WAHLEN UND SREL-AFFÄRE: Geheim? Gewurstelt!

Was sind die wichtigsten Themen des Wahlkampfes? Die Srel-Affäre gehört jedenfalls dazu, weil sie entlarvt, wie in Luxemburg Politik gemacht wird.

„Alles nur Wahltaktik! Gibt’s nichts Wichtigeres?“ – wer derzeit eine weitere Aufklärung der Srel-Affäre fordert, muss mit solchen Einwänden rechnen. Und sie sind begründet. Politisch engagierte Zeitgenossen, die das Thema so knapp vor den Wahlen anschneiden, versprechen sich davon häufig eine in ihrem Sinne vorteilhafte Wirkung auf das Ergebnis. Aber zu enthüllen, mit welcher Uhr das ominöse Juncker-Mille-Gespräch seinerzeit aufgenommen wurde, ist nicht wirklich relevant. Eine Diskussion über Luxemburgs Zukunftschancen in einer von der Finanz- und Wirtschaftskrise erschütterten Welt wäre tatsächlich wichtiger.

Doch die Auseinandersetzung mit der Praxis des Geheimdienstes in der Vergangenheit tut allein schon deswegen not, weil die Vorstellung, wir würden womöglich genauso uneingeschränkt bespitzelt wie zu Zeiten des Kalten Krieges, jeden Bürger erschrecken muss. Was damals an der Schwerfälligkeit des Hantierens mit Kopierer, Kassettengerät und Mini-Kamera seine Grenzen fand, ist heute – der totalen Digitalisierung sei Dank – ein Kinderspiel. Werden Geheimdienste nicht ordentlich kontrolliert – oder sogar ganz abgeschafft -, kommt es unweigerlich zur missbräuchlichen Verwendung der gesammelten Daten – mit politischen Bewegungen und Individuen als Opfern.

Noch bedeutsamer aber ist, dass die Srel-Affäre nicht notwendigerweise von wichtigen Zukunftsthemen ablenkt. Im Gegenteil, sie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf ein zentrales Thema: Das Herumwursteln in der Geheimdienst-Affäre ist symptomatisch für die Art und Weise, in der in Luxemburg Politik gemacht wird. Man arrangiert sich mit den Mächtigen, schaut nicht so genau hin, wenn’s der guten Sache dient, und gibt keinen Pfifferling auf die Rechtsstaatlichkeit, sobald „höhere“ Interessen im Spiel sind. Es mag in den vergangenen Jahren in den Luxemburger Medien eine zweifelhafte Lust am Skandalösen gegeben haben, doch im Grunde wirft die Srel-Affäre, wie zuvor der Wickringen-Skandal, das Problem des für das Luxemburger Modell typischen Politikstils auf.

Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit Luxemburg umfasst auch die speziellere, wie sehr künftig noch gemauschelt werden soll und inwiefern man einen öffentlichen und transparenten Entscheidungsprozess anstrebt – auch im Sinne der politischen Effizienz. Wie negativ sich das Gemauschel auswirken kann, zeigt neben vielem anderen auch das katarische Cargolux-Abenteuer.

Vermutlich ist Premierminister Jean-Claude Juncker – anders als einige seiner Amtsvorgänger – kein begeisterter Anhänger der Wurstel-Methode. Pech, dass es jetzt gerade ihn erwischt hat. Andererseits hat er sich da, wo er „den Laden aufräumen wollte“, zu leicht überreden lassen, seinen Frieden mit dem Erbe der Vergangenheit zu machen – zum Beispiel 2004 bei der Reform des Geheimdienstes. Dafür – und für seinen Stolz, der ihn vor drei Monaten daran gehindert hat, seine Fehler einzugestehen – bezahlt er jetzt den Preis.

„Système L“

Nun ist das Wursteln nicht unbedingt eine schlechte Eigenschaft. In Frankreich gilt es unter den Bezeichnungen „débrouille“ oder „Système D“ sogar als Teil der nationalen Identität. Und als Pragmatismus, Anpassungsfähigkeit und Kultur der kurzen Wege ist es ein wichtiges Moment der wirtschaftlichen Attraktivität des Luxemburger Modells. Auch die Tripartite, hinter deren verschlossenen Türen Bosse wie Gewerkschaftler lange Zeit zu dem Ihren kamen, hat es ja ausgiebig praktiziert. Doch auch ohne Skandale wird diese Vorgehensweise mittlerweile von neuen Akteuren in Wirtschaft und Zivilgesellschaft und dank eines gewachsenen Anspruchs an die demokratische Kultur zunehmend in Frage gestellt.

Deshalb muss Luxemburg, will es künftig mit seiner „débrouille“ punkten, die unerwünschten Nebenwirkungen eindämmen. Die politische Klasse muss ein neues Gespür – und strengere Regeln – dafür entwickeln, was geht und was nicht, insbesondere in sensiblen Bereichen, wie den Kontakten mit potenten Wirtschaftslobbies. Aber auch bei allem, was mit öffentlicher Ordnung, Justiz – und eben dem Geheimdienst – zu tun hat.


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