FRANKFURTER BUCHMESSE: Welt im Taschenformat

Die Frankfurter Buchmesse 2009 hatte einiges zu bieten : von den Problemen mit dem Gastland China bis zu den üblichen kleinen Differenzen um das Kulturgut Buch.

Im Spiegel des Westens: Der Ehrengast China hat nicht nur Positives über sich zu erzählen.

300.000 Besucher in knapp einer Woche zu meistern, ist keine leichte Aufgabe – zumal, wenn es sich meist um leicht zerstreute Kopfmenschen handelt, die im Wirrwarr der Hallen und schier endlosen Gänge leicht die Orientierung verlieren. Die Schlangen vor den Infoständen sprechen jedenfalls für sich. Wer über die älteste und größte Buchmesse der Welt schlendert, kann sich auch einem anderen Eindruck nicht entziehen: Hier ist die Welt zuhause. Im Taschenformat vielleicht, aber dennoch. In den Frankfurter Messehallen bildete sich in der vergangenen Woche ein Mikro-Biotop, der viel Aufschluss über unsere globale Gesellschaft gibt – nicht nur über den Zustand des Mediums Buch.

Da wäre zum Beispiel das Gastland China, das seine kulturellen und politischen Probleme – hauptsächlich die Zensur in der unfreien Gesellschaft – mit auf die Buchmesse importierte. Dass die schwierige Situation, die dadurch entstand, sogar Köpfe kosten konnte, zeigte die am Dienstag dieser Woche verfügte Entlassung von Peter Ripken, dem Leiter des Internationalen Zentrums und Projektverantwortlichen für das im Vorfeld der Buchmesse veranstaltete Symposium. Grund der Maßnahme sollen die andauernden Abstimmungsschwierigkeiten mit der chinesischen Delegation gewesen sein. Das Gastland China konfrontierte andererseits jedoch auch die deutsche und europäische Öffentlichkeit mit ihren eigenen Widersprüchen und ungelösten Fragen: Wie weit kann man einem Gastland – das gemäß der langen Tradition der Buchmesse selbst über den Inhalt seiner Präsentation bestimmt – vorschreiben, dass es sich demokratisch zu verhalten habe? Zumal, wenn es gar keine Demokratie ist und sein will? Wie weit hintergehen wir unsere eigenen Ideale, indem wir hinnehmen, dass dieses Land sich als makellos und perfekt vorstellt, als Kontinent des Lächelns, wenn jeder weiß, dass die Wahrheit eine andere ist? Fragen, auf die die Organisatoren der Frankfurter Buchmesse 2009 keine Antwort gefunden haben.

