AUSSTELLUNG: Kunstware Marx

Längst ist er zum Kunstobjekt geworden, sein Konterfei wird für Werbung aller Art genutzt. Eine Schau in Trier ist nun seiner Ikonographie auf der Spur. Marxfans bekommen viele Bilder zu sehen. Der politische Blick gehorcht dem Mainstream.

Auch kopflos wirken ihre Ideen nach. Bedarf es linker Ikonen?
Das Marx-Engels-Denkmal (für Berlin-Mitte) vor der Werkstatt des Bildhauers Ludwig Engelhardt. (Fotografie von Sibylle Bergemann, Mai 1984 © Agentur Ostkreuz / Nachlass Sibylle Bergemann)

Lang ist es her, dass ein Gespenst in Europa umging … Wer heute an den Kommunismus denkt, hat unwillkürlich bestimmte Bilder im Kopf. Es sind die linker Ikonen, die nahezu Heilige geworden sind. Das Bild des visionär dreinblickenden Che Guevara ist wohl das berühmteste – sakral überhöht, aber auch millionenfach zu Werbezwecken eingesetzt. Oft sind es linke Vorkämpfer, wie Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin, aber auch mittlerweile weniger beliebte sind darunter: Josef Stalin oder Mao Tse Tung, deren stilisierte Konterfeis zigfach reproduziert wurden. Die Wände der linken Kirche sind übervoll. Und wenn kürzlich die Einbalsamierung des Führers der bolivarischen Revolution, Hugo Chavéz, erwogen wurde, dann fragt man sich, ob seine Reliquien nicht auch in anderen Ländern Wunder wirken könnten. Braucht das linke Volk einen Opium-Ersatz für die Religion? Warum bedarf es gerade in der Linken der Ikonen? Leicht abgewandelt passt Marx` Satz vielleicht heute noch: „Weil sie in einer Welt leben, die jenseits der wirklichen liegt, weil also die Einbildungskraft ihr Herz und ihr Kopf ist, so greifen sie, in der Praxis unbefriedigt, notwendig zur Theorie, aber zur Theorie des Jenseits, zur Religion …“.

Opium fürs Volk

Die Ausstellung „Ikone Karl Marx – Kultbilder und Bilderkult“ im Stadtmuseum Simeonstift in Trier hätte solche Fragen stellen können, konzentriert sich jedoch in rund 150 Exponaten auf zwei Etagen auf die Bilddarstellungen des in Trier geborenen (Über-)Vaters des Kommunismus. Zum 130. Todestag von Marx wurden insgesamt 45 Leihgaben aus neun Ländern zusammengetragen.

Leider geizt die in weiten Teilen interessante Schau mit Texten – das ist ihr größtes Manko. Vor allem für diejenigen, denen die Geschichte des Marxismus bislang herzlich egal war. Soweit vorhanden, werden Texte als einführende Blöcke eingestreut, um die sieben Etappen anzukündigen, in die die Ausstellung gegliedert ist. Aussagekräftige Auszüge aus Marx` Schriften oder Hinweise auf Inhalte sucht man vergeblich. Stattdessen finden sich vor allem Bilder von Marx ? darunter überwiegend Auftragswerke aus dem letzten Jahrhundert, die ihn nicht selten als Intellektuellen inszenieren und denen oft etwas Sakrales anhaftet.

In der ersten Station „Karl Marx ? der Weg in die Ikonographie“ wird klar, dass das frühe Bildnis des Denkers nicht gesichert ist. Auf der frühesten Abbildung, bei der man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass sie tatsächlich Marx wiedergibt, ist dieser bereits 43 Jahre alt. „Wir wissen nicht, wie Karl Marx als junger Mann ausgesehen hat“, konstatiert die Direktorin des Stadtmuseums Elisabeth Dühr. Das Porträt seiner Verlobten Jenny von Westphalen steht so neben einem leeren Rahmen, der mit einem Fragezeichen versehen ist.

Das wohl berühmteste Bild von Karl Marx zeigt ihn mit durchdringendem Blick und Rauschebart; es war grundlegend für seine Ikonographie. Unmittelbar nach seinem Tod hatte Engels bestimmt, dass es in alle Welt gehen solle. So ließ er rund 1200 Abzüge anfertigen und verschickte diese an Stelle einer Todesanzeige. Die Grundlage für Marx` spätere Ikonisierung wurde damit gelegt – mit dem klaren Ziel, dass dieses Bild die Zeiten überdauern möge: Marx sollte als der weise Lehrer des Proletariats, der Wissenschaftler des Kapitalismus ins Bewußtsein der Menschheit eingehen.

