15 Jahre Kulturpass: Inklusion passgenau fördern

Dass der Zugang zu Kultur nicht von der Größe des Geldbeutels abhängen soll, wissen die Mitarbeiter*innen von Cultur’all. Seit 15 Jahren setzt sich die asbl mit dem „Kulturpass“ für mehr Gerechtigkeit ein.

Ob Kino oder Konzert – einen vergünstigten Eintritt ermöglicht der „Kulturpass“. (© pexels)

Das menschliche Grundbedürfnis nach Kultur spiegelt sich bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wider. So besagt der Artikel 27, dass jeder Mensch das Recht habe, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen. Kulturelle Teilhabe ist also ein Grundrecht – und doch sind die Zugangsmöglichkeiten zu Kunst und Kultur nicht für alle Menschen gleich. Dieser Sachverhalt wurde vergangenes Jahr während des vom Kulturministerium organisierten Workshops „Les publics de la culture“ (siehe woxx 1794) ausgiebig diskutiert, seine Dringlichkeit durch die vor einiger Zeit veröffentlichte Liser-Studie zu den kulturellen Praktiken junger Menschen noch einmal unterstrichen (siehe woxx 1893). Ein Zeichen, dass das Thema derzeit aus der Tabu-Ecke geholt wird? Ja, sagt Luis Santiago, soziokultureller Vermittler und fest angestellter Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins Cultur’all.

Die Vereinigung hat sich auf die Fahne geschrieben, Kultur für jede*n zugänglich zu machen, betreibt Sensibilisierungsarbeit und managt zudem das Projekt „Kulturpass“, das dieses Jahr sein 15-jähriges Bestehen feiert. An einem von wechselhaftem Wetter geprägten Vormittag empfangen Luis Santiago und seine Arbeitskollegin und Kommunikationsbeauftragte Marianne David die woxx in ihrem kleinen Büro in dem Bonneweger Kulturzentrum „Banannefabrik“. Thema sind das Jubiläum des „Kulturpass“, aber auch die zukünftigen Herausforderungen und der langsam spürbar werdende gesellschaftliche Bewusstseinswandel. Im Vergleich zu den Anfangsjahren werde nun wesentlich mehr über soziale Ungleichheit und Chancen auf Teilhabe an Kultur gesprochen, stellt Santiago fest, der 2012 mit der Leitung des „Kulturpass“-Projekts betraut wurde. Während zu Beginn dessen Tragweite nicht erkannt worden sei, stoße das zweiköpfige Team nun vor allem auf „Unterstützung und wirkliches Verständnis“.

Das Problem der steigenden Armut

Schon die frühere Kulturministerin Sam Tanson (Déi Gréng) setzte sich politisch für eine stärkere finanzielle Förderung von Cultur’all ein – und der aktuelle Kulturminister Eric Thill legte noch einmal deutlich nach. Von 2023 auf 2025 wurde das Budget für den „Kulturpass“ verdoppelt, jetzt liegt es bei 321.000 Euro. Durch diese Aufstockung kann nun auch die Belegschaft erweitert werden. Eine Besserung, die sich jedoch leider auch mit einem weniger positiven Aufwärtstrend konfrontiert sieht: dem der steigenden Armut. Laut der Wissenschaftswebsite science.lu erhöhte sich in Luxemburg der Anteil der Personen, die von mehrdimensionaler Armut betroffen sind, zwischen 2015 und 2023 von 18,4 auf 21,4 Prozent. Eine Entwicklung, welche die Mitarbeiter*innen von Cultur’all direkt wahrnehmen, da immer mehr Personen auf das Angebot des Sozialtickets für Kultur zurückgreifen. Bereits 2022 wurden insgesamt 4.404 Tickets für kulturelle Veranstaltungen mithilfe des „Kulturpass“ erworben, 2023 waren es mit 9.823 Tickets dann schon mehr als doppelt so viele. 2024 stieg die Zahl noch einmal: 11.510 Tickets konnten Kultur- interessierte dank des Angebots von Cultur’all zum reduzierten Tarif von 1,50 Euro kaufen. Im Augenblick würden knapp 11.000 Menschen den „Kulturpass“ nutzen, sagt Marianne David.