Die Widersprüche und ungelösten Probleme, an denen China laboriert und die es, durchaus gegen seine Absicht, mit auf die Buchmesse gebracht hatte, wurden am ausführlichsten auf einer Pressekonferenz die „Reporter ohne Grenzen“ am vorvergangenen Donnerstag im Pressezentrum der Buchmesse abhielt, diskutiert. Eingeladen waren Shi Ming, freier Journalist und Mitarbeiter der Deutschen Welle in China und Mitglied des Pen-Clubs – eine der wenigen Schriftstellervereinigungen, die vernehmlich gegen die Zustände in China protestierten -, sowie der Asien-Spezialist von „Reporter ohne Grenzen“, Vincent Brossel. Moderiert wurde die Runde von Johannes Hano, dem Peking-Korrespondenten des ZDF. Er referierte ausgiebig über die Methoden, mit denen das chinesische Regime Kritiker, Intellektuelle und Journalisten zum Schweigen zu bringen versucht. Zwar gebe es, so Hano, seit Olympia 2008 mehr Freizügigkeit für ausländische Journalisten – wohingegen die chinesischen Kollegen noch sehr stark beeinflusst würden -, doch sei dies nur Fassade. „Wenn wir jemanden interviewen, dann nur noch, wenn wir sicher sind, dass wir diese Person nicht in Gefahr bringen. Viele Menschen reden schon einfach aus Angst nicht mehr mit uns, oder weil sie gewarnt wurden“. Aber das Problem ist nach Hanos Ansicht noch ein anderes: „In China gibt es keine Institutionen, denen man trauen kann. Die Menschen wissen das und trauen niemandem, auch der ausländischen Presse nicht, die andauernd von den regimetreuen Medien diffamiert und der Lüge bezichtigt wird. Es besteht die Gefahr einer generellen Destabilisierung“. Diese Analyse wurde von Shi Ming geteilt, doch hatte er auch Positives aus dem Reich der Mitte zu berichten, zum Beispiel über den Online-Journalismus: „Es ist den chinesischen BürgerInnen zu verdanken, dass die Beschränkung der Pressefreiheit – vor allem im Internet – geschwächt worden ist. Das Regime hat damit nichts zu tun. Online-Journalisten und Blogger die Informationen ins Netz stellen, ehe man sie überhaupt verbieten kann, führen die Zensurabteilung der KP in ihrer Machtlosigkeit vor“, so der Dissident. Aber das Regime entwickle auch hier Strategien, um diese neu gewonnene Freiheit einzudämmen. So würden zum Beispiel ganze Themenbereiche verboten oder andere Themen zur Ablenkung vorgeschoben. Also zum Beispiel: Sex-Skandal statt Babynahrungs-Katastrophe. Hier komme es häufig zu regelrechten Wettrennen zwischen Zensoren und Kritikern. Denn hinter scheinbar beliebigen Blogeinträgen könnten sich ganz andere Inhalte verbergen. Als Beispiel nannte er einen Eintrag zum 35. Mai. Dieser gab sich als Buchkritik zu Erich Kästners gleichnamigem Kinderroman; in seinen Zeilen versteckte sich aber eine Kritik an das Fehlen einer öffentlichen Erinnerung an das Massaker vom Tien’anmen-Platz. Dieses fand am 4. Juli 1989 statt, einem Tag, der genau dem 35. Mai entspricht.

Das Tien’anmen Massaker fand am 35. Mai statt.

Den entscheidenden Hinweis darauf, wie man in China die Verhältnisse ändern könnte, lieferte Shi Ming am Ende seines Beitrags: „Lernen Sie chinesisch. Mischen Sie sich in die innerchinesischen Diskussionen ein, nur so können Sie etwas zur Demokratisierung Chinas beitragen. Eine Gesellschaft wie die chinesische ist auf den Druck aus dem Ausland angewiesen, wenn sie sich verändern will. Und das will sie“. Dem konnte der ZDF-Mann Hano nur beipflichten: „Wer auch immer behauptet, die Chinesen bräuchten die Demokratie nicht, irrt. Das ist eine sehr gefährliche Lüge“. Eine Lüge aber, die dem Westen bisher nur allzu gut ins Konzept passt. Und auch den Organisatoren der Buchmesse: Obwohl klar war, dass es hinter den Kulissen so manche Meinungsverschiedenheit gegeben hatte, wurde der offene Schlagabtausch vermieden, traten in den Foren und an den Ständen Kontroversen kaum deutlich hervor. Hauptsache, die Fassade stimmte. So konnten KP-Funktionäre sich sorglos durch die Hallen bewegen, immer abgeschirmt durch einen Pulk wohlwollender chinesischer Pressemenschen, die alles in rechte Licht rückten. Der einzige öffentliche Meinungsaustausch zum Thema fand bei der Eröffnung statt: Kanzlerin Angela Merkel widersprach dort dem chinesischen Vize-Präsident Xi-Jinping. Aber auch Merkel – die selbst unter einer kommunistischen Diktatur aufwuchs – konnte keine tiefgreifenden Forderungen vortragen. Dafür wiegen die kommerziellen und finanziellen Belange in der Beziehung der beiden Länder zu schwer.

