Unpolitisches Buch: Von zielstrebigen Machern


Die erste Gambia-Zwischenbilanz ist erschienen und verblüfft einen angesichts der mangelnden Distanz gegenüber der Regierungsspitze. Für den LW-Autor scheint klar: zwei Männer sind die wahren Macher des „Machtwechsels“.

1347_Regards_Politesch_Buch_Bumb„Fest steht allerdings, dass Xavier Bettel und Etienne Schneider durch ihren Griff nach der Macht das Land verändert haben. Sie haben sich getraut und nicht weggeduckt. Sie haben das Kunststück vollbracht, die rund 20 Jahre lang währende Juncker-Ära zu beenden. (…) Das alles muss man den beiden zielstrebigen Machern der Dreierkoalition lassen und unabhängig von jeglicher politischer Bilanz schon jetzt anrechnen“, stellt Christoph Bumb in seinem Buch „Blau Rot Grün. Hinter den Kulissen des Machtswechsels“ resümierend fest, ohne auf den 189 Seiten seiner Gambia-Zwischenbilanz mit devoten Freundlichkeiten gegenüber der amtierenden Regierungsspitze gegeizt zu haben.

Bereits im Vorwort zu seinem Buch wird der Wort-Journalist Bumb von LW-Chefredakteur Jean-Lou Siweck als „zweifelsohne einer der vielversprechendsten Luxemburger Journalisten seiner Generation“ angepriesen. Offensichtlich will man bei Saint Paul, was den Erfolg des Buches betrifft, nichts dem Zufall überlassen: So wurde zur Vermarktung eigens ein Rundtischgespräch im Mudam mit Caroline Mart von RTL, dem Chefredakteur von Radio 100,7 und Jean-Lou Siweck als Moderator organisiert und selbst in seiner eigenen Zeitung wurde er zu seinem Buch interviewt.

Im Buch selbst sind jede Menge Männer versammelt, die sich nicht wegducken und erfolgreich am Rad der Geschichte drehen. Schon das Coverbild, ein jauchzender Xavier Bettel, der einem lachenden Etienne Schneider auf die Schulter klopft, suggeriert, wen Bumb in seiner Eloge auf die Regierung dabei als Macher definiert: Hier geht es allein um Blau-Rot. Die Grünen spielen in Bumbs Anekdoten über den Regierungswechsel keine Rolle. An den drei Stellen, an denen er sie in seinem Buch erwähnt, werden sie als Gesamtpaket „François Bausch, Felix Braz und Co“ abgehandelt. Immerhin hält er ihnen zugute, dass sie nie Teil des Systems Juncker waren und bei ihnen angesichts der ersten Regierungsbeteiligung „Jubel, Trubel und Heiterkeit“ herrschte. Schnell sei aber klargeworden, dass trotz allen Beteuerungen, wonach alle Koalitionspartner gleichrangig seien, Liberale und Sozialisten die wichtigsten Fragen unter sich klärten, so Bumb. Sein Buch feiert also in erster Linie den Premier und seinen Vize: Diesen identifiziert er als „den wahren Macher, Vordenker und Vollstrecker des Machtwechsels“, während er Xavier Bettel als „jovial“, sowie als „kontakt- und lösungsfreudigen Liberalen“ porträtiert.

