Sozialistische Staatskunst ist passé, die Partei hat an Einfluss verloren. Junge Kunst aus China ist rebellisch und erfrischend persönlich.
China ist mehr als nur die Olympiade. Und dass sich trotz Zensur und den immer wieder vertuschten Menschenrechtsverletzungen ein kritischer Geist in der Gesellschaft breit macht, zeigt die aktuelle Ausstellung in der Abtei Neumünster, die unter dem optimistischen, ja gerade zu euphorischen Titel „Anything Is Possible“ steht. Sie veranschaulicht zudem indirekt den tief greifenden, insbesondere auch marktwirtschaftlichen, Wandel, den China gerade durchläuft.
Statt unterkühlter Grafik, Spiegelbild einer kollektiven sozialistischen Wirtschafts- und Staatsideologie ohne Ecken und Kanten, werden hier – beinahe poppige – Artefakte ausgestellt, die eine ganz subjektive und rebellische Sichtweise auf die Gesellschaft beinhalten. Sieben Künstler und eine Künstlerin – alle zwischen 1972 und 1984 während der so genannten „Ein-Kind-Politik“ in China geboren – orientieren sich in ihren Kunstwerken nicht wie die vorherigen Generationen am politisch-gesellschaftlichen Zusammenhang, sondern setzen sich stärker mit ihrer eigenen Biografie auseinander. Und das in den unterschiedlichsten Disziplinen: von der Malerei über die Installation bis hin zur Fotografie.
Das moderne und das alte China veranschaulicht Zhao Bo auf seinen großformatigen monochromen Leinwänden, die er mit Ölfarbe bemalt hat: Vor pastellfarbenem und teils fluoreszentem Hintergrund, flankieren gemalte Mangafiguren in Strapsen eine alte Geisha-Figur. Traditionelle Reiterfiguren stehen neben einem Comic-Helden auf weißem Ross. Auch wenn sich die Schönheitsideale und der gesellschaftliche Hintergrund im Laufe der Zeit gewandelt haben, scheint Zhao Bo vor allem auf die Gemeinsamkeiten der Darstellungen verweisen zu wollen.
Weniger versöhnlich, aber mit einer guten Prise Ironie und schwarzem Humor ist die Arbeit von Chen Lei. Auch er bedient sich der Ikonen der modernen Konsum-, oder konkreter gesagt Cartoon-Welt, wenn auch ausschließlich jener des Westens: Chen Lei hat das ganze Entertainment kurzerhand ans Kreuz genagelt. So wurden die Stoffhüllen einer E.T.-Puppe, von Bernd das Brot, Superman und den Teletubbies gekreuzigt. Ob diese uns irgendwann von unseren Leiden erlösen werden?
Eher die eigene Kultur im Blick hat dagegen die junge Fotografin Ma Quisha, die wie einige ihrer Künstlerkollegen an der Central Academy of Fine Arts in Peking graduierte. Sie hat unterschiedliche Räume fotografiert – mal „My Grandma’s Living Room“ dann einen „Shoe Shop“. Und zwar indem sie Decke und Fußboden sowie die einzelnen Wände jeweils frontal geknipst hat, um die entwickelten Fotos anschließend aneinanderzureihen. Würde man die Reihung falten, ergäbe sich eine dreidimensionale Raumbox. Dabei erzählen die von ihr fotografierten Räume nicht nur von den doch recht bescheidenen Lebensverhältnissen ihrer Bewohner, sondern verraten auch etwas über deren Persönlichkeit.
Ausdrucksstark und vom Pinselstrich her markant sind die großformatigen gegenständlichen Gemälde von Zhou Yilun: An Gerhard Richter muss man unmittelbar denken bei der verwischten Darstellungsform, die der Maler in einigen Ölgemälden benutzt. Mit kräftigen Pinselstrichen, zum Teil verlaufender Farbe und komplementärer Farbwahl hat er landesspezifische Tiere, wie Panda oder Tiger, aufgemalt. Die wie flüchtig aufgekritzelten Schriftzeichen auf den Bildern erinnern an Protestparolen auf Hauswänden, und wenn Zhou Yilun sein Pandabild „Continue to Climb“ oder sein Tigerbild „Kill Them For Me“ nennt, dann sind das sicher auch politische Aussagen.
Bedrückend dagegen sind die Ölbilder von Zhou Jin Hua. Sie erinnern irgendwie an die Achtzigerjahre, an die Weltuntergangsstimmung, als saurer Regen und sterbende Wälder noch für Schlagzeilen sorgten und die Angst vor der Atomkraft noch gegenwärtig war. Zhou Jin Hua malt aus der Vogelperspektive. Seine Bilder sind grau, dunkel verschleiert der Himmel – keine Natur. Die ganzen Szenerien wirken wie nach einem ökologischen Supergau. Dabei fokussiert Zhou Jin Hua einzelne Momente: Menschen, die zusammenlaufen, betreten irgendeinen Unfall beobachten und ratlos herumstehen. Eine Felsspalte, aus der Flammen steigen und um die sich Schaulustige versammelt haben.
Selbst zum Schaulustigen wird man bei den Bildern von Cao Jingping: In fotorealistischer Manier und in großem Format hat er kopulierende Insekten gemalt, Heuschrecken oder Libellen. Seine Bilder heißen schlicht „Lovers“.
Vielseitig ist die Ausstellung in der Abtei Neumünster. Aufgeschlossen sind die Darstellungsformen, so dass man teilweise nicht mehr vermuten würde, dass die Künstler aus China stammen. Die Ausstellung hat die allgemeine Aufbruchstimmung in China aufgegriffen, auch wenn einige Künstler durch ihre Werke eher mit Skepsis in die Zukunft schauen. Schließlich ist Glück manchmal nur der Moment davor.
In der Abtei Neumünster, noch bis zum 31. August.
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