AUSSTELLUNG: Erlebte (T-)Raumerfahrung

Leitmotiv der Wechselausstellung „Sketches of Space“ im Mudam ist die Wahrnehmung von Räumen. Acht KünstlerInnen wurden einge-laden, mit verschiedenen Projekten die gesamten Flächen des Museums zu bespielen. Mit jeweils eigener Herangehensweise ist es ihnen gelungen, die gewohnten Innen-räume spannend zu gestalten.

Erlebnispark. Zilvinas Kempinas’ „Ballroom“ (2010).

Im Alltag nimmt man Räume nur als Hintergrund wahr, man bewohnt sie, durchläuft sie oder erlebt sie als leer oder gefüllt. Niemals betrachtet man sie so wie die Wohnung eines noch wenig bekannten Menschen, die man mit den Augen und manchmal auch der Nase nach einer Ordnung oder nach Hinweisen durchsucht, die etwas vom Zusammenhang dieses Menschen mit seiner Welt verraten. Ein eben solcher Ort ist das Mudam mit den Installationen von „Sketches of Space“ geworden, die eigens für diese Räumlichkeiten konzipiert wurden und die den BesucherInnen erlauben, das Gebäude von Ieoh Ming Pei mit ihrem individuellen Blick neu zu erfahren. Während die meisten KünstlerInnen große, raumfüllende Arbeiten präsentieren, greifen andere zum Teil direkt in die bestehende Architektur ein ? bewerkstelligen die Dekonstruktion der Wahrnehmung also unmittelbar.

Ein Turm aus massiven hölzernen Transportkisten im Erdgeschoss, der den Raum der Grand Hall mit seiner Kuppel ganz auszufüllen scheint, stellt die eindrucksvollste, zumindest optisch auffälligste Installation dar. Zwar hat diese den Nebeneffekt, dass dem Großherzog die Sicht auf seinen Balkon im Mudam nun versperrt ist, doch hat dies bislang noch zu keinem Eklat geführt. Anders als bei Manipulationen an Kunst im öffentlichen Raum, der Lady Rosa oder der Gëlle Fra zum Beispiel, gab es keinen Aufschrei im Land. Sind die Monarchisten ganz verschwunden, oder sollte Kunst es dieses Mal wirklich geschafft haben, sich über Hierarchien hinwegzusetzen?

Sind die Monarchisten ganz verschwunden, oder sollte Kunst es dieses Mal wirklich geschafft haben, sich über Hierarchien hinwegzusetzen?

Mit „Second Life“ arbeitet die Luxemburgerin Simone Decker erneut zum Thema des Blick- bzw. Standpunkts und hat sich von der Idee inspirieren lassen, „das Gebäude in Gefahr zu bringen“, es zumindest „in Zweifel zu stürzen“. Über eine Treppe können die BesucherInnen den Turm besteigen, um den Blickwinkel zu wechseln. Nach der körperlichen Anstrengung ergibt sich von oben eine ganz neue Perspektive auf die Ausstellungen des Mudam und die Architektur des Gebäudes selbst. Diese erste Station macht klar, dass der Besucher im Folgenden voll eingebunden und gefordert werden wird, um die Installationen räumlich und körperlich erkunden und wahrnehmen zu können. Vorbei die Zeiten, in denen man gemessenen Schritts durch die Säle wandelte und sich verstaubte Schinken anschaute; körperliches Erleben und Interaktion lautet die neue Devise.

Dass das räumliche Erlebnis im Vordergrund steht, zeigen vor allem die Installationen von Zilvinas Kempinas im Erdgeschoss. Der litauische Künstler arbeitet seit Jahren mit Magnetbändern von Videokassetten. Wie bereits Vertreter der kinetischen Kunst und der Op-Art der 60er Jahre untersucht er den Raum mithilfe dieses einfachen Materials, das er über die Köpfe der Betrachter flattern lässt und so die Möglichkeit schafft, den Ort auf horizontale Weise zu bespielen. Die Gesetze der Gravitation werden auf diese Weise außer Kraft gesetzt. White Noise, eine Arbeit von 2007, zeigt auf einer großformatigen Leinwand, einem beschädigten Fernsehgerät gleich, weiße und schwarze Linien, die sich vertikal über die Fläche ziehen. Akustisch wird die Installation begleitet durch ein weißes Rauschen, ein Hintergrundgeräusch, das sich als elektronisches Störsignal erweist. Von Ventilatoren bewegt, vibrieren die zahllosen gespannten Videobänder magnetischer Datenträger und konfrontieren den Betrachter mit einer Störinformation. Stellt man sich direkt vor die Leinwand, so wird der menschliche Schatten nachgebildet und man wird Teil des Bildes.

