FAHRRAD: „Mein Konzept heißt Entschleunigung“

Radfahren als Job? Die woxx fragte Monique Goldschmit, Gründerin des Unternehmens Velosophie, wie man sich durch Radeln eine Existenz aufbaut.

Viele kleine Schritte: Monique Goldschmit (rechts im Bild), bei ihrer Arbeit als Radfahrlehrerin. Jahrgang 1967, während sechs Jahren Bankkauffrau,
hat sie 17 Jahre im Sekretariat
des Mouvement Ecologique gearbeitet, bevor sie sich 2007 entschloss, aus ihrem Hobby – Radtouren organisieren – einen Beruf zu machen. Im Juni erhielt die Start Up Velosophie mit ihren Angeboten „FairtradeTour“ und „LiteraTour“ den Innovationspreis für Tourismus 2010 – Sanfter Tourismus in der Kategorie „Privatwirtschaftlich getragene,
touristisch innovative Projekte“.

Velosophie: Beim Namen deines Unternehmens denkt man an Philosophie. Ein Zufall?

Monique Goldschmit: Nein. Es geht um eine ganze Denkweise, die sich mit dem Radfahren verbindet. In Luxemburg ist das klassische Rennrad sehr verbreitet ? das Phänomen Andy Schleck verstärkt diesen Trend noch. Für mich geht es beim Radfahren eher drum, ohne Hektik eine Region zu entdecken. Man bekommt das Gefühl für die Landschaft, aber auch für sich selbst. Mein Konzept heißt Entschleunigung. Bei meinen Tagestouren mit Distanzen zwischen 35 und 60 Kilometern bleibt genug Zeit, um sich mal unterwegs eine Mühle anzuschauen oder bei einem Fairtrade-Laden einzukehren.

Wie kam es zu deinem Projekt?

Ich mochte meinen Job, aber mir wurde klar: Jetzt musst du die Möglichkeit ergreifen, noch etwas Neues zu beginnen. Bei der Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ (LVI) begleitete ich schon seit Jahren Radtouren, und durch den Kontakt mit dem Radreisebegleiter Jupp Trauth von Hunsrückvelo konkretisierte sich die Idee immer weiter. 2007 nahm ich unbezahlten Urlaub und führte am Wattenmeer Wandergruppen, unter anderem um herauszufinden, ob der intensive Kontakt mit Touristen mir auf Dauer zusagt. Es war sehr schön, und anschließend mochte ich nicht mehr ins Büro zurück, ich wollte draußen arbeiten. Jupp Trauth hat mir am Anfang Touren überlassen, dadurch habe ich mich getraut, den Sprung zu machen. Im Juli 2008 konnte ich mit den Radtouren anfangen, im September 2009 folgte der Laden. Es ist ein One-Woman-Betrieb, aber bei Bedarf helfen Bekannte.

Kommen die Leute durch die Krise aufs Rad?

Eher nein, die Hauptklientel für die großen Radtouren sind gutsituierte Rentner, die All-Inclusive-Fahrradferien buchen: Reise, Hotel, Tourenbegleitung vor Ort etc., alles ist organisiert. Sie wollen nicht an jeder Kreuzung stehenbleiben, um die Karte zu studieren. Bei den Tagestouren in Luxemburg sind durch die Bank alle Schichten vertreten ? da sind viele „Europäer“ und Neuankömmlinge in Luxemburg dabei, die das Land entdecken wollen.

Früher hat einfach jemand aus der Gruppe eine Route ausgeklügelt.

Das gibt es auch immer noch. Für manche buche ich auch nur die Hotels entsprechend der von ihnen ausgewählten Route. Doch es ist ein Trend der Zeit, dass die Leute solche Kommoditäten nutzen und das Organisieren den Profis überlassen. Bei meinen Betriebsausflügen braucht sich der Betrieb um nichts zu kümmern: Das Mittagessen ist reserviert, der Zug ist reserviert, es ist alles im Package drin.

Wenn man gar nicht mehr ins Schwitzen kommt, weil der Gepäcktransport zum Service gehört, geht da nicht das Ursprüngliche verloren?

Ich biete natürlich auch Touren an, bei denen man selbst sein Gepäck transportiert, etwa, wenn ich mit Leuten aus Luxemburg drei Tage an der Mosel radle. Die Kundschaft, die mit ihrem Gepäck radelt, ist einfach eine andere als jene, welche den großen Koffer im Bus hat. Ich versuche aber bei all meinen Touren, die Anreise mit Zug und Rad zu machen. Es geht auch ohne Flugzeug oder Auto, und Mallorca habe ich eh nicht im Programm. Nächstes Jahr biete ich eine Woche Litauen an, aber per Zug und Boot. Wenn jemand mit dem Flugzeug mit will, dann auf eigene Faust.

