Dreißig gusseiserne Bügeleisen, mit blauen und schwarzen Farbstiften gemalt, prangen auf einem weißen Papierbogen. Am unteren Bildrand steht jeweils nur in krakeliger Schönschreibschrift der Name „Reisenbauer Heinrich“ sowie das Entstehungsdatum des Werkes.
Die seriellen und graphischen Bilder von Reisenbauer sowie all die anderen Zeichnungen, die zurzeit in der Galerie Clairefontaine gezeigt werden und die in ihrer Naivität an Kinderzeichnungen erinnern, stammen von Erwachsenen – ausschließlich Männer – die im Laufe ihres Lebens in der Psychiatrie im österreichischen Gugging bei Klosterneuburg landeten. So auch Heinrich Reisenbauer, der nach dem Gymnasium wegen einer Psychose in Gugging eingewiesen wurde, wo er dreißig Jahre lang in einer Abteilung für chronisch Kranke lebte. Mitte der achtziger wurde er eingeladen, ins „Haus der Künstler“ auf dem Gelände des Gugginger Krankenhauses zu ziehen: Dieses Haus, das als Wohnhaus, Atelier, Galerie und Kommunikationsraum dient, wurde vom österreichischen Psychiater Leo Navratil gegründet. Navratil wollte, zunächst zu Diagnose- und Therapiezwecken, Patienten zu zeichnerischem und malerischem Ausdruck anhalten. Dabei hatte sich eine kleine Gruppe ausdrucksstarker Patienten herauskristallisiert, deren Produktion erstmals 1970 ausgestellt wurde. Nach der Überwindung juristischer Hürden, konnten diese Künstler mit ihren autodidaktischen Werken aus der Anonymität heraustreten, so dass einige in der internationalen Kunstwelt Anerkennung erlangten. Dabei wurden ihre Werke häufig zum „Art Brut“ gerechnet, ein Stilbegriff, den ursprünglich der französische Maler Jean Dubuffet geprägt hatte, um damit seine subversive, alternative Kunstform abseits der erstickenden „kulturellen Künste“ zu definieren.
Beeindruckend an der Auswahl der nun in Luxemburg gezeigten Papier-arbeiten ist vor allem die Individualität und Phantasie der Darstellungen. Jeder Künstler oder Kranke hat seine eigene Technik sowie eigene Themen, die immer wiederkehren. Dabei sind die Zeichnungen meistens fröhlich, der Psychiatrieaufenthalt kommt thematisch kaum vor.
Interessant sind etwa die Zeichnungen von Franz Kamlander, der sprach- und gehörlos, im Alter von 37 Jahren in die Psychiatrie in Gugging eingeliefert wurde: Sein Hauptthema ist die Darstellung von Tieren, die er mit schwungvollem Strich erfasst. Seine Bilder signiert er als Analphabet mit drei Schlangenlinien. Viel bunter sind dagegen die Tuschezeichnungen und Aquarellbilder von Johann Korec: Aus dem Kopieren von Zeitungsvorlagen entwickelte er seine Maltechnik, und stellt am liebsten Liebespaare und erotische Szenen dar. Wie bei einem illustrierten Tagebuch, erläutert er schriftlich die dargestellte Szene im unteren Bildrand. Der bekannte Gugginger Maler August Walla bevorzugt komplexere Bilder. Ihm reicht nicht mehr nur die Vorderseite seines Bildes, sondern er bemalt und beschriftet mit bunten Zeichenstiften auch gleich die Rückseite, wobei er sehr viel Wert darauf verwendet den Kaufpreis des Bildes zu vermerken.
Schön an der Ausstellung „The Artists of Gugging“ ist, dass in den einzelnen Bildern viel zu entdecken ist. Auch hat diese Kunst im Gegensatz zum ganzen „Show-off“ des Kunstbetriebes ihre ganz eigene Authentizität.
Zu sehen in der Galerie Clairefontaine
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