Grundstein für Ikonisierung

In der zweiten Station der Ausstellung ist Marx als Ikone der frühen Arbeiterbewegung zu sehen. Die Darstellungen um die Jahrhundertwende zeigen ihn noch meist im Kreise anderer sozialistischer Führer, wie Lassalle und Liebknecht, als einen unter mehreren. In proletarischen gestickten Haussegen mit eingewobenen Marx-Klebe-Bildchen wird Volkskunst aufgegriffen. Immer wieder offenbaren die Marx-Darstellungen eine religiöse Prägung. So etwa bei Jens Birkholms „Das Evangelium der armen Leute“ (1900). Das Gemälde des dänischen Malers, bekannt als „Arbeiterevangelium“, zeigt eine sozialdemokratische Versammlung mit einer Marx-Büste im Hintergrund, darunter Polizisten, die die Zusammenkunft überwachen. Vor den Versammelten steht der Redner, aus Marx` Schriften vorlesend, die Hand wie zur Segnung erhoben. Oder etwa eine Postkarte von D. Bernstein (1906), auf der Marx als Moses auf dem Berg zu sehen ist, wie er eine Gesetzestafel mit dem „Kapital“ und dem „Kommunistischen Manifest“ hochreckt.

Die Station „Karl Marx im Historienbild“ erhebt den Anspruch, das im Realsozialismus propagierte Geschichtsbild wiederzugeben. Es sind überwiegend Auftragswerke, die Marx als Vordenker und sozialistischen Familienmenschen inszenieren – zum Teil gnadenlos verkitscht, wie etwa in einem figurativen, wie naive Malerei anmutenden Ölgemälde von Frédéric Longuet (1968), das Marx und Engels im Kreise der Marx`schen Familie zeigt. Oder ein Porträt des russischen Malers Levitin, auf dem Marx mit einer kunstvollen Frisur und Zigarre in der Hand wie ein Bohemien am Fenster lehnt.

In der vierten Etappe der Schau, „Aufstieg und Fall ? der monumentalisierte Marx“ ist der Vordenker bereits in Blei gegossen. Sie zeigt prominente Bilder von Marx-Monumenten aus der Sowjetunion und der DDR. Bombastisch wirkt die in einer Fotografie präsentierte Marx-Porträtbüste von Fritz Cremer aus dem Jahre 1952. Das 7,70 Meter hohe, aus einem 160-Tonnen-schweren ukrainischen Granitmonolithen geschlagene Denkmal steht in Moskau und wurde von Lew Kerbel, einem der wichtigsten Bildhauer der Sowjetunion, für die Ewigkeit gefertigt. Abgerundet wird der Bereich durch Fotografien von Marx-Denkmälern in der DDR, die, in der Zeit der Wende entstanden und von der politischen Dethronisierung des Dargestellten künden. Eine Fotografie des Marx-Engels-Denkmals von Ludwig Engelhardt in Berlin zeigt die Weggefährten einmal von vorn mit dem aufgesprühten Graffiti „WIR SIND UNSCHULDIG“. Eine Aufnahme Jürgen Nagels von 1990 bildet das Pendant dazu. Sie zeigt die Rückseite des Denkmals mit dem Text: „BEIM NÄCHSTEN MAL WIRD ALLES BESSER“.