Deine Tourengebiete liegen alle in Luxemburg oder in Norddeutschland.

In Ost- und Nordfriesland war ich immer schon sehr gerne und habe dort gute Kontakte zur Naturschutzbewegung, die Radwege kenne ich wie meine Westentasche. Meine Touren finden dort statt, wohin die Bahn Räder mitnimmt. Leider ist das in der näheren Umgegend, wie in Holland oder Frankreich, oft schwierig. Die Alternative ist, von Luxemburg aus mit dem Rad hinzufahren und mit einem Reisebus zurückzukommen. Schöner ist es natürlich, wenn man, wie in Ostfriesland, den bestehenden öffentlichen Transport benutzen kann.

Neben den Radtouren organisierst du auch eine Fahrradschule.

Das ist eine gemeinsame Initiative der LVI und der Stadt Luxemburg. Ich bin ausgebildete Radfahrlehrerin beim Verband der Radfahrlehrer „Moveo Ergo Sum“. Es geht nicht um Üben, Üben, Üben, sondern um viele kleine Schritte. Wir fangen mit Rollern an, dann gehen wir zu kleinen Fahrrädern über und schließlich steigen wir auf normale Räder um. Das Entdecken des Radfahrens soll in aller Ruhe ablaufen, ohne Druck etwas können zu müssen.

Früher hat man Radfahren als Kind in der Familie gelernt.

Bei neunzig Prozent der Kinder geht es tatsächlich fast von selbst, aber die anderen zehn Prozent haben keine Chance. Manche waren nach einem Sturz traumatisiert, andere hatten als Kinder keine Gelegenheit zum Üben. Es sind Leute zwischen Zwanzig und Siebzig unterschiedlichster Herkunft: aus Luxemburg, aber auch aus europäischen Ländern, wo das Fahrrad nicht verbreitet war, wie etwa Malta, oder aus Schwarzafrika. Nicht zufällig kommen vor allem Frauen in die Fahrradschule. Noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den Familien aus Geldgründen oft nur ein Rad, und das bekam dann der Junge. Oder die Eltern waren – besonders bei Mädchen – übervorsichtig und fürchteten, dass ihrem Kind was zustoßen könnte.

Wie kommen die Leute darauf, nun doch Radfahren lernen zu wollen?

Sie sehen, dass in Luxemburg doch viel Rad gefahren wird. Gerade die blauen Vel`ohs im Stadtbild wecken die Lust aufs Radfahren. Bei manchen ist es auch ein seit Jahrzehnten gehegter Traum. All ihre Versuche misslangen, und immer wieder kriegten sie zu hören: „Es ist doch einfach, das kann doch jeder“. Auf einmal wird es ein Tabu, man vermeidet das Thema. Solche Personen reagieren nun auf das Angebot der Fahrradschule. Der Kurs ist für Erwachsene aufgebaut, doch wir werden nächstes Jahr wahrscheinlich auch einen Kinderkurs anbieten.

Gibt es auch hoffnungslose Fälle?

Für die meisten öffnen sich während eines Kurses neue Möglichkeiten. Aber nicht jeder, der es schließlich gelernt hat, findet dass es seine Sache ist.

Dein drittes Standbein ist der Fahrradladen.

Die Kombination der Radtouren mit einem Laden lag für mich auf der Hand: Ob Radkarten, Fahrradtaschen oder sonstige Reiseaccessoires: Das Angebot in Luxemburg ist nicht überwältigend. Bei mir kann man auch mal eine Tasche ausleihen, um in die Ferien zu fahren. Die Karten und Helme, die ich anbiete, kann ich auch selbst empfehlen. Gute Beratung ist mir sehr wichtig. Ich biete jedoch keine technische Hilfestellung an, dafür sind die normalen Fahrradläden da.

Wie kann man mit einem Beruf überleben, der stark saison-abhängig ist?

Ich habe noch ein viertes Standbein: Für Leader-Projekte, Gemeinden oder Gemeindesyndikate arbeite ich Radwegenetze, Fahrradkarten oder Beschilderungen für Radwege aus. So kann ich die tote Saison überbrücken. Ohne allzu hohe Ansprüche werde ich nach vier Jahren voraussichtlich von meinem Betrieb leben können, da bin ich optimistisch.

Wetterabhängig, oder?

Nein, ich würde eher sagen, abhängig von meinem Bekanntheitsgrad. Eine Tagestour kann mal ausfallen, aber die Gruppen, die eine längere Tour gebucht haben, fahren, auch wenn das Wetter nicht so gut ist. Die lassen sich nicht vom Radfahren abhalten.

www.velosophie.lu


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