In ihren surreal anmutenden Arbeiten hinterfragt Paula Muhr Konstruktionen von Weiblichkeit und Hysterie. Ihre Collagen legen offen, dass weiblicher Wahnsinn lange Zeit vor allem Folge einer reaktionären Wissenschaft war.

Wann gilt eine Frau als geisteskrank? Bereits wenn sie jähzornig ist? Wenn sie schielt, unbeteiligt dasitzt oder einen irren, abwesenden Blick hat, der sich in der Ferne verliert? Bedarf es sichtbarer Anzeichen der neurotischen Störung, wie der eines herablaufenden Speichelfadens am Kinn? Oder spiegelte die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung von Frauen im letzten Jahrhundert nicht oft einen Mangel an Empathie und Kenntnissen wider, setzt sie doch ein hetero-normatives Bild einer unemanzipierten Frau voraus, die sich den gesellschaftlichen Mustern, in einer von Männern dominierten Gesellschaft und Wissenschaft, unterzuordnen hatte? Wurden Frauen, deren Verhaltensweise nicht den Konventionen entsprach, nicht leichtfertig für nervenkrank gehalten? War die Diagnose der Hysterie am Ende ein männliches Machtinstrument?
In ihren Arbeiten „Double Flowers and Other Stories“, zu sehen bis zum 27. April, in der Galerie Nei Liicht in Düdelingen, geht die 1977 in Serbien geborene und in Berlin schaffende Künstlerin Paula Muhr genau diesen Fragen nach. Sie ist der Konstruktion von Sexualität und Darstellung von Weiblichkeit auf der Spur und hinterfragt mutig soziokulturelle Muster und Strategien der Unterdrückung und Stigmatisierung von Frauen.
In Fotografien, Found Footage und filmischen Montagen inszeniert sie vorsätzlich die mythische Krankheit der weiblichen Hysterie, bricht auf diese Weise vorherrschende Muster und entlarvt sie als Resultat einer von konservativen Männern dominierten (pseudo-)wissenschaftlichen Medizin.
Die Collagetechnik nutzt Muhr, um etwa einzelne Ausschnitte aus ihrem eigenen Gesicht, einen weit offen stehenden Mund oder weit aufgerissene Augen puzzlehaft aneinanderzureihen.
Anhand von medizinischen Schriften und bunten Diagrammen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, stellt sie wissenschaftliche Dokumente unkommentiert aus. Es sind Auszüge aus medizinischen Handbüchern, die für sich sprechen.
Antike ästhetische schwarz-weiße Frauenfotos verfremdet sie bewusst mit Tieren. So quellen einer Frau Würmer aus dem Mund, werden weibliche Körper durch Insekten, die lange Zeit nur als Ungeziefer fungierten, entfremdet. Küchenschaben, Kakerlaken, Fliegen oder Igel nagen an den Frauenkörpern, entspringen ihnen oder bedecken einen Körperteil und suggerieren auf diese Weise „Abnormalität“.
Doch anstatt Ekel auszulösen, betonen Muhrs surreal anmutende Collagen eher die Ästhetik der Frauen und ihre (vermeintlichen) Makel. Ihre mutigen filmischen Montagen und Frauenbilder wirken noch lange nach.
„Double Flowers And Other Stories“ in der Galerie Nei Liicht bis zum 27. April.