MICHEL CLEES: Fremde Umarmungen

Michel Clees singt von verborgenen Gefühlen und Träumen. Eine faszinierende CD, doch die meisten Texte sind keine leichte Kost.

Lettres
Michel Clees & Ensemble
Editions Ultimo Mondo
Tel. 44 70 70
www.umo.lu

Diese CD kurz angespielt, und dann das Gefühl: Man muss sie zu Ende hören. „Herr Lehrer, ich umarme Sie, und möcht Sie fröstelnd nass zuküssen, damit Sie einmal nur die warme Zunge fühlen müssen, die sie so oft verboten haben“, rezitiert Michel Clees, mit näselnder Stimme und gerollten Rs, umrahmt von Gitarrenakkorden. Den Refrain singt er schneller, begleitet von Bratsche und Perkussion: „Ach Sie gelebtes Leben, ich hab Sie tief verehrt, …“ Befremdlich sind sie, die Texte von „Lettres“, der neu erschienenen CD des Escher Sängers und Autoren. Beim ersten Hören hinterlassen sie den Eindruck eines konfusen Wortschwalls. Vielleicht aus diesem Grund hat der Verlag Ultimo Mondo die Form eines Büchleins in CD-Größe gewählt – mit den Texten der 18 Stücke zum Nachlesen, und 5 Bonus-Texten.

Michel Clees‘ Gesang erinnert an den österreichischen Liedermacher André Heller: eine unnatürliche Stimme, leicht gepresst und betont monoton. Auch sind die meisten Texte ähnlich bedeutungsschwer. Zwar heißt es frank und frei in „Monsieur le Président“, bereits 1986 bei einer Cattenom-Demo vorgetragen: „Es tut mir wirklich leid, Monsieur le Président, ich muß gestehn, Sie sind ein … Schwein.“ Doch auch hier überlagert das Pathos den Zorn: „… haben Sie jemals schon vernommen, wie Kinder ohne Haare fragen, ob sie noch Knochenmark bekommen?“

Die Themen der Lieder reichen von einer Hommage an Esch, die „ewig graue, ewig blaue Eisenstadt“, über „Le désir“, mit Brelschen Akzenten, bis zu „Tréineséi“, über die Verletzungen, die Eltern ihren Kindern zufügen. Fesselnd sind zum einen die eindringliche Stimme und die einfache, volkstümlich-wehmütige, musikalische Begleitung. Zum anderen ist es die Art, wie Michel Clees geheime Gedanken und Gefühle berührt, indem er das Intime in die Außenwelt projiziert: „Auf den Dächern da liegt sie mit pulsierenden Lippen, und lässt so gern Sekt am Gesicht vorbeiprickeln. Zwei Tage und zwei Nächte da liegt sie bereits, die Hände auf dem Rücken und bezahlt ihren Preis.“

Sinnlichkeit, Kindsein und Verbote sind wiederkehrende Motive, auf einfache Art zusammengefasst in dem schönen Lied „Den Nossbierg“. Ein Kind beobachtet eine Gruppe von geistig Behinderten. „… die ziehen sich die Hemden aus und platzen ihre Sehnsucht raus, sie lachen, strahlen, weinen, lieben, legen sich hin und bleiben liegen.“ Doch der Mutter missfällt’s: „Mein Kind, mein Kind, schau nicht dahin, das ist doch nicht in unserem Sinn, wenn die sich dort so nackig zeigen, wenn die dort Schweinereien treiben …“

Viele Texte erschließen sich erst nach mehrmaligem Hören, doch dann erschrickt man leicht ob dessen, was man bereits geahnt hatte. Michel Clees führt uns Gewaltphantasien, Todes- und Trennungsängste sowie ungehörige Liebesträume vor. Manche Texte scheinen sich nicht ganz entziffern zu lassen, vor allem die Prosa. Doch die Sätze reihen sich in einer Art aneinander, dass das Gefühl entsteht, sie handelten von Situationen und Regungen, die man kennt. Vor allem wenn sie vom Autoren vorgetragen werden, hinterlassen auch sie einen tiefen Eindruck.


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