FOTOGRAFIE: Aus dem Nichts

Die Stimme aus dem Off ist ein sehr beliebtes Mittel Filmschaffender, bestimmte Szenen zu erklären und dem Zuschauer so einen leichteren Zugang zu seinem Werk zu gewährleisten. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Kommentare des Replikantenjägers Decker in Ridley Scotts Blade Runner. Um dies auf Druck der Produzenten zu verhindern habe Harrison Ford die Texte bewusst schnoddrig nuschelnd vorgetragen, konnte aber nichts bewirken. Zum Seelenfrieden vieler Cineasten sind in neueren Versionen diese Kommentare wieder getilgt worden. Zuviel Erklärungen sind gerade bei künstlerischen Projekten, die sich nicht dem Mainstream verschrieben haben wollen, häufig von Nachteil. Noch schlimmer wird es, wenn in solchen Erklärungen zeitgenössischer Kunst längst überstrapazierte Begriffe wie der der „Postmoderne“ oder der „Dekonstruktion“ auftauchen. Erst recht dann, wenn sie zu hohlen Worthülsen degradiert werden, um überhaupt irgend etwas sagen zu können.

Unter dem Titel „Off“ werden derzeit in der ersten Fotografie-Ausstellung im Ratskeller des neuen Cercle Cité in Luxemburg und im Rahmen des „Mois européen de la photographie“ Stadtansichten gezeigt. Dazu haben fünf Fotografen aus recht unterschiedlichen Perspektiven einen Blick auf die Hauptstadt geworfen. Präsentiert werden Arbeiten von Bruno Baltzer, Robert Hornung, Martin Linster, Gino Ricca und Marc Wilwert.

Am nächsten kommt der klassischen Idee einer Stadtansicht Bruno Baltzer mit seiner Serie „Parallax-Scopies“. In Anlehnung an die ersten Versuche der dreidimensionalen fotografischen Darstellung mit Hilfe der Stereoscopie stellt er zwei unterschiedlich tiefe Ausschnitte eines Motivs einmal in Farbe, einmal schwarz-weiß nebeneinander und führt so das Prinzip selbst ad absurdum. Marc Wilwert hat sich mit seinen Schwarz-Weiß-Abzügen den Licht-und Schattenspielen in den Innenansichten öffentlicher Gebäude unter anderem des Rathauses und des Außenministeriums gewidmet. Dagegen wirken die Arbeiten von Gino Ricca, ähnlich wie die als Dia-Show präsentierten Arbeiten von Robert Hornung, wie Schnappschüsse. Für Hornung scheint seine Serie „Luxembourg Marmelade“ dabei so etwas wie die Möglichkeit zur Liebeserklärung des Jungen aus dem Oesling an die kleine aber feine Stadt zu sein. Zur Verklärung scheint er sich das Motto „unscharf ist das neue scharf“ zugelegt zu haben.

Daneben widmet sich Ricca in seinen besseren Arbeiten mit typisch grobkörnigen und verwaschenen Aufnahmen dem Luxemburger Nachtleben. Noch tiefer gehende Innenansichten liefert der Fotojournalist Martin Linster mit seinen Momentaufnahmen. Eine alte Frau, die kniend neben einem Mülleimer um ein paar Cent bettelt, ein Mann, der sich auf einer Parkbank an einer Weinflasche festhält, Jugendliche und Obdachlose, die an der erstbesten Stelle einen Schlafplatz gefunden haben. Seine Bilder scheinen wie aus der Hüfte geschossen, so wie der Blick des Passanten diese Menschen auch nur unwillig am Rande streift. Damit kann praktisch alles, was gegen diese Aufnahmen spricht, als Vorzug ausgelegt werden. Trotz allem wirken sie in ihrer Sterilität wie die Fotografien eines Touristen.

Nur sehr selten ist ein Fotograf Teil des Geschehens und steht meistens wie buchstäblich jeder Beobachter im Abseits. So sind auch die gezeigten Stadtansichten zwangsläufig Arbeiten aus dem „Off“ bieten aber deshalb nicht zwangsläufig eine neuen Einblick, gleichgültig wie innovativ der Blickwinkel erscheinen mag. Die Idee war originell, die Absicht gut, den Versuch war es wert, einen Gewinn kann man dennoch kaum aus den gezeigten Arbeiten ziehen – außer vielleicht einen sentimentalen.

Im Cercle Cité bis zum 6. November.


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