FOTO-AUSSTELLUNG: Europa ist anderswo

Die Ausstellung „Was ist wichtig?“ in der Abtei Neumünster zeigt Fotoarbeiten von drei Fotografen, die sich auf die Suche nach europäischen Werten begeben haben.

(Foto: Pepa Hristova)

Wo beginnt Europa, und wo endet es? Gibt es sie überhaupt, die „europäischen Werte“, und wenn ja, wo sind sie zu finden? Oder ist Europa ein Konstrukt, das an der Grenze des westlichen Wohlstandsgürtels endet? Im Auftrag der Alfred Toepfer Stiftung machten sich zwei Fotografinnen und ein Fotograf auf, mit ihren bildnerischen Mitteln europäische Werte aufzuspüren und sichtbar zu machen. Quer durch Europa und bis an seine geografischen Grenzen führte sie diese Spurensuche. Die drei arbeiteten jeweils an verschiedenen Orten, doch immer an solchen, an denen die Unterschiede zwischen Westen und Osten beziehungsweise Süden und zwischen Arm und Reich nicht größer sein könnten und wo die Grenzen zugleich verschwimmen. André Lützen hat Grenzgebiete bereist. Seine Serie „Außenlinie“ ist eine spannende Außenseitersicht auf die Grenzen der „Festung Europa“. Die Bildserie aus Lampedusa erlaubt einen anderen Blick auf den Flüchtlingsalltag. Es sind teilweise unscharfe und verwackelte Momentaufnahmen, die eine klandestine Innensicht offenlegen – aus der Perspektive der in Europa gestrandeten Menschen. Lützens unscharfe Fotografien vermitteln eine unwirkliche Realität.

Pepa Hristova hat sich in ihrer Fotoserie „Fremde im eigenen Land“ auf die Suche nach Minderheiten in ihrem Geburtsland Bulgarien gemacht. 13 Prozent der bulgarischen Bevölkerung sind Muslime. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs (1989) wurde diese religiös-ethnische Minderheit unterdrückt. Noch in den 1980er Jahren waren die Mitglieder gezwungen, ihre Bräuche, ihren Glauben und ihre wahren Namen zu verbergen. In ihrer Fotoserie, die wie eine ethnografische Studie wirkt, hat Hristova die Bräuche der Pomaken, die zurückgezogen in den Dörfern der Rhodopen – einem Gebirgskamm im Süden Bulgariens – leben, festgehalten. Ihre Aufnahmen sind laut Hristova „ein fotografischer Versuch, die Lebensrealität der bulgarischen Muslime einzufangen“. In einer weiteren Fotoserie hat sie sogenannte Mann-Frauen porträtiert. Frauen, die sich innerhalb ihrer Gesellschaftsordnung irgendwann dazu entschlossen haben, als Mann zu leben und von ihrem Umfeld auch als solche behandelt und respektiert werden. Ihre Porträt-Fotografien wirken oft surreal und erinnern in ihrer Ästhetik an die Bildsprache Aki Kaurismäkis. Indem sie die Gesichter der Porträtierten zusätzlich mit einer Taschenlampe beleuchtet, verstärkt sie die Intensität ihrer Fotografien noch. Ihre Protagonisten bekommen so eine fast zauberhafte Aura. In der Bildserie „Hausbesetzer“ zeigt Joana Deltuvaité Aufnahmen aus den Hausbesetzerszenen in Amsterdam, Berlin und London. Die in Litauen geborene Fotografin will mit ihnen erklärtermaßen eine „Kultur ungeschriebener Gesetze“ hinterfragen. Auf ihren Bildern sind keine Menschen zu sehen – es sind Fotografien verlassener Wohnräume, die fast wie Stillleben wirken. Deltuvaité geht es darum, zu dokumentieren, wie die Menschen leben, und nicht, warum sie so leben.

Die fotografischen Arbeiten der vom Institut Pierre Werner organisierten Ausstellung, die bereits im Frühjahr 2007 über 20.000 BesucherInnen in die Hamburger Deichtorhallen lockte, spiegeln so die Kehrseite des reichen Europas wider. Lützen, Hristova und Deltuvaité führen dem Besucher mit ihren Ansätzen unbekannte europäische Werte wie einen kritischen Blick auf Europa vor Augen.

Im Kulturzentrum Abtei Neumünster, noch bis zum 4. November.


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