Männer, die erfolgreich am Rad der Geschichte drehen

Frauen kommen in seinem Buch quasi nicht vor. Fast scheint es so, als seien die vier Ministerinnen Corinne Cahen, Carole Dieschbourg, Lydia Mutsch, Maggy Nagel, nebst Staatssekretärin Francine Closener in letzter Sekunde von den männlichen Machern aus dem Hut gezaubert worden. Allein Lydie Polfer wird als politische Beraterin Bettels ein Eintrag in sein illustres Personenverzeichnis „Die Macher des Machtwechsels“ zugebilligt. Ebenso findet sich nur ein einziges Zitat einer Frau auf den letzten Seiten des Buchs: „Ich verstehe ja die Freude darüber, dass die CSV in die Wüste geschickt wurde“, sagt da „die in Folge der blau-rot-grünen Personalrochaden zur Bürgermeisterin von Esch/Alzette aufgestiegene“ Vera Spautz, die auf diese Weise nicht als Macherin, sondern als ‚Gemachte’ präsentiert wird. „Die Euphorie sollte uns aber nicht blind machen“, wird die Kritikerin aus den Regierungsreihen zitiert. Doch bei dieser einen weiblichen Stimme bleibt es. Noch nicht einmal, als vom Reformflügel innerhalb der CSV-Fraktion die Rede ist, erwähnt der Autor beispielweise Julie Wieclawski.

Die Recherchen zu diesem Buch hätten gezeigt, dass die Geschichte des Machtswechsels des Jahres 2013 bisher noch nicht erzählt worden ist – zumindest nicht die ganze Geschichte, schreibt Bumb. Welche politisch relevanten Leerstellen es allerdings gewesen sein sollen, die nachzutragen Bumb dem eigenen Anspruch zufolge angetreten ist, bleibt nach der Lektüre seines Buches rätselhaft. Dort findet sich lediglich eine Nacherzählung der bekannten Ereignisse, mit 
allerlei persönlichen Erinnerungen gewürzt.

Die im Vorwort noch versprochene analytische Einordnung der Geschehnisse vermisst man komplett, es sei denn, man hält den Verweis auf persönlich-strategische Motive einzelner Akteure bereits für eine ausreichende Erklärung von Politik. Übrig bleiben daher die bedeutenden Männer, die zurückblicken auf den „historischen Augenblick des Machtwechsels“. DP, LSAP und Déi Gréng wollten die große Volkspartei CSV – in ihren Augen – „der Bremsklotz jeglichen politischen Wandels“, von der Regierung ausschließen. Dazu mussten sie aber zuerst Jean-Claude Juncker, die Inkarnation der luxemburgischen Politik der vergangenen Jahrzehnte, aus dem Amt drängen. Wie Zauberer, die ein „Kunststück“ vollbringen, bedienten sie sich dafür „ganz tief aus der machtpolitischen Trickkiste“, so Bumb.

Persönlich-strategische Motive einzelner Akteure als Erklärung von Politik

Die Abrechnung mit Juncker scheint – neben der kaum zu ertragenden Anbiederung an die Regierungsspitze – das ausgemachte Ziel des Buchs: Sich als Wort-Journalist mit Rückendeckung des Chefredakteurs ein für alle Mal aus der Umklammerung der CSV zu lösen, scheint hier die Motivation.

Die Junckerschelte, die heute schon Mainstream ist, mutet an wie ein nachgeholter Vatermord. Trunksucht, Arroganz, Unorganisiertheit und sein sukzessiver Fall und Gesichtsverlust im Zuge der Srel-Affäre werden gnadenlos beschrieben und mit anonymen Zitaten unterfüttert. „Mit der Srel-Affäre sei Junckers Schicksal schon besiegelt gewesen“, zitiert er ein CSV-Ausschuss-Mitglied rückblickend und erwirkt so Verständnis für die ‚mutigen Macher’, die sich mit dem Ziel, den muffigen CSV-Staat auszumisten und frischen Wind in die Institutionen zu bringen, zusammenschlossen, um den Tyrann zu stürzen.

Nachgeholter Vatermord

Schließlich sei der Premier an einer Mischung aus seiner offensichtlichen Untätigkeit in der Srel-Affäre und einer politisch zwar nachvollziehbaren, aber wohl in dieser Form auch nicht sehr fairen Konzentration der Öffentlichkeit auf seine Person gescheitert. „Doch Politik ist nicht fair. Diese Erfahrung hat Juncker in diesen Wochen ausnahmsweise auch aus der anderen, für ihn ungewohnten Perspektive gemacht“ lässt sich Bumb zu einer analytischen Schlussfolgerung hinreißen.

