Wahlen in Ostdeutschland: Schiefe Bahn nach rechts

In den beiden ostdeutschen Bundesländern Thüringen und Sachsen finden am kommenden Sonntag Landtagswahlen statt. Sollte die rechtsextreme „Alternative für Deutschland“ so gut abschneiden wie prognostiziert, wären die gesellschaftlichen Folgen in ihrer Drastik kaum absehbar.

Wer kopiert wen? Wahlkampfplakat der rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ im sächsischen Dresden. In Sachsen und Thüringen wird am 1. September ein neuer Landtag gewählt. (Foto: EPA-EFE/CLEMENS BILAN)

„Es ist aktuell unerlässlich, demokratische Positionen auf allen Ebenen sichtbar zu machen und damit gegen völkischen Nationalismus und Autoritarismus einzustehen“, sagt Anke Miebach-Stiens, „deshalb müssen wir Räume für die Jugend erhalten“. Sie ist Geschäftsführerin der „Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Sachsen e.V.“, (AGJF), die sich für die Rechte geflüchteter Kinder und Jugendlicher einsetzt. Auch die Stärkung der internationalen Jugendarbeit und eine Geschlechterrollen reflektierende Praxis zählen zu den Schwerpunkten des in Chemnitz angesiedelten Vereins. Die Landesmittel für all diese Projekte könnten gestrichen werden, falls die „Alternative für Deutschland“ (AfD) in einer Regierungskoalition in Sachsen künftig mitentscheiden könnte.

Viele der Beschäftigten in den schon bisher mehr schlecht als recht staatlich geförderten Projekten verschiedener Initiativen, Vereine und freien Träger stellen sich die Frage, wie es nach den Wahlen am kommenden Sonntag in Sachsen und Thüringen weitergehen wird. Auch in der jetzt ablaufenden Wahlperiode war es in Sachsen nicht einfach, Fördermittel für soziale Projekte zu bekommen: Hier regiert seit 35 Jahren ununterbrochen die christdemokratische CDU, die sich nach dem Anschluss der ostdeutschen DDR an die westdeutsche BRD als sächsische Regierungspartei etabliert hat.

Von den absoluten Mehrheiten der Nachwendezeit während der 1990er-Jahre bis ins Jahr 2004 ist man allerdings mittlerweile weit entfernt. Seit 2019 regiert die CDU in Sachsen in einer Koalition mit der sozialdemokratischen SPD und den Grünen. Bei den vergangenen Landtagswahlen im Jahr 2019 kamen die Christdemokraten auf 32,1 Prozent der abgegebenen Stimmen, die Grünen auf 8,6 Prozent, die SPD auf 7,7 Prozent. Zusammen reichte es für eine Regierungsmehrheit, weil 13,8 Prozent der Stimmen auf kleinere Parteien wie die Tierschutzpartei oder die liberale FDP entfielen. Diese kamen jeweils nicht über die 5-Prozent-Hürde, weshalb die Stimmen ihrer Wähler*innen bei der Sitzverteilung im Parlament keine Rolle spielten.

AfD gesichert rechtextrem

Die rechte Opposition, die AfD, ist bereits 2019 mit 27,5 Prozent der abgegebenen Stimmen zur zweitstärksten Partei avanciert. „Die Linke“ kam auf 10,5 Prozent und hatte es als kleinere Oppositionspartei schwer, in den Medien präsent zu sein. Die Wahlbeteiligung lag bei 66,6 Prozent der gut 3,2 Millionen Wahlberechtigten.

Bei den zentralen landespolitischen Themen gibt die CDU die Richtung vor, der von ihr gestellte Ministerpräsident Michael Kretschmer tritt als omnipräsenter Landesvater dominant auf. Seit 2022 ist er auch einer von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU – und damit ein Schwergewicht in der Union. Der sächsische Landesverband ist dort rechts angesiedelt. Bei den jetzigen Wahlen ist Kretschmer abermals Spitzenkandidat seiner Partei und will sein Amt verteidigen. Am liebsten ohne die von ihm heftig kritisierten Grünen als Koalitionspartner.

Als Bollwerk gegen eine weitere Drift Sachsens nach rechts erscheint die CDU allenfalls, bis man genauer hinschaut: „Einige institutionelle Förderungen auf kommunaler und Landesebene sind jetzt schon gefährdet oder gar gestrichen worden, etwa die schulischen Aufklärungsprogramme des queeren Leipziger RosaLinde e.V.“, so die feministische Autorin Koschka Linkerhand über die aktuelle Situation. Die Streichung dringend benötigter finanzieller Mittel gebe es daher auch „ohne AfD, wenn die regierende CDU und auch andere Parteien sich unter Zugzwang sehen, immer stärker populistische Politik zu machen“.

Stephan Schneider, Projektleiter der „Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball“ in Leipzig sieht das ähnlich: „Die sächsische CDU fällt kontinuierlich mit Positionen und Beschlüssen auf, die Rechtsextremismus verharmlosen oder sich extrem rechten Positionen der AfD anbiedern.“ Mit fatalen Folgen: Obwohl der AfD-Landesverband Sachsen nicht nur von Antifa-Gruppen, sondern selbst vom sächsischen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, tritt der sächsische Ministerpräsident der Partei eher formal als inhaltlich entgegen: Es handle sich eben um Extremisten.

