ECONOMIC PARTNERSHIP AGREEMENTS: Mit der Brechstange

Von wegen Armutsbekämpfung: Bei den Verhandlungen über Freihandelsabkommen setzt die Europäische Union zahlreiche Entwicklungsländer massiv unter Druck.

Die afrikanische Zivilgesellschaft, angeführt von NGOs, Gewerkschaften und Kirchenvertretern, protestierte in den letzten Monaten massiv gegen die EPAs. Sogar Industriellenverbände wehren sich mittlerweile gegen die Freihandelsabkommen. (Foto: ASTM)

Die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen "Economic Partnership Agreements" (EPA) unter der Federführung von Handelskommissar Peter Mandelson werden zusehends zu einem außenpolitischen Fiasko: von den Beziehungen zwischen 76 AKP-Staaten (Afrika-Karibik-Pazifik) und der Europäischen Union bleibt zum Jahresende voraussichtlich nur ein Trümmerhaufen zurück. Auch bei den übrigen Entwicklungs- und Schwellenländern wird die aggressive Art, mit der die EU-Kommission den Karren an die Wand gefahren hat, das Bild Europas auf Jahre hinaus prägen.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Als die Vertreter der EU und der AKP-Staaten im Jahr 2000 in der Hauptstadt Benins zusammentrafen, stand vor allem eine Vision im Vordergrund: Eine neuartige strategische Partnerschaft zwischen dem Norden und dem Süden, die sowohl auf einer wirtschaftlichen als auch auf einer engen politischen Zusammenarbeit beruhen sollte. Mit dem so genannten Vertrag von Cotonou, der damals unterzeichnet wurde, wollte man die Weichen zu einer Erneuerung der über 30-jährigen Beziehungen zwischen den europäischen Staaten und ihren ehemaligen Kolonien stellen.

Vorläufig ausgeklammert wurde auf dem damaligen Gipfel allerdings jener Aspekt, weshalb die EU-AKP-Partnerschaft ursprünglich eingegangen wurde und der ihr heute zum Verhängnis wird: die Handelsbeziehungen. Die bis dato geltenden Regeln waren zuvor als unvereinbar mit der WTO erklärt worden und so wurde im Vertrag von Cotonou Neuverhandlungen festgeschrieben. Diese hatten zum Ziel, bis zum 31. Dezember 2007 ein neues Handelsregime zu vereinbaren. Das neue Abkommen solle an die unterschiedlichen Bedürfnisse und Entwicklungsniveaus der AKP-Staaten angepasst werden und zur Bekämpfung der Armut beitragen.

Die Verhandlungen begannen im Sommer 2002. Das Konzept der EU-Kommission zielte darauf ab, die WTO-Kompatibilität durch die Errichtung von sechs regionalen Freihandelszonen zu erreichen, die sogenannten Economic Partnership Agreements. Im Gegensatz zum bisherigen Handelsregime würden sich die AKP-Staaten demnach zu einer Öffnung ihrer Märkte verpflichten müssen. Um das Vorhaben besser verkaufen zu können, hüllte die EU ihre Strategie in den Deckmantel der Armutsbekämpfung. Der Abbau der Hürden, die den EU-Exporten im Wege stehen, werde in den AKP-Staaten zu politischen und wirtschaftlichen Reformen führen, die eine Integration der schwachen Ökonomien in die internationale Wirtschaftsordnung und so eine Anhebung des Bruttoinlandsproduktes ermöglichen soll. Eine neo-
liberale Argumentationslinie, deren Gültigkeit man gerade zu dieser Zeit in Frage zu stellen begann.

Den AKP-Ländern hingegen missfiel die Vorstellung, ihre Schutzbarrieren gegenüber den EU-Exporten abzubauen und somit ein wichtiges politisches Instrument zur Regulierung ihrer Binnenwirtschaft aus der Hand zu geben. Dadurch setzten sie ihren Agrarsektor und ihre schwachen Industrien der europäischen Konkurrenz aus. Außerdem beziehen sie einen nicht unerheblichen Teil ihrer Staatseinnahmen aus den Einfuhrzöllen, welche bei Abschluss der EPAs weitgehend wegfielen. Ihre Verhandlungsführer pochten daher auf eine flexiblere Interpretation der WTO-Regeln und auf eine differenziertere Vorgehensweise.

