Der letzte linke Kleingärtner, Teil 65: Harmonie im Garten

Sie meinen, Sie hätten den einen oder anderen Gedanken unseres Kolumnisten schon gelesen? Dann haben Sie’s endlich kapiert: Ein Kleingärtner lebt im Einklang mit der Natur und leidet daher auch an Wiederholungszwang.

Pflegeleicht und kälteresistent: die Ackerbohne. (Foto: Jens Brehl/CC BY-NC-SA 4.0)

Ein Glück, wer sich jetzt Kleingärtner nennen kann und seinen Garten direkt neben der eigenen Wohnung hat. Dort, in meinem „safe space“, ist Platz für Gedanken der Milde und Güte, aber keiner für die kalte Welt da draußen. Während außerhalb meines Gartens allerhand Kriege geführt werden – gegen die Ukraine, gegen Israel oder um die Rohstoffe des Kongo – und in manchen Ländern sehr unsympathische Menschen die Regierungsgeschäfte führen, herrschen in meinem gärtnerischen Kosmos Sonnenschein, angenehme Temperaturen und immer wieder neu erwachende Frühlingsgefühle. In meinem Garten ist die Welt in Ordnung und es überwiegt die Harmonie.

Damit diese erhalten bleibt, habe ich pünktlich zur neuen Gartensaison bereits mehrere Reihen dicke Bohnen und Zuckererbsen gelegt, die ab der zweiten Junihälfte reif sein werden. Dann ist die Eiweißversorgung dank frischem Gemüse gesichert. Zu Hause auf der Fensterbank habe ich derweil in Blumentöpfen Samen von verschiedenen Salatsorten, Gurken und Zucchini zum Vorziehen ausgebracht. Das führt zwar bisweilen zu familiärem Stress, wenn wieder mal ein paar Krümel Erde zu viel nicht im Blumentopf oder in den sonstigen Gefäßen auf der Fensterbank gelandet sind, sondern sich im Haus verirren. Kleiner Tipp fürs störungsfreie Zusammenleben: Lächeln Sie die unausweichlichen – und im Grunde genommen ja richtigen – Einwände einfach weg und versprechen Sie ihren Liebsten den innerhäuslichen Himmel auf Erden.

Ungeachtet solcher Kleingeistigkeiten sehe ich vor meinem inneren Auge bereits die künftige blühende Landschaft meines kleingärtnerischen Universums entstehen. Vorbildlich und makellos wird dann alles sein, einfach perfekt. An uns Kleingärtnern wird schlussendlich die Welt genesen.

Bohnen wie Erbsen sind keine sogenannten Starkzehrer, kommen also auch mit nicht ganz so nährstoffreichem Boden klar. Insbesondere dicke Bohnen lassen sich mit wenig Aufwand kultivieren. Sie wachsen immer. Das erinnert mich an den holländischen Fußballtrainer Louis van Gaal, der in seiner Zeit beim FC Bayern München den Spieler Thomas Müller von den Amateuren zu den Profis holte und dabei den legendären Satz prägte: „Müller spielt immer“. Diese Ära wird Mitte des Jahres nach über einem Jahrzehnt allerdings zu Ende gehen. Der Ausnahmespieler wird keinen neuen Vertrag mehr bekommen.

Nicht alles, was Ökos predigen, ist schlecht.

Da springe ich mit meinen Pflänzchen schon freundlicher um: Ab und an bekommen die Bohnen-Pflänzchen ein bisschen Wasser und werden von unerwünschten Kräutern in ihrer Nähe befreit. Vorausgesetzt natürlich, in den Boden wurde – optimalerweise schon im letzten Herbst – ordentlich Kompost eingearbeitet. Meine Ackerbohnen sind nicht mit Stangen- oder Buschbohnen zu verwechseln, die wegen ihrer Kälteempfindlichkeit erst ab Anfang Mai gelegt werden, gehören aber gleichwohl zur Sorte der Leguminosen. Die haben die wunderbare Eigenschaft, an ihren Wurzeln das in der Luft reichlich vorhandene Element Stickstoff einzulagern. Daher empfiehlt es sich, nach der Ernte die Wurzeln dieser Pflanzen und damit den dort befindlichen Stickstoff im Boden zu lassen. Es reicht, wenn man sie knapp oberhalb des Bodens abschneidet. Die nächste Kultur dankt es einem mit gesteigertem Wachstum und Ertrag.

Ja, sie haben richtig gelesen: Das war ein kurzer Ausflug in die Welt der ökologischen Kreislaufwirtschaft. Nicht alles, was Ökos predigen, ist schlecht. Manchmal liefern sie unsereinem wirkliche Perlen. Das sollte man sich zu Nutzen machen und den Moment der Eitelkeit den Dummen überlassen.

Hinter allem, was gerade in und jenseits von meinen Beeten passiert, steckt selbstredend ein großer strategischer Plan, der, über Nacht ausgeheckt, in der Gartenwelt seine Spuren hinterlässt. Ja, es stimmt schon, im zurückliegenden Winter sind keine Pflanzen gewachsen, was aber nicht heißt, dass wir Kleingärtner keine Arbeit hatten.

Zum einen muss man jetzt tun, was man im Herbst wider besseren Wissens nicht erledigt hat – umgraben, Pflanzenreste entfernen und Kompost einarbeiten. Das ist zwar gut für den Boden, aber schlecht für den Rücken. Und zum anderen heckte ich bereits seit Weihnachten meine Taktik zur Aussaat für das jetzt startende Frühjahr aus. Dazu bedarf es vielerlei Überlegung, enorme Rechnerkapazitäten in meinem Kopf und natürlich auch den strategischen Weitblick eines Kleingärtners. Ich habe im Winter also unentwegt gearbeitet, auch wenn das von außen nie zu erkennen war.

Ein Kleingärtner rastet nie, deshalb setzt er auch keinen Rost an. Das hat schon Neil Young erkannt, als er in einem seiner Songs auf der legendären Scheibe „Rust Never Sleeps“ der Menschheit die grandiose Zeile „Rock’n’Roll will never die“ schenkte. Wir Kleingärtner sind wie Rock’n’Roller. Unsereins arbeitet immer, für uns und für die Menschheit. Ohne uns hättet ihr da draußen nichts zu essen und keinen Rhythmus in Eurem Leben. Seid uns dankbar und seid nett zu uns.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged , , , , , .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Die Kommentare sind geschlossen.