Der letzte linke Kleingärtner, Teil 66: Handys und Hühnerkacke

Ätzend ist nicht nur der Humor des letzten linken Kleingärtners, sondern auch so manche Hinterlassenschaft seiner Schützlinge. In dieser Kolumne denkt er darüber nach, wie er mit beidem Kasse machen kann.

Eine Tradition unter den Zigarrenmachern: Vielerorts wurde zur Unterhaltung und Weiterbildung während der Arbeit ein Vorleser bestimmt. Die deutsche Gewerkschaft NGG bezieht sich auf ihn als Symbol. (Foto: Aktion 3.Welt Saar e.V.)

Es ist eine Geißel der Menschheit geworden. Außerhalb meines safe space, dem Hühnerstall, treffe ich zunehmend auf Mitmenschen, denen jede Form von Manieren und Ordnung fehlt. Ich rede mit meinem Gegenüber, und plötzlich piept es. Und er unterbricht das Gespräch mit mir und beginnt digital via Handy herumzugackern. Natürlich heißt es dann immer: „nur kurz“.

Als komme es dann nie wieder vor. Doch seit wann kann eine Sucht als beendet gelten, wenn man eh schon weiß, dass man bei der nächsten Gelegenheit wieder einen Rückfall haben wird? Ein Konsument – und eine Konsumentin – von Bier, Alkohol und sonstigen berauschenden Substanzen behauptet auch immer, er oder sie ziehe sich nur eben die letzte Dosis rein und dann sei alles gut. Genau so tickt auch die allgegenwärtige Spezies aus dem digitalen Hühnerstall. Wie soll mit solch gackernden Hühnern im Menschenkleid jemals die Rettung der Welt gelingen?

Aus der Holzspalterei – zwischendurch stöhnen wie im hippen Fitnessstudio und sich den Schweiß abwischen – lässt sich ein brummender Geschäfts- zweig entwickeln.

Gott, was bin ich froh, dass meine Hühner anders sind. So bleibt der Hühnerstall mein Rückzugsort, um dem Einerlei der eindimensionalen Zweibeiner zu entkommen und in einem Meer analoger Ruhe abzutauchen. Hier ermöglicht die Welt tatsächlich die aus Yoga- und Achtsamkeitsseminaren bekannte Entspannung und versorgt mich mit Energieströmen, von denen andere nur träumen können.

Eigentlich wäre das eine veritable Geschäftsidee: Solche Seminare sind gerade der große Hype und man kann damit ordentlich abkassieren. Auf diesem Marktplatz wäre noch Platz für mich, ich müsste nur zehn Prozent billiger sein als die anderen. Angesichts der grundsätzlich überteuerten Entspannungssause bliebe da immer noch genug hängen. Und die Ersparnis meiner Kunden würde ich ihnen durch den überteuerten Verkauf frischgelegter Hühnereier gleich wieder abknöpfen. Trotzdem wäre es eine Win-win-Situation: Meine Gäste und meine Hühner hätten ein gutes Gefühl und mein gut gefülltes Bankkonto sorgte für ein solches auch bei mir.

Zwischendurch würde ich meinen Hühnern die nimmermüden und ständig piependen Handys ausgewählter Mitmenschen unter ihren Hühnerarsch legen. Der zum Teil ins flüssige übergehende Hühnerkot würde sich geschmeidig ums Handy legen und auch auf dessen Innereien einwirken. Und schwups, könnte man wieder normal mit seinen Mitmenschen reden, ohne Unterbrechungen durch die gottverdammte Pieperei. Früher hieß die Zauberformel: „Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still.“ Heute erledigt dies der Hühnerkot. Wenn man ihn nur lässt.

Überhaupt gibt es einen weit größeren Zusammenhang zwischen der schweißtreibenden Gartenarbeit und der sonstigen Arbeit auf dem Lande, als sich der Städter und die Städterin so vorstellen können. Holz spalten beispielsweise. In der Vorstellung der Metropolenbewohner kümmern sich die Ländler alle selbst um ihr Feuerholz. Das stimmt zwar nicht, aber das interessiert kein Huhn. Aus der Holzspalterei – zwischendurch stöhnen wie im hippen Fitnessstudio und sich den Schweiß abwischen – lässt sich ein brummender Geschäftszweig entwickeln. Denn eigentlich ist Holzspalten eine Art Klangschalen-Vibrationsübung. Die Natur ergreift von deinem Körper Besitz und jedes zu viel angefutterte Kilo auf deinen Rippen wird in scheinbar nie enden wollende Schwingungen versetzt, bis es schließlich verschwindet.

Wenn es mir gelänge, landhungrige Metropolenbewohner mit diesem Unfug zu ködern, könnte ich ihnen zudem kostengünstige Seminare in meinem Hühnerstall vermitteln und in den Pausen würden sie meine Holzscheite zerkleinern. Das wäre ein Gaudi. Die dummen Stadtbewohner würden mir die Arbeit „schaffen“ und dafür noch ordentlich bezahlen. Und nach der Arbeit würde ich sie einladen – in meinen Hühnerstall zu einer kostenlosen Lesung aus dieser Gartenkolumne.

Ich würde dabei die Pose des „Vorlesers“ einnehmen. Das war in der deutschen Tabakindustrie im vorletzten Jahrhundert eine Mischung aus Agitator und Lehrer, der von den Arbeitern und Arbeiterinnen bezahlt wurde und ihnen während ihrer eintönigen Arbeit Gesetzestexte und anderes Zeugs vorlas. Empowerment eben. Die älteste deutsche Gewerkschaft, „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG), bezieht sich auf diese Figur seit ihren Anfangstagen. Mich erinnert sie an den „Lesenden Klosterschüler“, eine Holzskulptur des Bildhauers Ernst Barlach. Als Symbol gegen den Ungeist der Nazis steht sie im Mittelpunkt eines der Handlungsstränge in dem Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ von Alfred Andersch. Der Lesende sollte nach Schweden ins rettende Exil gebracht werden, was gelang.

Drei Praxistipps:

  1. Gib den Hühnern das piepende Handy deiner Mitmenschen und das Problem erledigt sich.
  2. Lass dir deine Plackerei im Garten von den Achtsamkeitssüchtigen aus den Städten gut bezahlen.
  3. Knüpfe als „Vorleser“ an die Vision einer besseren Welt an.

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