Wie in einem luftigen Erlebnispark fühlt man sich in Kempinas` Installation „Ball Room“. Der Boden des Raumes ist ausgefüllt mit zahlreichen fließenden Kreisen, die sich beständig bewegen. Die von Ventilatoren bewegten Magnetbänder formen tanzende Kreise, über denen die Lichtkegel roter und blauer Lampen ihre Bahnen ziehen. Boden und Wände verlieren dadurch ihre Stabilität, der Raum wirkt wie ein Karussell, in dem man schnell die Orientierung verliert. Ein EXIT-Schild weist den Ausgang ? zum Glück, denn auch die üblichen architektonischen Referenzpunkte fehlen hier.

Drei im Untergeschoss ausgestellte Installationen spielen ebenfalls mit der Sinneswahrnehmung der ZuschauerInnen und rufen Gefühle zwischen Euphorie und Beklemmung hervor. So versucht etwa die belgische Künstlerin Ann Veronica Janssens, die Grenzen der Wahrnehmung von Zeit und Raum auszuloten. In ihrer Installation „Untitled“ geht es um die Entgrenzung des Raumes und der Sinne. Beim Betreten des Raumes wird der Zuschauer mit einem hellen, mondähnlichen Kreis auf dunkler Leinwand konfrontiert, der sich stetig verändert, abwechselnd heller und dunkler wird. Ihre Installation besteht aus einem horizontalen Bildschirm und einer rückwärtigen Lichtprojektion. Die Kombination eines weißen Strahlers von stroboskopartigem, fast hypnotisierendem Licht mit einem weiteren Strahler, der dem weißen Flecken eine zusätzliche Dimension hinzufügt, hinterlässt auf der Netzhaut des Betrachters Nachbildeffekte und löst eine Empfindung des Exzesses aus. Blendeffekte, Nachbilder und Schwindel lassen an künstlich erweiterte Pupillen und halluzinogene Erfahrungen denken. Nicht ohne Grund warnt ein Hinweisschild, dass diese Installation für Epileptiker ungeeignet ist. Taumelnd verlässt man den Raum.

Eine nahezu psychedelische Erfahrung erwartet den Zuschauer auch beim Betreten des von dem Österreicher Peter Kogler gestalteten Raums im Untergeschoss. Koglers Installation ist eine 360-Grad-Projektion, die alle vier Wände des Raumes vollständig ausfüllt und den Besucher wie durch einen Sog in die virtuelle Umgebung hineinzieht. Eine Netzstruktur sich ständig bewegender Linien schafft Spinnennetze und organische Muster, bei deren längerer Betrachtung die gesamte Raumstruktur verschwimmt und sich aufzulösen scheint. Koglers Projektion illustriert nicht zuletzt, wie stark heutzutage wirkliche und virtuelle Welten einander durchdringen und wie sehr unsere Vorstellung von der Wirklichkeit durch die medialen computer-virtuellen Simulationen beeinflusst ist. Bespielt wird diese Installation von der eigens für sie komponierten Klangkulisse des Wiener Soundkünstlers Franz Pomassl, die zwar gut zu der Projektion Koglers passt, jedoch allzu beklemmend-bedrohlich wirkt.

Auch mit organischer Materie wird gearbeitet. Wenngleich ein Vergleich mit Wim Delvoyes „Cloaca“ zu weit gehen würde, erinnern die Arbeiten mit lebender Materie doch daran.

