Der letzte linke Kleingärtner, Teil 1: Gartenglück & Urlaubsfreuden


Was den Hühnerstall mit Betrieb und Büro verbindet und warum ein Gemüsebeet nicht wie ein Exerzierplatz aussehen muss.

Im Hühnerstall geht es zu wie am Arbeitsplatz: Überall findet sich ein schwarzes Schaf. (Foto: Aktion 3.Welt Saar e.V. / Max Gerlach)

Dann geschah es doch: Zur Überraschung meiner Hühner machte ich mit der ganzen Familie Ferien. Meine Nachbarin erklärte sich bereit, das Federvieh zu füttern und es mit Wasser zu versorgen. Als Gegenleistung überließ ich ihr die zwei bis drei Eier, die meine vier Hühner täglich legen würden – theoretisch.

Die Nachbarin kümmerte sich vorbildlich um die Hühner. Es fehlte ihnen an nichts. Futter, Wasser und Auslauf gab es reichlich. Nur – sie legten ab dem ersten Tag meiner Abwesenheit keine Eier mehr. So, als würden sie streiken und dies mit der klaren Forderung nach meiner sofortigen Rückkehr verbinden. Wenn der Chef weg ist, wird gefressen, aber nicht gearbeitet. Ohne Chef legen wir keine Eier. Insgeheim fühlte ich mich natürlich geschmeichelt, wenn die Hühner so auf meine Präsenz bestehen. Wer mag es nicht, gebraucht zu werden? Und wirklich, seit ich aus dem Urlaub zurück bin, fingen sie wieder an, Eier zu legen. Zwar noch keine drei am Tag, aber immerhin ein bis zwei.

Es ist wie bei den anderen Zweibeinern. Nur wenn der Chef da ist oder zumindest sein baldiges Kommen glaubhaft machen kann, arbeitet das Fußvolk. Ansonsten schwirrt es im Internet herum, macht Kaffeepause und lässt die Verantwortung für das Leben, die Firma und die Erde auf den Schultern des Chefs ruhen. Sehr autoritätsorientiert, das ganze Gesindel. Ich hätte es wissen können. Trotz all dem Gefasel von flachen Hierarchien führt doch kein Weg daran vorbei, dass der Chef in patriarchaler Manier ab und an real durch die Bude streift, hier und da Lob und Belohnungen verteilt. Und schon sind alle wieder schwer motiviert, sich für ihren Betrieb voll einzusetzen. Warum sollte Team-Building bei Hühnern anders laufen?

Auch bei der Ordnung in meinem Gemüsegarten lerne ich ständig dazu. In den üblichen Gartenbüchern ist meist von schnurgeraden Pflanzreihen die Rede. Deshalb lese ich sie nur selten. Jeder Autor eines Gartenbuchs – das gilt ebenso für Autorinnen – hat seine Gartenphilosophie. Solche Bücher sind für Menschen geschrieben, die Zeit haben und sich über die Platzierung von Pflanzen und Samen stundenlang ihre Gedanken machen. Meins ist das nicht. Ich will Ertrag mit einem erträglichen Zeitaufwand. Überhaupt gleichen Gartenbücher nicht selten grafisch anspruchsvoll gestalteten Gebrauchsanweisungen. Von Schritt eins bis zu Schritt zwölf wird detailliert erklärt, was man tun muss, um Erfolg zu haben. Da bleibt wenig Raum für Vielfalt und Bastelei.

Das beste Gartenbuch, seit langem habe ich im Urlaub gelesen, gut getarnt in einem politikwissenschaftlich-kulturanthropologischen Einband und mit dem Titel „Applaus dem Anarchismus“ versehen. Geschrieben von James C. Scott, im Brotberuf Professor für die besagten Fächer an der US-Universität Yale, lädt das Buch zu einer anarchistischen Sicht auf die Welt ein.

Ordnung muss sein – 
nur welche?

Scott widmet sich weniger der großen Politik, im Mittelpunkt stehen vielmehr die kleinen alltäglichen Geschichten. In denen sieht er nämlich, in Anlehnung an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, die großen politischen Linien verborgen. So tauchen mitten in der kulturanthropologischen Abhandlung plötzlich vier Seiten über das Ordnungssystem von Bauerngärten in Mittelamerika auf. Die entziehen sich „unserer“ Vorstellung von Ordnung im Garten und auf den Feldern, denn die ist doch stark von gerader Linie und rechtem Winkel geprägt.

Die Pflanzen stehen in Reih und Glied, dem Bauern wie dem Kleingärtner obliegt zur Ernte nur die Abnahme dieser militärisch anmutenden Pflanzenparade. Entsprechend findet vorher auch eine Zurichtung des eigenen Denkens statt. Die brachte effizienzorientiert auch eine Reduzierung lokaler Vielfalt mit sich, was die Ernährung der Menschen in ihrer Gesamtheit nicht sicherer gemacht hat. Dennoch bleibt für viele diese Form wissenschaftlich unterfütterter Ordnung mit geraden Reihen und einer Frucht pro Feld das Idealbild von Landwirtschaft und Gartenbau.

Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann fand ein im westlichen Wissenschaftsbetrieb ausgebildeter Botaniker heraus, dass auch dem unordentlich anmutenden Garten, noch dazu in einer Steillage gelegen, ein durchdachtes Ordnungssystem zugrunde lag. Na also, Ordnung meint immer nur je ein bestimmtes System. Das hatten auch schon die Verfasser des UN-Weltagrarberichts von 2008 herausgefunden.

