FRANKFURTER BUCHMESSE: Zwischen Tango und e-Book

Mit gut 279.000 BesucherInnen verzeichnet die Frankfurter Bücherschau zwar rückläufige Zahlen. Dennoch geben sich die Verlage nach der Krise wieder zuversichtlich.

Beschwingt, leidenschaftlich und dynamisch wurde die argentinische Literatur auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse schon mal mit kleinen Tangoeinlagen beschworen. Rund 7.500 Aussteller aus über 100 Ländern waren in diesem Jahr in Frankfurt zusammengekommen, um sich über Bücher und Branchentrends auszutauschen. Die Wahl Argentiniens als Gastland schien im Gegensatz zu der Chinas im vergangenen Jahr weniger heikel. Trotz des demokratischen Wandlungsprozesses, der in Argentinien in den 80er Jahren einsetzte und eine fruchtbare Wirkung auf die Literatur ausübte, bleibt die Diktatur von 1976 bis 1982 als besonders repressiv in Erinnerung. Das Buch des Berliner Rechtsanwalts Wolfgang Kaleck „Kampf gegen die Straflosigkeit. Argentiniens Militärs vor Gericht“, erschienen im Wagenbach-Verlag, versucht denn auch, den Verbrechen der Militärjunta auf die Spur zu kommen. Mit der Demokratisierung setzte eine rege Wiederbelebung von Kunst und Kultur ein, die sich besonders im Verlagswesen niederschlug. Es kam zu zahlreichen Neugründungen ? heute boomt der Buchmarkt in Argentinien. Ohnehin kann das vergleichsweise wohlhabende südamerikanische Land auf eine lange und reiche Büchertradition zurückblicken. Bereits vor dem Messen-Auftritt Argentiniens hatte der argentinische Staat 2.929 Bücher in 31 Sprachen übersetzen lassen. Auch in Deutschland kam es, gleich nachdem die Entscheidung für Argentinien gefallen war, zu zahlreichen Neuerscheinungen.

„Das Leben ist ein Tango“ wirbt der unabhängige Wagenbach-Verlag und bringt in einer bunten Taschenbuchreihe alte Klassiker, wie den fantastischen Roman „Der Tunnel“ von Jorge Luis Borges, neu heraus. Junge Autoren sind im Kurzgeschichtenband „Asado Verbal“ vertreten, in dem lakonisch, witzig oder auch wehmütig der Finger auf die Wunde der Militärdiktaturen gelegt wird. Bei den großen deutschen Verlagen finden sich neben Neuauflagen von Klassikern, wie Borges, Cortazar oder Sabato vor allem Romane aufstrebender zeitgenössischer Autoren, die wie Ricardo Piglia mit seinem Roman „Ins Weiße ziehen“ erschienen bei Wagenbach oder Marcelo Figueras die Militärdiktatur kritisch aufarbeiten. Felix Bruzzones „76“, erschienen im Berenberg-Verlag, ist ein Erzählband über junge Erwachsene, deren Eltern während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 „verschwanden“. Marcelo Figueras erzählt in seinem Roman „Kamtschatka“, erschienen u. a. bei „Nagel und Kimche“ die Geschichte einer Familie, die kurz nach dem Militärputsch von 1976 in einem Landhaus untertaucht, aus der Sicht eines Zehnjährigen. Unprätentiös schildert Figueras die Geschichte dieser prototypischen argentinischen Familie im Widerstand.

Ganz im Einklang mit dem Motto der diesjährigen Buchmesse scheint auch die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an den Peruaner Mario Vargas Llosa zu stehen. „Literatura es fuego“, lautet dessen Credo. Der einstige rektionär-liberale Präsidentschaftsanwärter ist ein abgehobener Intellektueller aus dem Bildungsbürgertum. Zwar zählt er zu den wenigen bekannten Stimmen Lateinamerikas, die die ganze Bandbreite der Themen des 21. Jahrhunderts in ihren Werken behandeln, doch hat er weder ein eigenes literarisches Genre begründet, wie Gabriel Garcia Marquez mit seinem Magischen Realismus, noch ist er sprachlich besonders nuanciert. Im Gegenteil: Seine Romane sind in den vergangenen Jahren immer prätentiöser geworden. Seinen Roman „Das Paradies ist anderswo“ kann man als Versuch werten, „große europäische Literatur“ zu schreiben. Der Roman ist eine Abhandlung über Paul Gauguin, der in Tahiti, einem vermeintlichen Paradies von „Wilden“ und „wilder Schönheit“, seine Bestimmung zu finden hofft.

