FOTOGRAFIE: Die permanente Auflehnung

Noch bis zum 11. November stellt die Galerie Salzinsel in der Escher Kulturfabrik in Zusammenarbeit mit der woxx Porträts von Frauen im Gefängnis aus. Ein Interview mit der Künstlerin Eva Haule.

Widerstand gegen den Wahn, alles auszulöschen, was über die kapitalistische Ordnung hinausweist: die Fotografin Eva Haule. (Foto: Selbstporträt)

woxx: Sie haben erst im Knast mit dem Fotografieren begonnen. Inwiefern hat das Fotografieren Ihre Wahrnehmung verändert?

Eva Haule: Meine Wahrnehmung hat sich nicht verändert. Ich bin durch den Knast kein anderer Mensch geworden. Das Fotografieren ist nur ein neues und zusätzliches Mittel für mich, das ich hoffentlich nutzen kann bei dem, was mir immer noch das Wichtigste ist: die gesellschaftlichen Verhältnisse umwälzen.

Einmal von dem im Titel „Porträts gefangener Frauen“ festgehaltenen Thema abgesehen – wovon handelt die in Luxemburg ausgestellte Fotoserie, wenn Sie auf die vor einigen Jahren abgeschlossene Arbeit zurückblicken?

Die Fotoserie handelt von Bewohnerinnen eines Planeten, der mitten in der deutschen Gesellschaft und zugleich völlig isoliert von ihr ist und auf dem die Prinzipien des kapitalistischen Systems ganz nackt herrschen: Gewalt und totale Fremdbestimmung. „Leben“ ist dort nur möglich in der permanenten Auflehnung, im Widerstand dagegen; das ist noch nicht politisch bestimmt, gemeint ist eine Haltung, sich unter keinen Umständen die innere Freiheit nehmen zu lassen.

Was hat Sie an der Zusammenarbeit mit den Frauen am meisten beeindruckt?

Ihre Offenheit.

Im Vorwort zu Ihrem Buch thematisieren Sie auch den Aspekt, die inhaftierten Frauen, die Sie fotografiert haben, mit Hilfe der Fotos wieder „sichtbar“ zu machen. Doch wie hat sich das Fotografieren auf Ihren eigenen Kampf um Subjektivität im Knast ausgewirkt?

Es war ein Raum, den ich mir in dieser totalen Institution erkämpft habe, in dem ich frei sein und meine eigene Sache entwickeln konnte. Das Fotografieren wurde später auch zu einem Baustein für ein „Leben nach dem Knast“. Die Arbeit mit den Frauen war der Schlüssel, der die Tür öffnete zum „Freigang“ in Berlin und zur Ausbildung an der Schule „Fotografie am Schiffbauerdamm“.

An welchem Projekt arbeiten Sie im Moment?

Aktuell fotografiere ich bei einem Theaterprojekt des Kollektivs VolkArt mit gefangenen Frauen hier in Berlin; ich dokumentiere die Proben und porträtiere die Frauen. Wenn das im November beendet ist, möchte ich einen Workshop „Selbstporträt“ mit kurdischen Frauen in einem Zentrum für Migrantinnen in Spandau beginnen. Seit zwei Jahren fotografiere ich antifaschistische WiderstandskämpferInnen in Berlin und zeichne ihre Lebensgeschichten auf. Diese Arbeit, die noch nicht abgeschlossen ist, hat den Titel „Gesichter des antifaschistischen Widerstands“.

Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Ich hatte mich schon früher viel mit dem Faschismus beschäftigt und dann im Gefängnis sehr viel gelesen über den antifaschistischen Widerstand; Biografien, Berichte, Erinnerungen, auch aus den Konzentrationslagern. Ich habe viel gelernt und die vermittelten Erfahrungen haben mir bei meinem Weg durch die Gefängnishölle sehr geholfen. Als ich 2004 in Berlin in den Freigang kam, war es das Erste, was ich auch als Fotoprojekt im Rahmen der Ausbildung unbedingt machen wollte: Überlebende kennen lernen, sie porträtieren, ihre Erfahrungen, von ihnen selbst erzählt, auf Tonband aufnehmen – daraus soll eine Ausstellung und wieder ein Buch mit beigelegter CD werden.

