkommens, eines Friedensabkommens zwischen Israel und einer Reihe arabischer Staaten, das von der US-Regierung unter Präsident Donald Trump vermittelt wurde. Dem Nachrichtenportal „Middle East Eye“ zufolge konsultiert die israelische Regierung derzeit al-Burhan, während der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad mit Dagalo redet.

Die USA und die EU spielen im Sudan fast keine Rolle mehr – mitverantwortlich für die jetzige Situation sind sie dennoch.

Dagalo hat auch Feinde. Einer seiner größten Widersacher ist der Gründer der Janjaweed-Milizen, Musa Hilal, der jetzt auf Seiten al-Burhans kämpft. Hilal und Dagalo bekämpfen sich schon lange im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik. Hilals Tochter ist die Witwe des verstorbenen Diktators des Tschad, Idriss Déby, dessen Sohn Mahamat Idriss Déby Itno seit 2021 das Land regiert. Dagalo unterstützt die Rebellen im Tschad. In der Zentralafrikanischen Republik wiederum unterstützt Hilal die Rebellen, während Dagalo gemeinsam mit Wagner-Söldnern auf Seiten der Regierung kämpft.

Doch diese Mächte bestreiten, am Kriegsausbruch im Sudan beteiligt zu sein. Aufschlussreich sind die Medien in den Golfstaaten und Ägypten. Auf den Websites von „Gulf News“ und „Arab News“ fehlen Hintergrundberichte über den Krieg. Die englischsprachige Ausgabe der ägyptischen Staatszeitung „al-Ahram“ hat eine Woche nach Beginn der Kämpfe zum Sudan kaum Substantielleres zu berichten, als dass Papst Franziskus zum Dialog aufruft. Es wirkt so, als hätten die Hauptunterstützer des sudanesischen Militärregimes im Sudan ihrer Presse vorerst Zurückhaltung verordnet.

Ägypten unterstützt einerseits im Sudan al-Burhan, andererseits Haftar in Libyen, der wiederum Dagalo unterstützt. Zugleich hängt Ägypten am Tropf der Petrodollars aus Saudi-Arabien und den Emiraten. China scheint bislang nicht involviert zu sein, obwohl der Sudan Ende der 1990er-Jahre dessen Einfallstor in Afrika war. Mit Milliardenzahlungen bauten die Chinesen Sudans Infrastruktur aus. Inzwischen hat China aber seine Importe von sudanesischem Öl deutlich reduziert. Früher bezog das Land etwa sechs Prozent seiner Ölimporte aus dem Sudan, mittlerweile ist es weniger als ein Prozent.

Die USA und die EU spielen im Sudan fast keine Rolle mehr und müssen den Saudis danken, dass sie bei der Evakuierung ihrer Bürger helfen. Mitverantwortlich für die jetzige Situation sind sie dennoch, da sie die sudanesische Demokratiebewegung kaum unterstützt haben. Statt den Militärputsch 2021 zu verurteilen und die Generäle mit Sanktionen zu belegen, führten sie wohlwollende Gespräche mit den Kriegsverbrechern, die zugleich die Demonstranten im eigenen Land niederschießen ließen. Im Sudan zeigte sich noch deutlicher als beim sogenannten Arabischen Frühling, dass Demokratisierung kein primäres Ziel der westlichen Staaten in dieser Region ist. Westliche Diplomaten hätten 2019 gar versucht, Aktivisten zu überzeugen, die Revolution zu unterlassen, schreiben die Autoren des Buchs „Sudan’s Unfinished Democracy“.

Hannah Wettig arbeitet als freie Journalistin 
mit den Arbeitsschwerpunkten Feminismus 
und Arabische Welt.

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