Immer wieder wird zudem das Bild des undynamischen Langzeit-
premiers bemüht, so bei der Schilderung einer Wahlkampfveranstaltung in der Escher Rockhal: Schneider und Bausch schwangen sich dynamisch auf die Hocker, während Juncker etwas länger brauchte als seine Konkurrenten, um die Bühne zu erreichen, sichtlich Mühe hatte, sich am Sitz hochzuhieven und schließlich schwitzte wie nach einem 100-Meter-Sprint. „Es war ein Bild mit hoher politischer Symbolkraft“, so Bumb, um nachzulegen: „Der Langzeitpremier war nur noch ein Schatten seiner selbst“.

Dem amtierenden Premier Bettel billigt der Autor das zum Wechsel notwendige „politische Kalkül“ hingegen zu. So habe dieser seinen Sitz in der Enquête-Kommission während der Geheimdienstaffäre „heimlich, still und leise“ zugunsten von Lydie Polfer aufgegeben und sich damit „bewusst aus der sich bald ankündigenden parteipolitischen Schlammschlacht entzogen“.

Schleichweg in die Regierung

Schließlich will Bumb mit dem CSV-Mythos eines Putschs aufräumen. Seine These: Blau-Rot-Grün schlich sich vielmehr diskret an der Konfrontation mit den Wählern vorbei in die Regierung. Doch relativiert Bumb in einer für das Buch charakteristischen Art und Weise: „der Weg zur Macht konnte letztlich nur über den demokratischen Weg führen.“ Die „banale, oft verkannte“ Tatsache, dass hier auch eine Freundesclique ans Ruder kam, streift er nur am Rande. Der gemeinsame Nenner der Dreier-Koalition habe letztlich darin bestanden, dass sie den Führungskult um Juncker habe aufbrechen wollen. „Über das rein Persönliche hinaus bewegte sich die Bettel-Generation politisch und gewissermaßen kulturell auf einer ganz anderen Ebene als die CSV der Junckers und Wolters. Bettel, Meisch, Schneider, Bausch, Braz und Co. hatten eins gemeinsam: Sie waren nicht CSV-hörig.“ Dass Kulturlosigkeit zum Markenzeichen dieser Regierung werden sollte, während man zugleich die Beauftragung von Consulting-Firmen kultivierte, um zu sparen und die Verwaltungen und den verhassten „CSV-Staat“ von CSV-Granden zu säubern, daran übt Bumb keinerlei Kritik. Gleichwohl verweist er darauf, indem er gegen Ende des Buchs begeistert den Tatendrang der Regierung in Sachen Haushaltssanierung beschreibt.

Die geflügelten Begriffe „frischer Wind“, „gesellschaftlicher Wandel“ oder die finanzpolitische – von Gramegna immer wieder beschworene – „kopernikanische Wende“ werden einem beständig um die Ohren gehauen. Zudem wimmelt das Buch nur so von wichtigtuerischen Floskeln. Bereits das erste Kapitel beginnt mit einem Zitat von Winston Churchill: „Je weiter man zurückblicken kann, desto weiter wird man vorausschauen.“ Fortan wird jedes weitere Kapitel mit einem belanglosen Zitat von einem der „Macher“ aus der Dreierkoalition garniert, etwa: „Bisher befanden wir uns in einer Logik von Zweierkoalitionen, bei denen die CSV als stärkste Partei gesetzt war. Dies ist diesmal nicht mehr der Fall“ (Etienne Schneider).