e-Book im Aufwind

Abseits von aller Lateinamerika-Folklore haben die „Neuen Medien“ mittlerweile auf der Buchmesse ihren festen Platz gefunden. Dass der Digitalisierungstrend vor Büchern nicht halt macht und sich vor allem im vielfältigen Angebot von e-Books und Online-Bookshops niederschlägt, beweist Halle 4.2, die wie eine saubere Unternehmensetage wirkt, in der dem Kunden Versicherungen verkauft werden. Noch liegt der e-Book-Anteil am Umsatz des deutschsprachigen Marktes bei lediglich einem Prozent. Bequem ist das Downloaden von Büchern aus dem Internet vor allem für jene Leser, die weder einen Buchladen in ihrer Nähe haben noch die Geduld für den Postversand aufbringen. Mit hippen Slogans wie „e wie mehr Ertrag“, „e wie entspannend“ und „e wie endlich Zeit für Kunden“ bewirbt ein Stand der e-Book-Branche sein Produkt. Ronald Schild, Geschäftsführer von „Librika“, dem offiziellen e-Book-Portal der deutschen Buchbranche, einem Unternehmen, mit einem Jahresumsatz von rund 20 Millionen Euro, gibt sich zuversichtlich. Librika hat als reine Suchmaschine angefangen, mittlerweile sind 130.000 Bücher digitalisiert und im Internet mit angezeigten Leseproben durchsuchbar. Seit eineinhalb Jahren bietet das Börsen-Unternehmen auch e-Books an und hat aktuell über 30.000 Titel im Angebot. „Neben dem Verkauf direkt an den Endkunden konzentrieren wir uns im Wesentlichen darauf, Mittler zu sein. Verlage liefern uns ihre e-Books, wir sammeln alle Meta-Daten und stellen diese dem Handel zur Verfügung, der sie dann wieder dem Endkunden verkauft“, erläutert Schild die Unternehmenspraxis. Dabei entspricht das Angebot hinsichtlich der Verteilung in etwa dem Markt für gedruckte Bücher. Von 30.000 angebotenen Titeln ist etwa ein Drittel Belletristik, zwei Drittel sind Sach- und Fachbücher. Prognosen unabhängiger Marktforschungsinstitute zufolge wird das e-Book in den nächsten fünf Jahren einen Anteil von 10% am Gesamtbuchmarkt haben. Die Erfahrung aus den USA lässt allerdings darauf schließen, dass diese Zahl noch höher liegen könnte.

Anti-Sarrazin-Stimmung

Während sich die Pressesprecher der e-Book-Branche auf der Messe betont kundenfreundlich zeigten, suchte man bei der „Deutschen Verlagsanstalt“ (dva), die Thilo Sarrazins Pamphlet „Deutschland schafft sich selbst ab“ herausgibt – Verkaufszahl derzeit rund 1,2 Millionen – und an ihrem Stand bewirbt, vergeblich nach einem Gesprächspartner. Pressesprecher Desaga gebe grundsätzlich keine Interviews, hieß es. Eine Brise Anti-Sarrazionismus wehte dennoch auf der Buchmesse. Als erklärte Antwort auf sein Buch wird denn auch medienübergreifend die Entscheidung der Jury gewertet, den diesjährigen Deutschen Buchpreis an die in Serbien geborene Melinda Nadj Abonji für ihren Roman „Tauben fliegen auf“ zu vergeben. Die Autorin beschreibt darin die Geschichte ihrer „gelungenen Integration“ in der Schweiz. Nach der Verlegenheitswahl der Außenseiterin Kathrin Schmidt im vergangen Jahr ist die Vergabe des diesjährigen Deutschen Buchpreises eine symbolische und konsensfähige Entscheidung. Und sie ist ein erfrischendes Signal der Öffnung nach den bemüht deutsch-deutsche Geschichte beschwörenden Romanen so mancher db-Preisträger der vergangenen Jahre, wie Uwe Tellkamp oder Julia Franck.

