JUGENDKULTUR: Vintage Radio

Die vielfältigen Unterhaltungs- und Informationssysteme im heutigen Medienzeitalter scheinen das Aus für das Radio zu bedeuten. Dass dem nicht so ist und dass vor allem auch die junge Generation Freude am Rundfunk hat, beweist eine Studie.

Noch krächzt der Ara.
Der Sender wird auch heute noch gerne von Jugendlichen gehört, und in den Jugendsendungen von Graffiti finden auch junge RadiomacherInnen ihre Plattform.

„Massiver Rückgang beim Radiokonsum US-Jugendlicher“ oder „iTunes killed the Radio Star“ diese Behauptungen waren schon vor einigen Jahren in der Presse zu lesen. Trotzdem ist das Medium Radio, mehr als ein Jahrhundert nach der ersten Sendung, bei weitem noch nicht am Ende. Fest steht allerdings, dass es sich in seiner Bedeutung massiv gewandelt hat: Heute wird das Fehlen des Radios meist bewusster wahrgenommen als seine Anwesenheit. Egal, ob am Frühstückstisch, im Supermarkt oder bei der Autofahrt – das Radio ist nahezu überall präsent. Jedoch wird es vorwiegend zum Entspannen und als Begleit-Medium zu anderen Aktivitäten genutzt. Ursprünglich diente es ganz anderen Zwecken. So entstand etwa die Idee der Musikübertragung durch den Äther vor allem aus der Überlegung, dass durch sie die Moral von Soldaten im Kriege verbessert werden könnte. Während der Nazi-Zeit wurde das Radio als „Volksempfänger“ zum Massenmedium und in dieser Eigenschaft zum wirkungsvollen Propagandamittel. War der Rundfunk später für einen Großteil der Bevölkerung neben der Tageszeitung das hauptsächliche Informationsmedium, so drohen ihm heute moderne Alternativen wie iTunes – dessen Vorteil vor allem darin liegt, Musik selbst auszuwählen – dem klassischen Radio den Rang abzulaufen. Diese sind besonders für die junge Generation attraktiv. Für sie stellt sich daher in besonderer Weise die Frage, welche Rolle das traditionelle Medium Radio in der heutigen Zeit noch besitzt und welche Veränderungen die Nutzungsgewohnheiten durchgemacht haben.

Diesen Fragen ging eine Studie nach, die von der Graffiti asbl in Auftrag gegeben und deren Ergebnisse diese Woche vorgestellt wurden. Die Untersuchung, die 2009 mit Hilfe des Service National de la Jeunesse (SNJ) durchgeführt wurde, umfasste sowohl eine quantitative Umfrage mittels Fragebogen an 17 Schulen (Classique, Technique und Modulaire), der Uni Luxemburg und an sieben Jugendhäusern, als auch eine qualitative Online-Umfrage. Wichtig war den Auftraggebern vor allem, die Reichweite ihrer Wirkung abschätzen zu können – also den Bekanntheitsgrad von Graffiti und seinen rund 18 verschiedenen Jugendsendungen auf Radio Ara zu ermitteln.

„Tabu sind einzig motherfucker-Songs – also Musik mit sexistischem und rassistischem Inhalt“

Seit 1992 existiert die asbl, deren Ziel es ist, Jugendlichen den Zugang zum Medium Radio zu ermöglichen und sie bei der Produktion von Radiosendungen zu unterstützen. Dabei will Graffiti nicht bevormunden: „Das Radio ist auch jetzt noch gestalterisch offen. Unsere Aufgabe besteht vor allem darin, das Programm gemäß den Musikstilen zu strukturieren. Tabu sind einzig motherfucker-Songs ? also Musik mit sexistischem und rassistischem Inhalt“, erläutert Manon Bissen, Sozialpädagogin des Projektes, die Radioworkshops in Schulen oder Jugendhäusern zum Thema organisiert und den aktiven RadiomacherInnen gegebenenfalls Feedback gibt.

Zur idealen Plattform für die Jugendsendungen von Graffiti bot sich das freie und alternative Radio Ara an, das seit seinen Anfängen nach dem Modell der Bürgerradios funktioniert: Bürger und Vereinigungen nehmen an der Gestaltung des Programms sowie an der Leitung des Radios aktiv teil. Rund 15 Stunden wöchentlich (Montags bis Freitags von 14.00 bis 17.00 Uhr) beträgt die Sendezeit von Graffiti auf Radio Ara, während derer Jugendliche im Alter von 12 bis 26 Jahren die Möglichkeit haben, selbst produzierte Sendungen, Reportagen und Interviews zusammen mit Musik ihres jeweiligen Stils über Antenne und Livestream auszustrahlen.

