Jonathan Meese wurde in den Medien mit vielen Titeln bedacht – „jüngster Großkünstler Deutschlands“, „Johnny de Saint Phallus“, „genialer Kunstbarbar“, oder schlicht: „Spinner“. Vor allem aber ist er eines nicht: Ein Opportunist.
„So, süßes Ei-Kind – nun bist du schon eine Stunde alt“, mit diesen bekümmerten Worten wendet sich der Wahlhamburger in einer Videoprojektion in der Galerie Beaumontpublic an das Hühner-Ei in seiner Hand, das er liebevoll mit einem lachenden Mund und zwei Punktaugen bemalt hat. Zu diesem Anlass schenkt der Künstler dem Ei, mit dem er sozusagen auf Augenhöhe kommuniziert, eine „Bühne“ – zum „drauf Spielen bis die Diktatur der Kunst kommt“. Diese Bühne besteht aus einer schmucklosen Kuchenunterlage aus Pappe. Nur das Innere des Papptellers sei eine rechtsfreie Ebene, belehrt er das Ei. Schon an den gewölbten Rändern der Unterlage beginne eine nostalgische, antirevolutionäre Zone. Deshalb rät er dem Ei, im Innern zu bleiben und in Erwartung der Diktatur der Kunst demütig zu sein und zu spielen.
Diese Botschaft an das Ei sowie die absurde Kommunikationssituation, das Versinken im kindlichen Spiel mit Objekten, umfasst Wesenszüge der Philosophie von Meese – falls man ihm überhaupt eine Philosophie zuschreiben sollte. Denn der langhaarige, fusselbärtige und bei Muttern lebende Jonathan Meese besteht darauf, dass es in seinem Werk nicht um ihn selbst gehe. „Ich möchte, dass sich die Sachen selbst überdehnen. Also, ich möchte, dass die Sachen die Regie übernehmen, nicht ich und meine Meinung oder mein Geschmack … es geht um totale Energie“, meinte er einmal in einem Interview. Und diesen Zustand der Entgrenzung und radikalen Kulturexplosion sucht Meese auf allen Ebenen: Er ist ein wahrer Allround-Künstler. Von Tokio bis New York hat er etliche Ausstellungen mit Gemälden oder Installationen sowie Skulpturen auf- und abgebaut, Bühnenbilder geschaffen, Lesungen mit abstrusen Wortschöpfungen gehalten, Schallplatten aufgenommen, in Filmszenen mitgespielt, stundenlange Performances dargeboten.
Sein Werk ist ein Remix aus Mythologie, Geschichte und Popkultur – bunt und düster zugleich. Archetypen deutscher Mythologie, von Diktatoren und von Symbolen totalitärer Staaten – gemalt oder als Collage aufgeklebt – sind nahezu beiläufig präsent in seinem Werk. Bei der Verwendung dieser geschichtlich doch sehr aufgeladenen Zeichen gehe es ihm nicht darum, politisch zu sein. Denn Kunst, so Meese in einem Interview, „kann nur auf sich selbst hinweisen … Künstlerisch kann ich es nicht ausdrücken“.
Gegenüber seinem bisherigen Werk, bestehend aus Skulpturen mit Riesen-Penissen, Pappmaché-Leibern, aus denen die Innereien quellen, und Performances, die mit Prellungen endeten, gegenüber dieser teils krawalligen Herangehensweise wirkt die Ausstellung in der Galerie Beaumontpublic erstaunlich aufgeräumt: Zu sehen sind, neben Videoinstallationen, expressive Federzeichnungen und grellbunt verspielte Gemälde ? beides adrett gerahmt ?, sowie seine wie aus Knetmasse geformten, düster-humoristischen Bronze-Büsten, die auf schicken Holzsockeln thronen. Stellt so jemand aus, dem es um totale Radikalität, um die Revolution der Kunst geht? Und der sich für das Chaos als selbst regulierende, kreative Kraft ausspricht? Jemand, der über seine Maltechnik einmal sagte, das Wesentliche sei die Schnelligkeit: „Gar nicht lange überlegen: Machen! Ich bin eher für das Machen – Instinkt“?
Vielleicht ist diese formale Aufgeräumtheit letztlich überhaupt kein Kontrast. Und passt zu Meeses „Demut“-Begriff, den er gegenüber der Kunst bekundet. Denn Kunst, so glaubt Meese, hat ihre eigenen Regeln. „Wir wissen nicht, warum ein Bild Kunst ist und warum ein anderes es eventuell nicht ist.“ Meese geht davon aus, dass ein Bild selbst entscheidet, ob es genial ist oder wunderbar. Wie also sind Meeses Werke? Und was will man diesem Künstler vorwerfen, der sich auf seine eigene bedingungslose Art dem Spiel verschrieben hat, der Entgrenzung in der Kunst?
Das Pathos und die Parodie in seinen Werken wirken authentisch. Das Prinzip seiner Kunstrevolution ist interessant. Es lohnt auf jeden Fall, Meeses teils phantastische Werk kennenzulernen und sich mit seinem Begriff von Kunst auseinanderzusetzen.
In der Galerie Beaumontpublic bis zum
12. Januar 2008
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