WASSER: Genug für alle?

Die Vereinten Nationen erklärten den Zugang zu Wasser zum Menschenrecht. Aber Hunderte von Millionen haben zu wenig zum Trinken und Waschen. Auch weil das meiste Wasser für die Landwirtschaft verbraucht wird. Wie könnte die Lage verbessert werden?

Der Mensch verbraucht jährlich etwa 20 Kubikmeter Wasser zum Trinken und zur Hygiene – so viel passt in einen kleinen Lastwagen. Die Menge entspricht aber nur einem Bruchteil des wirklichen Verbrauchs. Die Produktion von Lebensmitteln verschluckt pro Kopf das Fünfundsiebzigfache: etwa 1500 Kubikmeter im Jahr.

Der Grund: In Nahrungsmitteln steckt enorm viel virtuelles Wasser, zwischen zwei und drei Kubikmeter in einem Kilogramm Brot und knapp sechs Kubikmeter in einem Kilogramm Schweinefleisch. „Wir essen das meiste Wasser“, sagt Alexander Zehnder, ein Spezialist für internationales Wassermanagement.

Der hohe virtuelle Verbrauch hat Folgen – auch für relativ wasserreiche Länder. Der WWF rechnete aus, dass Deutschland seinen aktuellen Wasserverbrauch – 159,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr – nur zu 50 Prozent aus eigenen Ressourcen deckt. Aus Brasilien wird Rindfleisch importiert, Kakao von der Elfenbeinküste – mitsamt dem Wasser, das in die Produktion geflossen ist. In der Schweiz sollen sogar 80 Prozent des Konsums von Wasserressourcen anderer Länder abhängen. Zehnder dazu: „Klimatisch und topographisch ist die Schweiz nicht imstande, genügend Nahrungsmittel für seine Bevölkerung zu produzieren. Autark könnte sie nur mit viel weniger Einwohnern sein.“

Virtuelles Wasser

Der britische Wissenschaftler John Anthony Allan formulierte das Konzept des virtuellen Wassers, das sich in grünes Regenwasser, blaues Bewässerungswasser und graues Abwasser unterteilt. Er versuchte damit, zur Entschärfung der drohenden Wasserkonflikte im Nahen Osten beizutragen. Aber im Zweistromland zanken sich die Staaten noch immer ums Süßwasser. Euphrat und Tigris fließen zwar durch den Irak und Syrien, aber die Flussquellen liegen in der Türkei. Das Land könnte den südlichen Nachbarn – theoretisch – den Wasserhahn zudrehen. Zwar garantieren Verträge bestimmte Durchflussmengen. Aber der Irak und Syrien beschweren sich, dass wegen der türkischen Staudämme bei ihnen zu wenig Wasser ankomme.

Bei Konflikten wie diesem, erklärt Zehnder, gehe es stets um genügend Wasser für die Landwirtschaft – und somit für die Produktion von Nahrungsmitteln. Zwar könne die Nahrung auch importiert werden – die Landwirtschaft produziere global ja genug, um alle Menschen zu ernähren. Aber viele Länder hätten Angst, in politische Abhängigkeit zu geraten. Sie strebten daher einen möglichst hohen Grad der Selbstversorgung an.

Reiche Länder versuchen dieses Ziel mit Meerwasserentsalzung im großen Stil zu erreichen. Inzwischen werden vor allem Umkehrosmose-Anlagen gebaut: Hochdruckpumpen pressen das Meerwasser durch extrem feine Membranen, die das Salz herausfiltern. Die derzeit größte Anlage steht in Australien. Sie entsalzt täglich 450.000 Liter Wasser.

Aber Entsalzung ist nicht die Lösung. Gegen sie spricht zum einen ihre schlechte Kohlendioxidbilanz. Saudi-Arabien verfeuere für seine Anlagen täglich 1,5 Millionen Barrel Öl, berichteten die Arab News 2010. Zwar entstehen erste Solaranlagen, aber weltweit dominieren immer noch die mit fossilen Brennstoffen betriebenen. Mit ihren CO2-Emissionen beschleunigen die Anlagen den Klimawandel. In dessen Folge verteilen sich die globalen Niederschlagsmengen noch ungleicher: Trockene Gebiete werden noch trockener.

Der zweite Nachteil der Entsalzung ist ein ökonomischer. Auch die besten Anlagen verbrauchen viel Energie, zwei Kilowattstunden pro Kubikmeter entsalztem Wasser. Dieser Wert könnte mit viel Aufwand unterboten werden, aber dann stoßen die Anlagen ans thermodynamische Limit. Weswegen Länder anfangen sich umzuorientieren: „Saudi-Arabien steigt schrittweise aus“, berichtet Zehnder. „Es importiert jetzt vermehrt Nahrungsmittel, weil das billiger ist.“

Entsalzung braucht Energie

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erproben Forscher eine neue Entsalzungsmethode. Sie soll Menschen, nicht die Landwirtschaft, mit Trinkwasser versorgen. Das Verfahren basiert auf den wundersa men Eigenschaften von Hydrogelen. Dieser Kunststoff aus dreidimensional vernetzten Polymerketten funktioniert im Prinzip wie eine Windel. Er kann enorm viel Flüssigkeit aufsaugen – bei Salzwasser das 50- bis 80-fache seines eigenen Gewichts. Aufgequollen ähnelt das Hydrogel dann einer Götterspeise, erläutert Johannes Höpfner vom Institut für Technische Chemie und Polymer-Chemie.