In einer Vorwahlbefragung des Instituts Infratest-Dimap im Auftrag des Fernsehsenders ARD elf Tage vor den Wahlen deutet sich ein knapper Sieg der CDU in Sachsen an. Die Partei käme demnach auf 31 Prozent der Wählerstimmen. Das wäre ein Prozent weniger als 2019. Zweitstärkste Kraft wäre erneut die AfD mit 30 Prozent, das wären 2,5 Prozent mehr als bei den vergangenen Wahlen. Die Grünen kämen nur noch auf sechs Prozent – ein Verlust von 2,6 Prozent – und die Sozialdemokraten erzielten gleichbleibend sieben Prozent. Die Linke würde bei diesem Stimmenergebnis mit vier Prozent erstmals bei einer ostdeutschen Landtagswahl an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Alle weiteren Parteien blieben jeweils unter drei Prozent, darunter auch die liberale FDP.

Für eine Neuauflage der aktuellen Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen würde ein solches Wahlergebnis nicht reichen. Als Alternative bliebe der CDU, abgesehen vom kategorisch ausgeschlossenen Bündnis mit der AfD, allein eine Koalition mit dem neukonstituierten „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW). Das Bündnis um die ehemalige Linken-Politikerin würde laut Umfrage mit 14 Prozent der Stimmen auf Platz drei kommen.

Kampf um Deutungshoheit

Bei den Europawahlen im Juni hatte die AfD in Sachsen 31,8 Prozent erzielt und die CDU damit in nahezu allen Wahlkreisen auf den zweiten Platz verwiesen. In der Stadt Görlitz in Ostsachsen erzielte die Partei gar 40 Prozent. Damit geht eine rechtsextreme Dominanz auf der Straße einher. An ihr wirken auch Gruppierungen rechts der AfD mit, die teilweise offen als Neonazis auftreten. Ein Kampf um die politische und kulturelle Deutungshoheit finde statt, so Koschka Linkerhand: „Die Nazis werden lauter und präsenter, testen, wie weit sie gehen können, indem sie etwa versuchen, CSD’s (Gay Pride Paraden; Anm. d. Red.) mit Gegenkundgebungen einzuschüchtern“.

So wurde in der ostsächsischen Stadt Bautzen der von rechtsextremen Versammlungen begleitete Demonstrationszug zum Christopher Street Day (CSD) vorzeitig abgebrochen, die Abschlusskundgebung fiel aus. Während die sächsische Polizei erklärte, es habe „keine größeren Ausschreitungen oder Übergriffe“ gegeben, berichteten Teilnehmende anderes: Demnach säumten Hunderte Rechtsextreme die Umzugsstrecke des CSD, riefen „Ausländer raus!“ und kamen den etwa 1.000 Teilnehmenden wohl auch ziemlich nahe.

Im Kontrast dazu zeigte sich einmal mehr, dass in der sächsischen Universitäts- und Großstadt Leipzig anders als im ländlichen Raum oder kleineren Städten eine starke antifaschistische Linke existiert, die sich den Nazis auf der Straße entgegenstellen kann. Eine Woche nach den Störungen des CSD in Bautzen konnten Zehntausende Menschen in Leipzig den Christopher Street Day ohne größere Störungen feiern. Ein rechtsextremer Aufzug mit etwa 400 Teilnehmenden sah sich mit drei Gegendemonstrationen konfrontiert.

Drohen, einschüchtern, terrorisieren

Verhandelt werden bei all dem „Themen, die vermeintlich längst im Mainstream angekommen sind, wie sexuelle Vielfalt, die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von Frauen oder Geflüchtete und andere Migrant*innen als Teil der Gesellschaft“, so Koschka Linkerhand. Zwar seien diese Themen auch in einer Großstadt wie Leipzig nicht alle unumstritten, „aber im sächsischen Hinterland, wo sich nie eine linksbürgerliche Zivilgesellschaft etabliert hat“, seien sie nie als Teil der gesellschaftlichen Realität auf einer breiten Basis akzeptiert worden. „Die Leute, die sich dafür einsetzen, kämpfen gegen Windmühlen und werden zunehmend offen bedroht“, sagt Linkerhand.

Dergleichen berichten auch kommunale Politiker*innen, nicht nur von der Linken und den Grünen, sondern auch von SPD und CDU. Mehrere Lokalpolitiker*innen, darunter auch Bürgermeister*innen, haben angesichts der Bedrohung von rechts aus Angst um ihre Gesundheit und ihre Familien ihr Engagement beendet. Volkmar Schreiter, bis dahin FDP-Bürgermeister von Großschirma im Landkreis Mittelsachsen, nahm sich Ende 2023 gar das Leben, wie die Zeitung „Neues Deutschland“ berichtete. Ein Artikel der „Freien Presse“ über die Hintergründe verwies unter anderem auf etliche Dienstaufsichtsbeschwerden, die Schreiters Stellvertreter, der AfD-Politiker Rolf Weigand, gestellt habe und die dem Rathauschef offenbar schwer zusetzten. Als nach Schreiters Tod im März 2024 ein neuer Bürgermeister gewählt wurde, übernahm Weigand das Amt. Die Wahl wurde zwar mittlerweile wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt. Doch bei der Wahlwiederholung, die ebenfalls am kommenden Sonntag stattfindet, ist Weigand der einzige Kandidat.