Recht gediegen ging es am Stand des „Lëtzebuerger Buchverbandes“ zu, der offenbar einen Alleinvertretungsanspruch für Luxemburg erhebt. „Die sprachliche Situation Luxemburgs ist gekennzeichnet durch ein Gegeneinander, Miteinander, Ineinander“ hieß es beim Empfang am Luxemburger Stand. Tags zuvor war die „Shortlist“ derjenigen Autoren bekanntgegeben worden, die um den „Lëtzebuerger Bicherpräis“ konkurrieren. Offensiv ging der Verband dem schwelenden Konflikt mit Ultimomondo aus dem Weg, indem er Jean Back zu seiner Auszeichnung des „Literaturpreises der Europäischen Union“ gratulierte. Der Direktor des „Centre national de l’audiovisuel“ CNA in Düdelingen ist einer von elf Autoren, die in diesem Jahr diese Auszeichnung erhielten. Sein Buch „amateur“ erschien 2009 bei Ultimomondo, nachdem dort bereits „Schwein“ und „Wollekstol“ publiziert worden waren. „Amateur“ ist nun beim Berliner Elfenbeinverlag herausgekommen, lag jedoch infolge eines Versäumnisses der Luxemburger Post zum Zeitpunkt der Eröffnung dort noch nicht aus. Ultimomondo, von Roger Manderscheid und Guy Rewenig im Jahr 2000 ? gewissermaßen als Antwort auf den schleichenden Bedeutungsverlust von „éditions phi“ ? gegründet, hat sich von jeher gesträubt, Mitglied des Lëtzebuerger Buchverbandes zu sein. Rewenig zufolge liegt Ultimomondo seit eineinhalb Jahren wegen einer eigenständigen Präsenz bei der Frankfurter Buchmesse mit der Ministerin im Streit. Diese verweist jedoch stoisch auf den Verlegerverband. „Wir möchten unabhängig vom Verlegerverband unseren Messestand gestalten. Es ist allein an der Kulturministerin, das zu entscheiden“, meint Rewenig. Doch wie kann es sein, dass sich in Deutschland zahllose kleine Verlage halten können und zumindest mit einem Ministand in Frankfurt vertreten sind, während Luxemburg nahezu allein durch den „Lëtzebuerger Buchverband“ repräsentiert wird? Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass sich manche Luxemburger Autoren ihre eigene Nische in der weiten deutschen Verlagslandschaft suchen. So hat etwa der Luxemburger Guy Helminger seinen jüngsten Roman „Neubrasilien“ beim Eichborn Verlag herausgebracht. Francis Van Maele, Gründer und bis heute Mit-Aktionär von „éditions phi“, ist hingegen nach Irland ausgewandert und hat dort mit seiner Partnerin einen unabhängigen Verlag gegründet. „redfoxpress“ bringt handgebundene Bücher mit Sammlerwert in sehr geringer Auflage heraus, kleine, aufwändige Bände von Reisetrips nach New York oder Venedig. Auf der Frankfurter Buchmesse hat „redfoxpress“ seinen eigenen Stand, während „éditions phi“ am Stand des Lëtzebuerger Buchverbandes mit vertreten ist.

Verlagsnische Deutschland

Auf ausgefallene Verlage stößt man in den engen Gängen der Frankfurter Messehallen immer wieder. Einige Neugründungen, wie „essencia“, 2008 entstanden, begreifen sich erklärtermaßen als Nachwuchsverlag. Mit zur Zeit 17 gedruckten Titeln im Programm, einer 13-jährigen Autorin und einem 65-jährigen Autor strebt der kleine Verlag lässig auf den Buchmarkt. „Bei essencia kann jeder sein Manuskript einschicken“, meint Verlegerin Saskia Achenbach. Wenngleich die Krise auch den Buchmarkt erschüttert hat und einige wertvolle unabhängige Verlage, wie etwa der Schweizer Amman-Verlag, ihr Programm einstellen mussten, scheint doch Optimismus vorzuherrschen. Nach Tango, Diktaturen und der Weite Patagoniens darf man gespannt auf den Gastauftritt Islands sein, der schon in diesem Jahr seinen Schatten vorauswirft. Doch wer weiß ? wenn ein isländischer Vulkan es schafft, den gesamten europäischen Flugverkehr stillzulegen, schafft es Ultimomondo im nächsten Jahr vielleicht ja auf die Frankfurter Buchmesse…


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