Steven C. Harvey’s Zeichnungen sind düstere Visionen einer pervertierten Menschheitsentwicklung – und eine implizite Gesellschaftskritik.
Der 1967 in Stafford geborene Künstler Steven C. Harvey, der in Athen lebt und arbeitet, entwirft in altmeisterlicher Manier düstere Visionen einer Science-Fiction-Welt. Unter dem Titel „Vehicles“ ist zurzeit eine breite Auswahl seiner beeindruckenden und mit äußerster Sorgfalt ausgearbeiteten Zeichnungen im Mudam zu bestaunen.
Statt knalligen Farben oder impulsivem Strich sind die detaillierten Untergangsvisionen mit dünnem Bleistiftstrich auf Papier aufgetragen – durch diese fast dokumentarische Darstellung wird die Bedrohlichkeit der dargestellten Szenerien noch verstärkt. Zudem verschmilzt Harvey in seinen Zeichnungen futuristisches Flugzeug- und Automobildesign und gotischen Kathedralbau mit profanen Elementen wie Kirmeskarussellen oder einem Fünfzigerjahre-Wohnungsinterieur. Seine Inspiration scheint er zudem aus Filmerlebnissen wie Starwars oder Matrix zu beziehen.
Der Titel der Ausstellung passt denn auch gut zu den Dystopien von
Harvey: Die Natur ist ausgerottet, nichts bleibt übrig außer einer kargen, leeren Landschaft sowie gigantischen Stahlkolossen, riesigen Raumkapseln auf vier Rädern, mit Turbinen, Propellern und Laderampen. Diese Fahrzeuge sind denn auch keine Nutzfahrzeuge, die dazu dienen, von A nach B zu fahren. Sie erscheinen eher als letzte Zufluchtsorte oder Überlebenskapseln, in denen sich die Menschen nicht frei bewegen können, sondern eher als Sklaven fungieren. Wie Räder im Getriebe sind sie dazu verdammt, die riesigen Maschinen am Rollen zu behalten, einige sind mit der Steuerung, der Wartung oder dem Antrieb beschäftigt, während andere sich in gedankenloser Blindheit dem Konsum hingeben. Sie scheinen sich alle unaufhaltsam in ihr Verderben zu manövrieren.
Auch Tiere werden in diesem System ausgebeutet, den Walfischen werden die Flossen abgeschnitten, Elefanten und Giraffen werden erhängt. Selbst wenn so ein Stahlkoloss zuweilen wie eine riesige Arche Noah wirkt, ist kein Platz mehr für die Natur. Mensch und Tier scheinen von diesem System der totalen Technik mit seinem unmäßigen Ressourcenverbrauch verschlungen zu werden.
Schon immer hat Harvey die absurden Bedingungen unseres Daseins auszudrücken versucht. Seine Zeichnungen erinnern in ihrer visionären Kraft an die „Carceri“ (1745) des italienischen Kupferstechers Giovanni Battista Piranesis, dessen Architekturphantasien das Gefühl von Einsamkeit verbunden mit Monumentalität auf die Spitze treiben.
Zudem kritisiert der Maler „Ideologien“ wie die Religion oder den Konsum – etwa wenn Christus am Kreuz oder das Nike-Emblem auf der Kühlerhaube der Stahlkolosse thront. Die Symbole und Heilsversprechen der christlichen Religionen oder des Konsums wirken in dieser heillosen Welt wie atavistische Zugaben.
„Die gegenwärtige Aushöhlung der Aufklärung und die nie dagewesene Schizophrenie des Menschen des 21. Jahrhunderts, der trotz seines guten Charakters auf das Vergießen von Blut und giftiger Abwässer nicht verzichten kann, verfolgt von den ihn plagenden Geistern seiner eigenen Schutzmythologien …“, so erklärt Steven Harvey seinen pessimistischen Blick auf die Welt. Eine sehenswerte Ausstellung!
Im Mudam, noch bis zum 23. September.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Ausstellung „Xanti Schawinsky: Play, Life, Illusion – a Retrospective“: Von Spektakeln und Steppmaschinen
- Kunstausstellung: Bilder einer finanziellen Alternative
- « Des rues de Lisbonne au Luxembourg » : suivez le guide avec le woxx
- Kunstausstellung „My Last Will“: Mein Wille geschehe
- Fotografieausstellung: Die Erde als Kugel und andere Realitäten