Eine kleinräumige und an Vielfalt orientierte Landwirtschaft kann die Menschheit ernähren – und weniger die Vereinheitlichung von Saatgut, Pflanzen und Feldern. Eine solche mit wissenschaftlichem Gedöns daherkommende Normierung mag für einen schmalen Korridor passen, in dem bei Wetter, Sonne, Regen und Boden keine großen Abweichungen zu befürchten sind, und so den besten Ertrag ergeben. Aber letztlich ernährt Vielfalt die Welt – theoretisch.

James C. Scott – Applaus dem Anarchismus. Aus dem Englischen von 
Werner Petermann. Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, 172 Seiten.

 

When „Krauts“ 
go Rüben …

Legt künftig ab und zu für 
die woxx ein Ei: Roland Röder; Kleingärtner, Kolumnist 
und Mitarbeiter der Aktion 3.  Welt Saar.

(woxx) – Ab sofort erscheint in der woxx eine Gartenkolumne. Wir kompostieren sozusagen das, was vorab in unserer Berliner Partnerzeitung „Jungle World“ erscheint. Roland Röder, ein bei uns im Hause altbekannter Mitstreiter
der „Aktion 3. Welt Saar e.V.“ mit Sitz im saarländischen Losheim am See, schreibt seit 2016 die Kolumne mit dem Titel „Krauts & Rüben. Der letzte linke Kleingärtner“. Sie entsteht im Rahmen des Agrarprojektes „ERNA goes fair – Für eine Faire Landwirtschaft“ der Aktion 3.  Welt Saar. Röder weiß hoffentlich, wovon er schreibt, denn immerhin bewirtschaftet er knapp 300 m2 Garten und wird dabei auch von vier Hühnern unterstützt. In loser Folge werden einige der Kolumnen nun auch in der woxx erscheinen.
„Muss das wirklich sein? Ist dem deutschen Kleingärtner sein Gemüseeinerlei, in dem er sich austoben kann, zu klein geworden?“, hat uns Röder rhetorisch gefragt: „Muss jetzt Luxemburg daran glauben?“ Es muss, so Röder, der wie jeder Kleingärtner, der etwas auf sich hält, seine Ware als regionales Produkt anpreist: „In etwa das gleiche Klima und das gleiche Bedürfnis nach automobiler Fortbewegung, sowie viele parteipolitische und gesellschaftliche Wichtigtuer in der Politik. Da kann man als ganz normaler Mensch schnell die Orientierung verlieren. Aber dafür gibt es jetzt den linken Kleingärtner. Die Welt ist durcheinander und der letzte linke Kleingärtner bringt Ordnung hinein.“ Ob das, was in Berlin klappt, auch für Luxemburg passt? Mal sehen. Der Berliner Übertitel tut es schon mal nicht, denn was dem Saarländer in selbstironischer Anspielung ein „Kraut“ ist, bleibt hierzulande immer noch der „houre Preiss“. Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Makellose Produkte gibt’s nur an der Obsttheke im Supermarkt.
Der letzte linke Kleingärtner sinniert über Erntefreuden und Hagelschäden, über sterbende Hühner und blühendes Leben sowie über die große Landwirtschaft. Dabei schwankt er in seinen Ausführungen zwischen penetrant ordnungsliebend und ebenso penetrant auf Vielfalt gepolt. Daraus entstehen allerhand argumentative Komplikationen, die nur durch intensive Selbstgespräche über Gartenbau sowie über „Gott und die Welt“ gelöst werden können. Und zwischendrin gibt er fundierte Anbautipps und berichtet von seinem ständigen Kampf mit dem Wetter, dem Regen, der Sonne, dem Saatgut und dem Boden.
Um die Herzen des Publikums emotional verlässlich zu erreichen, tauchen als weiteres Stilmittel in der Kolumne vier Hühner auf, die es auch im richtigen Leben gibt. Sie sind in die Gartenarbeit integriert und müssen hart arbeiten, damit es zu einer überbordenden Ernte kommt. Immerhin kümmert sich der letzte linke Kleingärtner um nichts weniger als die Ernährung der Menschheit. Drunter macht er es nicht. Einer muss es ja tun.
Nicht zuletzt stichelt „Der letzte linke Kleingärtner“ gegen die weit verbreiteten Klischees über Landwirtschaft und Gartenbau: Mal hat er die vermeintlich dummen Bauern, mal die dummen NGOs, mal die dummen Veganer, mal die dummen Verbraucher im Blick. Außer ihm weiß sowieso niemand Bescheid. Bei diesen Überlegungen gerät er derart ins Straucheln, dass er Gefahr läuft, seine Meinung ändern zu müssen, was er wiederum mit allen argumentativen Mitteln zu verhindern sucht. Und dazwischen gackern die Hühner. Fortlaufend ist er auf der Suche nach der Antwort auf die ganz große Frage: Warum sind Kleingärtner die verlassensten Geschöpfe auf Erden?
Passend zur Urlaubszeit hat er sich für den Einstand seine Lieblingskolumne ausgesucht, sie leicht überarbeitet. Sie handelt von Hühnern, einer netten Nachbarin, dem Prinzip Ordnung, dem Charme der Anarchie und liefert uns durch die Hintertür noch eine kleine Buchrezension.


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