„Zur Wahrheit gehört auch, dass das gesellschaftliche Klima in den letzten Jahren erheblich rauer geworden ist, insbesondere in Sachsen“, erklärte im Juli die CDU-Bundestagsabgeordnete Yvonne Magwas. Sie werde sich daher bei den Bundestagswahlen im kommenden Jahr nicht mehr zur Wahl stellen. „Es wird gelogen, diskreditiert, gehetzt; die Demokratie und ihre Institutionen werden von AfD, Freien Sachsen, III. Weg, NPD und wie sie alle heißen, Tag für Tag und systematisch in Frage gestellt“, so die Politikerin. Ziel all dieser rechten Parteien sei es, die Demokratie und ihre Institutionen zu zerstören.

In Thüringen, wo am Sonntag ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wird, ist die Ausgangslage eine andere. Doch auch in diesem westlich an Sachsen angrenzenden Bundesland kippen die Verhältnisse nach rechts. Hier hat Björn Höcke den Landesvorsitz der AfD inne; ein Mann, der gerichtlich beglaubigt als Faschist bezeichnet werden darf. Auch sein Landesverband wird vom dortigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.

Machtwechsel in Thüringen?

Nach der letzten Landtagswahl mit ihren knappen Mehrheitsverhältnissen war es im Thüringer Parlament zu einem aufsehenerregenden Eklat gekommen: Gegen den seit 2014 regierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow der Linken kandidierte der FDP-Mann Thomas Kemmerich im Februar 2020 im Parlament für das Amt des Chefs der Landesregierung – und zählte dabei auf die Stimmen der AfD. Im dritten Wahlgang wurde er mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Linke, SPD und die Grünen hatten für Bodo Ramelow gestimmt. Da alle genannten Parteien auf Bundesebene aber jede Kooperation mit der AfD ablehnten, auch der Bundesvorstand der FDP, musste Thomas Kemmerich widerwillig zurücktreten und den Weg freimachen für die Wiederwahl von Bodo Ramelow, Dessen rot-rot-grüne Koalition bildete daraufhin eine Minderheitsregierung, die vermutlich am 1. September abgewählt werden wird.

War die Linke 2019 noch die meistgewählte Partei mit 31 Prozent, wird sich das Wahlergebnis allen Umfragen nach nun massiv verändern: Zum einen tritt auch in Thüringen erstmals das neukonstituierte „Bündnis Sahra Wagenknecht“ an, zum anderen wird der AfD, die zuletzt 23,4 Prozent verbuchte, ein massiver Stimmenzuwachs prognostiziert.

Das prognostizierte Wahlergebnis steigere die „Gefahr, dass sich struktureller Rassismus weiter verfestigt“, meint Mouhamed Adam Alazawe vom Flüchtlingsrat Thüringen. „Dabei geht es nicht nur um den Rassismus von rechts, sondern auch um den tief verwurzelten Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft“, so Alazawe, der in Erfurt lebt und 2015 aus Syrien geflohen ist: „Behördenwillkür könnte so zur Normalität werden, während Projekte, die Schutzsuchende und Migranten unterstützen, systematisch unterfinanziert bleiben“.

Die Fallhöhe für zivilgesellschaftliche Projekte ist in Thüringen höher als in Sachsen. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich zum Ziel gesetzt, die eingewanderten und geflüchteten Menschen in Thüringen zu integrieren und in Arbeit zu bringen. Mit dieser Orientierung wird es nach den Wahlen am 1. September aller Voraussicht nach vorbei sein. Koschka Linkerhand erwartet, dass die Entwicklung nach rechts weitergeht. Daher werde auch der Kampf dagegen mehr Kraft erfordern – „mag es um Zivilcourage im Alltag gehen, Widerspruch gegen abgesägte Finanzierungen oder verstärkte Polizeigewalt gegen Migrant*innen und Linke“.

Das erfordere eine Zäsur. „Neben der Verteidigung bestehender zivilgesellschaftlicher Strukturen müssen wir die Grenzen der Institutionalisierung linker Politik stärker ins Auge fassen“, so Linkerhand: „Dass man Geld für linke Bildung oder für Beratung und Unterstützung etwa gewaltbetroffener Frauen bekommt und sogar seinen Lebensunterhalt damit verdient, ist eine deutsche, vielleicht westeuropäische Besonderheit. Wir müssen verstehen, dass das historisch und auch im transnationalen Vergleich durchaus nicht üblich ist – und natürlich auch auf Kosten radikalen Denkens und Handelns geht und immer gegangen ist.“

Gaston Kirsche ist Journalist und lebt in Hamburg.

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