Die Zahlen verdeutlichen: Es gibt einen enormen Bedarf. Dennoch ist nicht jede*r mit dem Konzept des „Kulturpass“ vertraut, deswegen startete Cultur’all Anfang Juni eine neue Informationskampagne. Ihr Netzwerk an Partner*innen aus dem Kultur- und Sozialbereich hat sich derweil seit der Einführung des „Kulturpass“ im Jahr 2010 stetig erweitert. Zurzeit arbeiteten laut David 115 kulturelle und 55 soziale Institutionen mit der Vereinigung zusammen. Ist das genug? Sie seien jetzt an die Gemeinden herangetreten, um auch sie mit ins Boot zu holen, erklärt die Kommunikationsbeauftragte. Als Stadtgemeinde sei Luxemburg von Anfang an mit dabei gewesen, mittlerweile seien aber auch Gemeinden wie Bartringen, Steinfort und Clerf Teil des Netzwerkes.

Auch in anderer Hinsicht arbeitet das „Kulturpass“-Team daran, erkannte Potenziale voll auszuschöpfen. Für mehr Inklusion soll zum Beispiel die Digitalisierung des „Kulturpass“ sorgen. Denn Nutzer*innen sind derzeit noch immer gezwungen, einen Platz per E-Mail oder Telefon zu reservieren – eine Hürde, die es abzubauen gilt. Darüber hinaus haben sich Santiago und David während der Coronapandemie zum Zwecke einer Zusammenarbeit an Vereine und Verbände für Menschen mit Behinderung gewandt. „Das ist noch eine ganz andere Dimension von Zugänglichkeit, die uns gar nicht bewusst war“, sagt David. Deshalb möchte sich das Duo in diesem Bereich weiter qualifizieren.

Als nächstes der „Sportpass“?

Mehr „Aarbecht um Terrain“ mit einem stärkeren Fokus auf den eigenen künstlerischen Ausdruck – im Gegensatz zur einfachen Rezeption von Kultur –, das wünschen sich Santiago und David. Ihre Idee: Workshops organisieren, bei denen Inhaber*innen des „Kulturpass“ mittels Musik oder Poesie selbst tätig werden können. So erleben sie sich gleichzeitig als Kunstschaffende und Bürger*innen, die eine eigene Stimme besitzen. „Wer bin ich und wie drücke ich mich aus? Was ist meine Meinung? Wie stehe ich als Bürger zu dem, was in meiner Gemeinde, in meiner Schule, in meinem Land passiert?“, sagt Santiago. „Das ist ein demokratisches Projekt, das über die Kultur läuft.“

Und warum nicht auch Workshops organisieren, durch die man Berührungsängste gegenüber Kunstformen und kulturellen Räumen abbaut, die – wie zum Beispiel die klassische Musik – als exklusiv oder elitär wahrgenommen werden? An Ideen mangelt es den Mitarbeiter*innen von Cultur’all jedenfalls nicht. Sie hoffen außerdem, auf Basis des „Kulturpass“ einmal einen „Sportpass“ ins Leben rufen zu können, denn auch hier ist die Nachfrage groß. Allein im letzten Jahr wurde der „Kulturpass“ von seinen Berechtigten 14.167-mal für einen Besuch des Schwimmbads in Esch/Alzette eingesetzt. Gespräche mit dem Ministerium für Sport würden schon stattfinden, bestätigt das Zweiergespann.

„Eigentlich handelt es sich beim Kulturpass um ein transversales Projekt, das ganz viele gesellschaftliche Aspekte berührt“, erklärt David, „Gesundheit, Bildung, Integration, Jugend und Sport.“ Es sei nicht die Aufgabe des Kulturministeriums, das Projekt allein zu tragen. Eine ressortübergreifende Zusammenarbeit aller beteiligten Ministerien bleibt bislang aber ein Wunschtraum – und wird es unter der aktuellen Regierung wohl auch vorerst bleiben. Das sich bald vergrößernde Team des „Kulturpass“ wird sich jedoch weiterhin für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Es bleibt abzuwarten, welche Früchte dieses Engagement in den kommenden Jahren noch tragen wird.

Alle Informationen zu den Berechtigungskriterien und der Beantragung des „Kulturpass“ finden sich auf www.kulturpass.lu

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