Den AKP-Ländern missfiel die Vorstellung, ihre Schutzbarrieren gegenüber den EU-Exporten abzubauen. Doch die EU-Kommission war an einer Annäherung der Standpunkte nicht interessiert. Die Wünsche der AKP-Vertreter wurden einfach vom Tisch gefegt.

Doch die EU-Kommission war an einer Annäherung der Standpunkte offensichtlich nicht interessiert. Die Wünsche, Vorschläge und Anregungen der AKP-Vertreter wurden – mit oder ohne Begründung – einfach vom Tisch gefegt. Den Vertretern der Union ging es lediglich darum, die AKP-Vertreter von der Richtigkeit ihres eigenen Konzepts zu überzeugen. Gleichzeitig spaltete die regionale Ausrichtung des Projektes die AKP-Gruppe ab Oktober 2003 in mehrere Einheiten. Fortan wurde nicht mehr mit dem versammelten Block der 76 teilnehmenden Entwicklungsländer verhandelt, sondern mit sechs regionalen Büros, die mehr oder weniger losgelöst von den nationalen Regierungen in völlig untransparente Gespräche eintraten.

Die Ernennung Peter Mandelsons zum EU-Handelskommissar im Jahr 2004 brachte eine weitere Verschärfung der EU-Verhandlungstaktik. Neben einer Liberalisierung des Güterhandels, wurde nun auch verstärkt die parallele Öffnung des Dienstleistungssektors gefordert, zudem wurden weitgehende Investitionsabkommen und Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums in die EPAs integriert. Eine Agenda, die also weit über das hinausging, was zur Kompatibilität mit den WTO-Verträgen nötig gewesen wäre. Diese überforderte die AKP-Seite völlig und war mit entwicklungspolitischen Theorien nur mehr schwer in Einklang zu bringen.

Der partnerschaftliche Geist von Cotonou war nun endgültig einem Gesprächsklima gewichen, das an einen Guerillakrieg erinnerte: die AKP-Vertreter versuchten mit ihren bescheidenen Verhandlungskapazitäten der EU-Kommission Konzessionen abzuringen. Die wiederum verharrte stur auf ihrem Standpunkt. Die Weigerung der Entwicklungsländer, auf den Kurs der Europäer einzuschwenken, wurde nicht mit Zugeständnissen beantwortet, sondern mit weiterem Druck.

Mittlerweile rief die Auseinandersetzung immer mehr Kritiker auf den Plan. Die Zivilgesellschaft in Europa und in Afrika begann sich zu mobilisieren. Das Europaparlament gab einen Bericht ab, der die Verhandlungsführung der Kommission desavouierte, die Afrikakommission der Vereinten Nationen, namhafte wissenschaftliche Institute, Kirchenvertreter und Gewerkschaften schlossen sich an. Ein Bericht des französischen Parlaments nannte das Projekt gar neokolonialistisch. Statt jedoch einen politischen Weg aus der sich anbahnenden Krise zu suchen, drehte Handelskommissar Mandelson die Schraube weiter an.

Im Sommer 2007 erklärt er, dass die EU angesichts der auslaufenden WTO-Ausnahmeregelung gezwungen sei, ab dem 1. Januar 2008 wieder Einfuhrzölle auf AKP-Importe einzusetzen. Mit dieser Ankündigung hat der den Bogen endgültig überspannt: Nicht nur wäre es das erste Mal in der Geschichte der EU-Kommission, dass sie Handelspräferenzen gegenüber Entwicklungsländern zurücknimmt. Vielmehr bedeutete dies eine wirtschaftliche Katastrophe für die betroffenen Staaten.

Ein Land wie Namibia, dessen Wirtschaft vom Export von mineralischen Rohstoffen und Rindfleisch in die EU abhängt, drohten Millionenverluste und Tausende Arbeitsplätze wären in Gefahr. Schätzungen zufolge müsste das Land in diesem Fall jährlich viermal mehr in die EU-Kasse zahlen, als es von dort an Entwicklungsgeldern erhält – es sei denn, es unterschreibt das Freihandelsabkommen eben doch.