Die Studie zum Radiokonsum kam zu dem Schluss, dass das Radio an sich bei der jüngeren Generation noch kein Auslaufmodell ist: Rund 68 Prozent der befragten Jugendlichen in Luxemburg sind noch regelmäßige Radiohörer. Unter diesen schalten 40 Prozent das Radio täglich ein. Der zeitliche Umfang des Konsums wird von den Lebensverhältnissen der Jugendlichen bestimmt: So ruht er etwa während der Zeiten des Schulbesuchs.

Musik kann zum Sprachrohr von Gefühlen werden und damit zur Bewältigung von Schwierigkeiten im Alltag beitragen.

Ein anderes Resultat der Studie war, dass bislang nur ein verhältnismäßig geringer Anteil (acht Prozent) der 41.000 Jugendlichen im Alter von 13 bis 19 Jahren die Graffiti-Jugendsendungen überhaupt kennen. Zudem sind die Sendungen, die klangvolle Namen wie etwa „Vun der Long op d`Zong“, „Lost in Music“ oder „Crumble – Magazin fir jonk Themen a Streiselkuch“ tragen, bei jungen Frauen bekannter als bei jungen Männern – was insofern überrascht, als unter den jungen RadiomacherInnen das männliche Geschlecht überrepräsentiert ist. Die Motivation für das Einschalten der Graffiti-Sendungen ist – so die Studie – das spezielle Musikangebot abseits des Mainstreams, das Fehlen von Werbung, der persönliche Kontakt zu den Moderatoren und das abwechslungsreiche Programm. Insofern verwundert es nicht, dass Musik (93 Prozent) den beliebtesten Inhalt bei den jungen Radio-Zuhörer darstellt, mit den Favoriten Hiphop/RnB (63 Prozent) und Pop (59 Prozent) – während Indie (12 Prozent) und Punk (17 Prozent) am unteren Ende der Beliebtheitsskala stehen. Verwunderlich ist dagegen eher das Resultat, dass Jugendliche Nachrichten (41 Prozent) noch vor dem Sport (25 Prozent) als beliebtesten Inhalt angaben. Darauf wollen die Radiomacher von Graffiti zukünftig reagieren. „Die Jugendlichen haben bisher eher aktuelle Themen in speziellen Sendungen behandelt“, erklärt Bissen. Da jedoch Nachrichten im klassischen Sinne einen hohen redaktionellen Aufwand erfordern, der nicht von jugendlichen ModeratorInnen erbracht werden kann, will Graffiti Kooperationen mit dem SNJ und plurio.net eingehen, um news-ähnliche Inhalte ins Programm zu integrieren. „Es ist geplant, sowohl Internetnews als auch Kulturinfos aus der Großregion in das Programm aufzunehmen“, so Bissen.

Zudem soll eine Werbekampagne den Bekanntheitsgrad der Jugendsendungen heben. Und zwar nicht nur, um neue Zuhörer zu gewinnen, sondern auch, um Jugendliche fürs Radiomachen zu interessieren. Denn das Radio bietet so einiges, ist zum Beispiel ein Raum, in dem die Jugendlichen ihr Lebensgefühl ausdrücken können. Musik kann zum Sprachrohr von Gefühlen werden und damit zur Bewältigung von Schwierigkeiten im Alltag beitragen. Auch lassen sich durch Rundfunkprodukte mit wenig Aufwand Meinungen darstellen und übermitteln, und ermöglichen den Jugendlichen dadurch eine gesellschaftliche Partizipation, die ihnen ansonsten eher erschwert wird. Dass Jugendliche selbst für den Inhalt und die Umsetzung ihrer Sendungen verantwortlich sind, kann ihr Selbstbewusstsein stärken. Zudem verschafft ihnen die Erfahrung, in welchem Maße Radio manipuliert werden kann, auch einen kritischen Blick auf die Medien.

Radio erfüllt also nach wie vor eine wichtige Funktion, die andere Medien in dieser Weise nicht bieten. Zu begrüßen wäre aber, dass es gelingen würde in Zukunft auch verstärkt Jugendliche mit ausländischem Background zu begeistern, da diese – zumindest nach Aussage der Studie – in der Hörerschaft unterrepräsentiert sind.


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