Was das Material aber noch nicht zu einem Kandidaten für Meerwasserentsalzung macht. Dazu bedarf es einer zweiten speziellen Eigenschaft. In trockenem Zustand liegen die fest gebundenen Ladungen des Hydrogels so dicht gedrängt, dass zwischen ihnen kein Platz für Neuankömmlinge ist. Dringt Meerwasser ein, werden die im Wasser gelösten Salzionen abgestoßen, während sich das Hydrogel langsam mit reinem Wasser vollsaugt.

Dieser Prozess – Wasser kommt rein, Salz bleibt draußen – ist aber nicht von Dauer. Quillt das Hydrogel weiter auf, dehnt sich sein Molekül-Netzwerk. Es entstehen Hohlräume, in denen sich die Salzionen einlagern können. Jetzt muss mechanischer Druck die Götterspeise schnell wieder auspressen – wie einen Schwamm. „Das Wasser hat dann 30 bis 50 Prozent weniger Salz“, erklärt Höpfner. Nach einem zweiten und dritten Durchlauf ist der Salzanteil auf unter ein Gramm pro Liter gesunken. Jetzt könnte das Wasser getrunken werden.

Höpfner will die Versuchsanlage auf zwei Kilowattstunden bringen – eine Voraussetzung für die spätere Wirtschaftlichkeit. Darüber hinaus verfolgt er ein zweites Ziel. Es geht um die 30 bis 40 Prozent der Gesamtkosten, die mit dem Energieverbrauch nichts zu tun haben. Sie sollen unter die schon bestehender Anlagen gesenkt werden, etwa durch Einsparungen bei den Materialkosten. Ein Hydrogel könne günstig hergestellt werden, erklärt Höpfner, das Kilogramm koste nur wenige Euro.

Wo die Anlagen am Ende stehen werden? Der Forscher denkt an einen dezentralen Einsatz, etwa auf abgelegenen Inseln, die nur über wenig Trinkwasser verfügen. Zum Beispiel die Seychellen. Dort gebe es viel Solarkraft: saubere und günstige Energie für den Entsalzungsprozess. Meerwasserentsalzung allein kann die Trinkwasserknappheit jedoch nicht beseitigen. Daher zapft die Forschung neue (und ungewöhnlich erscheinende) Quellen an. Zum Beispiel in Perus Hauptstadt Lima. Dort steht an Kilometer 89.5 der Panamericana Süd eine besondere Werbetafel. Nicht wegen der Produkte, die sie anpreist. Sondern weil sie die Feuchte aus der Luft saugt und in Trinkwasser umwandelt – am Tag etwa einhundert Liter. Die Anlage ist ideal für Lima und Umgebung. Dort regnet es selten, aber die Luftfeuchtigkeit erreicht 98 Prozent.

An Trinkwasser heranzukommen, wo scheinbar keines ist – diese Kunst hat ein Käfer aus der Namibwüste perfektioniert. Sein Chitinpanzer besitzt mikroskopisch kleine Strukturen. Sie fangen den Nebel auf, der nachts über die Dünen zieht. Dabei haften Tautropfen auf dem Rücken an, beginnen zu wachsen und rollen direkt in den Mund des kleinen Nebeltrinkers.

Der Mensch ahmt diese Technik nach. Nebelkollektoren aus Kunststofffasern werden da aufgestellt, wo es an Wasser mangelt – in Chile oder Spanien. Alexander Zehnder: „Die Netze können am Tag zwischen zwei und zehn Liter Wasser pro Quadratmeter sammeln, was für kleine Siedlungen ausreicht. Bleibt der Nebel allerdings aus, haben sie auch kein Trinkwasser.“

Windrad in der Wüste

In Abu Dhabi steht ein Windrad, das der staubtrockenen Wüstenluft täglich bis zu 800 Liter Wasser entzieht. Eine Windturbine saugt heiße Wüstenluft an, welche in einem Kompressor abkühlt. Es bildet sich Kondenswasser – wie auf einer Brille, wenn ihr Träger aus der Kälte in einen beheizten Raum tritt. Das Kondenswasser wird dann gereinigt und in einem Tank gesammelt.

Die Anlage braucht keine Energie von außen, liefert allerdings auch, gibt Zehnder zu bedenken, nur geringe Mengen Wasser. Viele Windräder müssten im Einsatz sein, um ein ganzes Gebiet mit Trinkwasser zu versorgen. Kein Hindernis, sagen die französischen Ingenieure. Sie träumen schon von ausgedehnten Windparks.

Autarke Anlagen, die mit selbsterzeugter Energie Trinkwasser produzieren: Dieses Konzept könnte – lokal begrenzt – gegen Wasserknappheit helfen. Allerdings müssen sich die ländlichen Gebiete in Afrika und Asien die High-Tech-Anlagen erst einmal leisten können. Vor allem sie leiden unter Trinkwasserknappheit, von der laut Weltgesundheitsorganisation derzeit 768 Millionen Menschen betroffen sind.

Die Misere wird durch ungenügende Planung und schlechtes Management verursacht, sagt Zehnder: „Mit Ausnahme von sehr trockenen Gebieten oder während extremer Dürren ist auf der Erde immer genügend Trinkwasser vorhanden – auch für neun Milliarden Menschen. Nur ist das Wasser zum Trinken oft nicht geeignet. Das Problem ist die Qualität – und nicht die Menge.“


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