Die Holzstrukturen des Franzosen Vincent Lamouroux greifen dagegen wieder direkt in die Architektur ein. Inspiriert von drei Erzählungen Edgar Allen Poes, gleichen sie einer skulpturalen Landschaft ? die begehbaren Silhouetten seiner beliebig verschiebbaren und biegsam wirkenden Module und ihre Verschachtelungen, brechen die formale, strenge, architektonische Struktur Ieoh Ming Peis tatsächlich auf und verändern die Raumproportionen. Einen Eingriff in die Mudam-Architektur dieser Art stellen auch die Installationen des deutschen Künstlers Michael Beutler in der Westgalerie des Erdgeschosses dar. Für „Flip“ hat Beutler die Wände förmlich zerlegt, um sie anschließend mithilfe von wandhohen, bogenförmigen Eisenstrukturen zu kippen, was durch die auf diesen Strukturen liegenden Wände eine horizontale Raumwahrnehmung zur Folge hat.

Doch auch mit organischer Materie wird gearbeitet. Wenngleich ein Vergleich mit Wim Delvoyes „Cloaca“ zu weit gehen würde, fühlt man sich von den Arbeiten mit lebender Substanz in der Ausstellung doch an sie erinnert. Denn den Reiz der Installationen Raffaella Spagnas und Andrea Carettos macht das Potential einer bergenden Evolution aus. Für „Sketches of Space“ haben die italienischen Künstler eine Installation nach dem Prinzip eines Netzwerks aus kleinen Inseln angelegt, die Organismen mit spezifischen Eigenschaften beherbergen. Ein Kohlkopf, der bis auf sein Herz zurechtgestutzt wurde, soll revitalisiert und zu neuem Wachstum angeregt werden. Kleinen Pflänzchen wird, in dem Raum im Erdgeschoss, mit einem Ventilator und künstlichem Licht eine natürliche Umgebung vorgegaukelt und so ihr Wachstum angeregt. Dabei wird auch mit natürlicher Materie gearbeitet. So tropft zum Beispiel Wasser aus der Regenrinne des Mudam in die Installation hinein. Im Wachstum der Salzkristalle wiederum, zeigt sich eine anorganische Formbildung, das Loch im Salz wird beständig größer.

Mit dem Projekt Y8 wurde eine Serie aktiver körperlicher und meditativer körperlicher Erfahrungen in einem Ausstellungsraum ins Leben gerufen. In vieren der Sequenzen wird BesucherInnen die Möglichkeit geboten, an Yoga-Sessions im Museum teilzunehmen. Die Konzentration und Kontrolle über den Körper soll die Sinne schärfen und so eine neue spirituelle Raumerfahrung möglich machen. Ob dieses esoterisch anmutende Begleitprogramm Publikum anzieht, ist zweifelhaft, doch Angebote dieser Art liegen voll im Trend.

Das Ensemble der acht ganz und gar unterschiedlichen Kunst-Installationen bildet eine aufregende Ergänzung der Mudam-Sammlung und fügt sich perfekt in sie ein. Freilich ist zu befürchten, dass die Eindrücke in ihrer Gesamtheit den Besucher beim ersten Gang durch die Ausstellung überfordern und sich, angesichts der Intensität der Installationen eines Kempinas oder Kogler, Reizüberflutung einstellt. Dessen ungeachtet glänzt die Ausstellung jedoch durch ihre künstlerische Vielfalt und ihr hohes Niveau.

In klarem Gegensatz zum verstaubten Image jahrhundertealter Museen bestätigt das Mudam mit „Sketches of Space“ seine moderne Ausrichtung durch Selbstreflexion und Innovation. Den KuratorInnen ist es gelungen, gängige Raumwahrnehmungen in Frage zu stellen und die Architektur des Gebäudes mit Installationen renommierter KünstlerInnen auf internationalem Niveau sinnlich und spielerisch erfahrbar zu machen. Wenngleich „Sketches of Space“ wohl eher TouristInnen und eingefleischte LiebhaberInnen der Gegenwartskunst anziehen wird, ist doch nicht ganz ausgeschlossen, dass auch einige Luxemburger ? womöglich sogar der eine oder andere Monarchist ? an den weltoffenen Raumskizzen Gefallen finden werden.

„Sketches of Space“ noch bis zum 19.9.2010 im Mudam.


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