UKRAINE: EINMISCHEN, JA, ABER …: Kassandraruf

Nach dem Abschuss einer Passagier-
maschine in der Ost-Ukraine melden sich antirussische Hardliner verstärkt zu Wort. Doch ein Konfrontationskurs des Westens mit Russland wäre nicht weniger verrückt als das russische Vabanque-Spiel im März.

„Man kann doch nicht einfach zusehen, wie…“ Regelmäßig und immer häufiger kehrt diese Formulierung im öffentlichen Diskurs westlicher Politiker und Kommentatoren wieder. Ob Libyen, Syrien, Zentralafrika oder die Ukraine ? Einmischung, ja Parteiergreifung, wird als unumgänglich dargestellt. Manchmal schicken ein paar Länder wirklich Soldaten – die Ergebnisse waren bisher alles andere als berauschend. Und manchmal – in Syrien, auf der Krim – gibt man klein bei und lässt die im Stich, welche die kriegerische Rhetorik für bare Münze genommen haben.

Im Februar dieses Jahres klang es fast, als seien Frankreich und Großbritannien bereit, zur Verteidigung der Maidan-Protestler in der Ukraine einzumarschieren. Ein unter Einbeziehung Russlands ausgehandelter Kompromiss wurde von den europhilen ukrainischen Eliten dann dazu benutzt, eine Regierung zu bilden, die nicht wirklich respektvoll mit den russophilen Bevölkerungsteilen umging. Der Triumph des Westens war von kurzer Dauer: Überrumpelt und in die Ecke gedrängt, konterte der russische Präsident Wladimir Putin mit der Unterstützung pro-russischer Rebellen, was ihm die geschickt eingefädelten Annexion der Krim-Halbinsel ermöglichte. „Inakzeptabel“ für die westlichen Sprücheklopfer, aber mit einem Militäreinsatz zu antworten, kam für sie – zum Glück – auch nicht in Frage.

Zwar wurden in den folgenden Monaten Sanktionen gegen Russland beschlossen und die Truppen an der Nato-Ostgrenze verstärkt, doch die Einsicht, dass es besser sei, mit Russland und den russophilen Ukrainern einen Kompromiss zu suchen, schien an Boden zu gewinnen. Allerdings blieben viele „Experten“ davon überzeugt, dass Russland – das unbestritten ein gefährliches Spiel spielte – zutiefst antiwestlich orientiert sei und rücksichtslosen Expansionismus betreibe. Im Namen von Freiheit und Demokratie – angeblich durch die neue ukrainische Regierung verkörpert – versuchten sie einen Konfrontationskurs durchzudrücken.

Diese Versuche haben nun durch den Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine über der Ost-Ukraine Auftrieb bekommen. Wahrscheinlich wurde die Rakete von Rebellen abgefeuert, wahrscheinlich ist aber auch, dass es sich um eine Verwechslung handelt, wie häufig in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit. Das mindert zwar nicht das Ausmaß der menschlichen Tragödie, verleiht Anschuldigungen wie „Kriegsverbrechen“ oder „Terrorakt“ aber einen schalen Beigeschmack.

Manche vergleichen die Situation in der Ost-Ukraine mit jener in Bosnien: Putin sei Milo?evi´c und der Westen täte gut daran, entschlossen einzugreifen.

Wenn man wieder einmal „nicht zusehen kann“, was tut man dann? Manche vergleichen die Situation in der Ost-Ukraine mit jener in Bosnien Anfang der 1990er: Putin sei Milo?evi´c und der Westen täte gut daran, möglichst früh militärisch einzugreifen. Ein unheilschwangerer Vergleich: Er verheißt einen blutigen Bürgerkrieg und Flüchtlingswellen, unter anderem solche von russischen Minderheiten aus der Ukraine und anderswo. Noch bedrohlicher ist allerdings der Umstand, dass Russland in einem solchen Szenario gewiss dagegenhalten würde – mit Mitteln, die weit über das hinausgehen, was seinerzeit dem serbischen Präsidenten zur Verfügung stand.

Doch auch die „sanfte Lösung“ einer Verschärfung der Sanktionen, die Russland in eine internationale Isolation drängen würde, verheißt nichts Gutes. In einem neuen kalten Krieg stünden auf der einen Seite der Westen, auch wirtschaftlich geeint unter der TTIP-Flagge. Auf der anderen stünde Russland, das dadurch in eine Partnerschaft mit der wichtigsten nicht-westlichen Großmacht, mit China, gedrängt werden würde. Eine solche Entwicklung dürfte Versuche dauerhaft illusorisch machen, weltweit eine Kultur der kollektiven Sicherheit zu schaffen und gemeinsam gegen Probleme wie den Klimawandel vorzugehen. Verschärfte sich die Polarisierung der beiden Blöcke, so wäre das Ergebnis wohl kein „kalter Sieg“ wie 1989, sondern eine neue „Urkatastrophe“ wie 1914.


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