Kitschige Überhöhung

Viele der in der Station „Karl Marx, eine internationale Ikone“ ausgestellten Abbildungen erinnern an Devotionalien. Von Briefmarkensammlungen aus sozialistischen Staaten, die seinen Kopf abbilden, bis hin zu einer chinesischen Vase mit seinem Konterfei und einem kitschigen chinesischen Aquarell „Die treue Liebe“ ? der romantisch-verklärten Darstellung des jungen Paares (Karl und Jenny) findet sich allerlei Erbauliches für die Kommunismus-Frömmigkeit. Im Abschnitt „Ikone Marx zwischen Politisierung und Ästhetisierung“ haben auch systemkritische Auseinandersetzungen ihren Platz, zum Beispiel eine bronzene Porträtbüste von Anna Golubkina von 1905, in der Marx` Gestalt in sich zusammengesunken erscheint. Daneben werben Wahlplakate mit seinem Kopf ? wie ein Wahlplakat der SPD von 1945 mit der Aufschrift „Er, Karl Marx, wies uns den Weg, Sozialdemokratische Partei Deutschlands“, oder ein roter Werbeplakat-Entwurf des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) von 1968 mit den Köpfen von Marx, Engels und Lenin in der bekannten gestaffelten Anordnung und darunter dem Slogan der damaligen Deutschen Bundesbahn „Alle reden vom Wetter. Wir nicht.“ Auf einigen Bildern von Frida Kahlo und Diego Rivera ist der Kopf von Marx als Übervater der Revolution heroisch in Szene gesetzt. Während die meisten Darstellungen ein klares Statement zeigen, wirkt das Öl-Gemälde von Johannes Grützke, einem der Mitbegründer der „Schule der neuen Prächtigkeit“, „Tischrunde mit Sigmund Freud, Karl Marx, Herbert Marcuse und Julius Grützke“ (1969) fast veralbernd, stellt Marx in der Tischrunde fast wie einen kauzigen, verwirrten Opa dar. Bebildert ist so die zunächst antiautoritäre 60er-Jahre-Bewegung, Ironie hatte in der Linken nur kurz ihren Platz.

Eine eindeutige Veralberung hatte wohl Volker Schönwart im Sinn, als er in seinem kürzlich (2012) entstandenen Marx-Porträt dem Denker einen Entenschnabel verpasste und sein Porträt auf diese Weise verfremdete. Alfons Kiefer, der nach dem Zusammenbruch von „Lehmann-Bothers“ die Freiheitsstatue zur Marx-Statue umgestaltete, nutzte den Knalleffekt der Finanzkrise, die den Bezug auf marxistische Kapitalismuskritik wieder hoffähig machte. Das Künstlerkollektiv Claire Fontaine wollte mit „Thank you“, einer schrillen Marx-Neon-Reklame, darauf hinweisen, dass alles dem Warenkreislauf unterworfen ist.

Marx als Werbeikone

Am Ende des Durchlaufs durch 130 Jahre steht Marx als Werbeikone. Der Sammler Rudi Maier hat Anzeigen zusammengetragen, in denen Marx bzw. sein Konterfei als visueller Bedeutungsträger zu kommerziellen Zwecken genutzt wird. Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus schien ein regelrechter Marx-Boom einzusetzen, wurden sein Bild und seine Schriften bewusst eingesetzt, um zu polarisieren ? offensichtlich war das Bedrohliche an ihm verschwunden. So warb der Autohersteller Jeep 1993 mit den Worten „Das Klassenbewusstsein ist wieder etwas größer geworden“. Eine Anzeige des IT-Konzerns Apple zeigt Marx` „Kapital“ neben einem Macintosh, und dazu den Slogan: „Es wurde Zeit, dass mal ein Kapitalist die Welt verändert“. Das Werk von Marx wird so in einen ironisierten Kontext gesetzt, das gescheiterte System den glitzernden Produkten des „besseren Systems“ gegenübergestellt. Die Fülle der zusammengetragenen Exponate macht die Ausstellung zum bunten Sammelsurium – mit dem berühmten Kopf „Marx“ als Eyecatcher.

So sieht man viele bunte Marxbilder, doch ihre jeweilige ideologische und historische Einordnung wird kaum thematisiert, obwohl die Ausstellung durch Bildung der Etappen und Auswahl der Exponate deutlich kontextualisiert. Hier wäre man durch Text gern daran gehindert, allzu einfachen Schlussfolgerungen zu erliegen. Zugleich setzt sich die Ausstellung so dem Verdacht aus, den jetzigen Blick auf die Bilder von Marx als den dekonstruktiv geläuterten und wahren zu beanspruchen ? was aber vielleicht doch ein ebenso ideologiebehafteter Zugang ist: Die „Einbildungskraft ist ihr Herz und ihr Kopf“, die Praxis fehlt dabei. Also braucht die Linke Ikonen?

Die Ausstellung „Ikone Karl Marx: Kultbilder und Bilderkult“ im Stadtmuseum Simeonstift ist noch bis zum 18. Oktober in Trier zu sehen.


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