Nationale Belange und Rücksichten auf sie ließen sich allerdings auch bei anderen internationalen Ausstellern bemerken. So fand man zum Beispiel die wallonischen Verleger in derselben Halle wie die Franzosen. Ihre flämischen Mitbürger hatten sich in einer anderen Halle bei den Niederländern postiert. Dies entsprach zwar der Sprachensituation, zeigt aber auch, wie zerstritten und fremd sich die beiden Communities mittlerweile sind. Bei Franzosen wie Italienern konnte man auch die negativen Konsequenzen der Medienkonzentration in ihren Ländern an der Topographie der Stände ablesen: Die großen Häuser leisten sich eigene Pavillons mit Multimedia-Schnickschnack und Hostessen. Zur Orientierung der Besucher hängen überall Tafeln mit den kleineren Verlägen, die die großen schon geschluckt haben. Etwas weiter findet man dann die noch nicht aufgekauften auf einem kollektiven und eher schmucklosen Stand des Bureau International de l’édition française (Bief). Fressen oder gefressen werden, diese Moral gilt auch für den Buchhandel.

Medienkonzentration sichtbar gemacht.

Dass es auch anders geht, zeigen die deutschen Kleinverleger. Hinter dem Namen tubuk.de versteckt sich ein Online-Bücherversand, der es in sich hat: Hier verkaufen viele Verlage, die sich keinen Stand auf der Buchmesse leisten können, ihre Produkte. Kleinsteditionen wie der Verbrecher-Verlag, blumenbar oder der Connewitzer Verlag können so ihre Produkte an den Leser bringen und ihre Zukunft sichern, ohne sich einem der Großverleger auszuliefern.

Und was machen die Luxemburger? Hauptsächlich sich selbst feiern – es bleibt ihnen auch nicht viel anderes übrig. Die 16 großherzoglichen Verleger haben sich 2009 zusammengetan um an einem schön eingerichteten Stand einen Überblick über das hiesige Verlagsleben zu bieten. Zugegeben: 16 Verlage sind viel für ein solch kleines Land, doch auch mit dieser respektablen Zahl kann sich der luxemburgische Buchhandel noch immer nicht mit seinen Nachbarn messen. „Zwischen 1.500 und 3.500 verkaufte Exemplare, das ist für uns schon ein Topseller im literarischen Bereich“, erklärt Dirk Sumkötter, Präsident der „Lëtzebuerger Bicherediteuren“ und Direktor der – wie es scheint, vom Weiterverkauf bedrohten – éditions Saint-Paul. „Aber Belletristik ist ja auch nur ein Segment des Ganzen; bei den sogenannten ?Beaux Livres‘ können wir bis auf 5.000-6.000 Exemplare kommen“. In Luxemburg werden tolle Koch-und Sachbücher mehr geschätzt als Literatur, wie diese Zahlen beweisen. Darauf angesprochen, wie die Luxemburger auf der Buchmesse aufgenommen wurden, meint Sumkötter: „Der luxemburgischen Ambassade, und vor allem Frau Schommes, verdanken wir sehr viel. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, dass man uns weniger als ein reines Steuerparadies sieht, sondern auch zunehmend als Kulturland. Das wird sich in Zukunft noch verbessern“. Das klingt schön, ähnelt aber verdächtig den neuen Bestrebungen des Kulturministeriums, Luxemburgs Image durch diplomatische und kulturelle Charmeoffensiven aufzupolieren (siehe woxx 1018). Konkret bedeutet die Buchmesse für einen luxemburgischen Verleger vor allem die Chance, an spezialisierte ausländische Verleger heranzukommen und von der Konkurrenz zu lernen. Ganz nach dem üblichen modus operandi: Mal schauen, was die Nachbarn machen; und wenn es funktioniert, kopieren wir es.

Trotzdem hat Luxemburg einige Vorteile gegenüber dem Ausland: die Preisverleihung etwa. Denn Auszeichnungen werden bei uns nicht von einer obskuren Jury aus Verlagsvertretern und gekauften Kritikern vergeben – wie in Frankreich der Prix Goncourt zum Beispiel – sondern direkt durch die Kunden per Wahl zuerkannt. Diese sind zwar nicht unbedingt alle Experten, können aber den einen oder anderen unverhofften Trend setzen. An und für sich eine ziemlich einzigartige Angelegenheit. Weitere Neuheiten, die auf der Buchmesse vorgestellt wurden, sind nationale und internationale Bestsellerlisten, die in den Buchhandlungen aushängen und in der Presse publiziert werden sollen. Es geht also, gar so schlecht sieht`s nicht aus …


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