Die Anekdoten rund um die angeblich schon früh geplante Dreier-Koalition legt schließlich das Politikverständnis des Autors offen: Da verabreden sich ein paar entschlossene Kerle und beschließen einen Deal. In einer spontanen Telefonkonferenz habe Schneider, als er den Braten roch, Bettel und Braz auf den Kopf zu gefragt: „Also, Jongen, maache mer et?“ Bei einem konspirativen Treffen in der Wahlnacht im Haus von Lucien Lux auf Limpertsberg sei schließlich die Entscheidung gefallen. Auf der Terrasse, bei einer Zigarette hätten die beiden Jungs die Führungsfrage geklärt. „Etienne sagte mir: Du bist der klare Wahlgewinner. Deshalb solltest du Premier werden, sofern du bereit bist, die Verantwortung zu übernehmen“, erinnert sich Xavier Bettel.

Eine wirkliche Analyse hätte mehr Distanz erfordert, sowohl gegenüber der Regierung wie der Opposition. Wer die Ereignisse rund um die Srel-Affäre rekonstruieren will, dem sei die nüchterne Forum-„Chronik eines politischen Wechsels“ empfohlen (Forum Heft 338). In Bumbs „Analyse“ wäre es vor allem aber nötig gewesen, einmal Position zu beziehen. Außer gegenüber Juncker positioniert sich Bumb jedoch nie. Allein für (den ohnehin als Außenseiter, weil als Linker innerhalb der LSAP geltenden) Dan Kersch hat der Autor Häme übrig und unterstellt ihm Opportunismus: „Der kommende Innenminister, der ansonsten keine Gelegenheit ausließ, gegen die ‚Neoliberalen‘ inner- und außerhalb der Partei zu wettern, gab sich angesichts seines persönlichen Aufstiegs in die neue sozial-liberal-ökologische Regierung auf einmal ganz handzahm und zufrieden.“ Oppositionspolitiker Claude Wiseler bezeichnet er hingegen immer wieder als „den kommenden starken Mann“.

An der Regierung = an der Macht?

Im letzten Kapitel beklatscht Bumb nochmal, was er als Griff nach der Macht verstanden wissen will. „Ob die beiden Macher des Machtwechsels in Zukunft noch einmal die Chance erhalten, ihr Meisterstück aus dem Jahr 2013 zu wiederholen und ihre Regierung eine neue Legitimation durch die Wähler erhält, steht tatsächlich in den Sternen“, lautet seine Erkenntnis, mit der er zum x-ten Mal betont, dass an der Regierung und an der Macht sein für ihn ein und dasselbe ist. „Sie dachten, sie wären an der Macht, dabei waren sie nur an der Regierung“, hatte einst Tucholsky – sich über die Sozialdemokraten äußernd – diesen Irrtum beschrieben.

Wie es um die Zukunft des einen „Machthabers“ Etienne Schneider bestellt ist, will dieser natürlich nicht preisgeben und so erschöpft sich das ohnehin unpolitische Buch in allgemeinen potenziellen Zukunftsszenarien über die Laufbahn des Aufstieg-fixierten Sozialdemokraten: „Vielleicht bleibe ich in der Regierung, vielleicht höre ich ganz mit der Politik auf, vielleicht gehe ich ins Ausland. Wer weiß?“ wird Schneider wie ein philosophierender Gerhard Schröder zitiert. In Bezug auf die CSV fällt die lapidare Feststellung: „Welche Linie die Partei in Zukunft programmatisch vertreten wird, ist noch nicht ausgemacht.“ So ist es in der Tat bemerkenswert, wie man auf über hundert Seiten so wenig sagen kann – ohne je wirklich Position zu beziehen. Bumbs Buch ist damit vor allem eine dröge Bestandsaufnahme der Aufbruch-Stimmung der Dreier- bzw. Zweierkoalition in der Post-Juncker-Ära und eine Aneinanderreihung sinnfreier Formeln: Ob morgen die Sonne scheint, kann man wohl heute noch nicht sagen.

Bumb, Christoph: Blau Rot Grün. Hinter den Kulissen des Machtswechsels, 189 Seiten, Editions Saint Paul, 19.- Euro.

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