Die Geschichte dieser Menschen und Ihre eigene Geschichte – beide stellen Aspekte linken Widerstands gegen das Bestehende dar. Gibt es zwischen Ihnen und Ihren GesprächspartnerInnen auch Diskussionen darüber und besteht die Möglichkeit, gemeinsam diese Ansätze zu reflektieren?

Sicher, es gibt gute und sehr kontroverse Diskussionen mit ihnen, auch wenn die Erfahrungen sehr unterschiedlich sind. Die meisten von ihnen haben nach 1945 in der DDR gelebt, was zusätzlicher Gesprächsstoff ist, aber eben auch bedeutet, dass sie die reale politische Situation in der BRD der Siebziger und Achtziger kaum kennen. Was wir immer wieder festgestellt haben: Es gibt Parallelen im deutschen Umgang mit der DDR- und der RAF-Geschichte. Dieser Wahn, alles radikal auszumerzen, was auf eine Perspektive jenseits der kapitalistischen Ordnung verweist und um diese Perspektive kämpft.

Im kommenden Jahr jährt sich der so genannte deutsche Herbst zum 30. Mal. Kann diese Gelegenheit auch genutzt werden, um den Blick der Öffentlichkeit auf immer noch Inhaftierte aus der RAF zu lenken? Eine Freilassung von Christian Klar etwa, der seit 1982 im Gefängnis sitzt, wurde bislang immer abgelehnt.

Da wird konzentriert quer durch alle Medien eine geballte Ladung aus Hetze und Lügen abgeschossen werden, wieder mal in der Hoffnung, jede Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF wie der revolutionären Bewegung in der BRD insgesamt, für immer zu ersticken. Ob es dann auch andere Stimmen gibt, die sich für die Freiheit der letzten vier Gefangenen aus der RAF einsetzen, wird sich zeigen. Wir arbeiten daran.

Wenn Sie eine Fotoreportage aus einem Land Ihrer Wahl machen sollten: Welches würden Sie wählen?

Palästina. Ich würde die Menschen und ihre Lebensbedingungen fotografieren, Kontakt zu linken Organisationen suchen und mit ihnen die aktuelle Entwicklung und mögliche Perspektiven diskutieren. Aus eigenem Interesse und weil ich hier in der Öffentlichkeit viel zu wenig davon finde.

Zur Person:
Eva Haule, geboren 1954 in Tübingen, schloss sich 1984 der Roten Armee Fraktion (RAF) an. Im August 1986 wurde sie verhaftet und wegen eines versuchten Anschlags auf eine Nato-Einrichtung in Bayern zu 15 Jahren Haft verurteilt. Acht Jahre später kam eine neue Anklage dazu. Man beschuldigte sie, 1985 bei einem Anschlag auf die Frankfurter Rhein-Main Air Base beteiligt gewesen zu sein, bei dem ein US-amerikanischer Soldat erschossen wurde. Das Urteil lautete „lebenslänglich“. Die meiste Zeit ihrer nun schon 20 Jahre währenden Haft hat Haule im Frauengefängnis Frankfurt-Preungesheim verbracht. Dort lernte sie auch in mehreren Kursen das Fotografieren. Seit 2004 ist sie als „Freigängerin“ im Berliner Frauengefängnis und absolviert eine Ausbildung an der Schule „Fotografie am Schiffbauerdamm“. Ihre Bilder hat sie bisher unter anderem in Berlin, Salzburg und Barcelona ausgestellt. Ein Ende ihrer Haftzeit ist nicht absehbar. Die Schwarz-Weiß-Porträts ihrer Mitgefangenen sind zwischen 1998 und 2003 entstanden.

Das Interview wurde per E-Mail geführt.

Die Ausstellung mit dem Titel „Porträts gefangener Frauen“, die gemeinsam von der Galerie Salzinsel und der woxx organisiert wurde, wird noch bis zum 11. November in der Kulturfabrik in Esch zu sehen sein.


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