Mittlerweile ruft die Auseinandersetzung immer mehr Kritiker auf den Plan. Ein Bericht des französischen Parlaments nannte das Projekt gar neokolonialistisch.

Eine unverhohlene Drohung also, die überdies auf einer Unwahrheit beruht: Das Stichdatum zum Jahreswechsel zwingt die EU-Kommission keineswegs zu einem solchen Schritt. Handelspolitische Alternativen dazu sind unbestreitbar vorhanden. Passend dazu kündigte die Kommission an, Entwicklungsgelder des European Development Fund zugunsten einer Anpassungshilfe für die Freihandelsabkommen umzuschichten. Damit würden indirekt jene Staaten finanziell belohnt, die bereit sind, ein Economic Partnership Agreement einzugehen.

Doch so abhängig von der EU die AKP-Staaten auch sein mögen: Die schiere Masse an ausstehenden Fragen macht es unmöglich, bis Ende 2007 eine Einigung zu erreichen, denn die konkreten textbasierten Gespräche begannen erst im Juni 2007. Ähnliche Verhandlungen haben gezeigt, dass ab diesem Zeitpunkt noch mindestens zwei Jahre vonnöten gewesen wären, um eine Einigung zu erzielen. Einzige Möglichkeit, den Stichtag einzuhalten: die AKP-Staaten müssten die Vorschläge der EU-Kommission ohne wenn und aber akzeptieren – und genau darauf zielte die Strategie von Zuckerbrot und Peitsche ab.

Dennoch, die AKP-Verhandlungsführer wollten die Kröte nicht schlucken. Die Verbalattacken häuften sich, der Ton zwischen den einstigen Partnern wurde abermals rauer. Eine Region nach der anderen scherte aus der vorgegebenen Spur aus. Mitte Oktober musste die EU-Kommission dann das Unvermeidliche eingestehen: es wird vor dem Stichdatum keine sechs Economic Partnership Agreements geben. Derzeit verhandeln nur noch zwei Regionen weiter über ein EPA, die restlichen Länder sind über die weitere Vorgangsweise uneinig und tief gespalten. Es herrscht Unsicherheit, was nach dem 31. Dezember 2007 passieren wird.

Allerdings wäre es falsch, der EU-Kommission die alleinige Verantwortung an der derzeitigen Situation zu geben. Die Mitgliedsländer der Union stärkten ihr über Jahre hinweg demonstrativ den Rücken, ohne sich genauer für deren Verhandlungsführung zu interessieren. Der luxemburgische Kooperationsminister Schiltz lobte noch im April vor dem Luxemburger Parlament die Strategie Mandelsons als Höhepunkt intelligenter Entwicklungspolitik. Der Europäische Rat muss sich zudem den Vorwurf gefallen lassen, die außenpolitische Sprengkraft dieser Verhandlungen unterschätzt zu haben. Denn auch wenn sich in Europa niemand um die Vorgehensweise Mandelsons kümmert: in den Entwicklungs- und Schwellenländern schaut man umso genauer hin.

Ob die EU als Hauptakteurin in der internationalen Kooperationspolitik nun noch glaubhaft ist, wird sich zeigen. Und auch, wie die Länder Zentralamerikas und des Andenpaktes, die am Beginn nahezu identischer Verhandlungen stehen, auf dieses Verhalten reagieren. Die Behauptung der EU, die derzeitige WTO-Runde zum Wohle der Länder des Südens gestalten zu wollen, wurde auf diese Weise jedenfalls nicht mit Taten belegt. Im Gegenteil: Schon fordern AKP-Botschafter, Afrika solle sich von Europa abwenden und statt dessen an Indien, China und Russland orientieren.

Marc Keup ist verantwortlich für die politische Bildungsarbeit der Action Solidarité Tiers Monde (ASTM) und Koordinator des "Brennpunkt Drëtt Welt".


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